Die alten Regeln in der Arbeitswelt gelten nicht mehr. Wer in Indien sitzt hat wenig davon, wenn er seinen schicken Schlitten nicht seinen Projektpartnern in New York oder London zeigen kann. Der Dienstwagens zeigt in Zeiten der Globalisierung und des Crowdworking das ganze Dilemma: Der eigenen Status ist nicht mehr deutlich sichtbar für die Kollegen. Genauso wenig ist das gemeinsame Feierabendbier eine Option, wenn das Team über zig Standorte verteilt ist. Ein üppiges Gehalt allein schafft aber noch keine emotionale Bindung ans Unternehmen. Was also ist in unserer zunehmend virtuellen Arbeitswelt ein Anreiz, der Mitarbeiter bleiben und motiviert arbeiten lässt?
Berufsbedingte Umzüge und 80-Stunden-Wochen mit einem Kleinkind lassen sich nur realisieren, wenn die Kinderbetreuung als gesichert gilt. Frauen verzichten häufig, solange ihre Kinder klein sind, auf die große Karriere – Aufstiegsmöglichkeiten rücken damit in weite Ferne. Und der Drang nach Boni und Aktienpaketen damit auch. Worauf weibliche Mitarbeiter bisher verzichtet haben, scheint bei den jungen Vätern unter den männlichen Kollegen nun als zartes Pflänzchen anzukommen: der Wunsch, Familie und Karriere stärker unter einem Hut zu bringen.
Freiheit statt Firmenwagen
Männliche Chefs binden Mitarbeiter gern über Statussymbole und Gehalt – wer sein Statussymbol jedoch nicht zeigen kann, für den verliert es seine Faszination. Ein Statussymbol ist als Insignie ein Ausdruck von Macht. Dieser Ausdruck ist aber nicht möglich, wenn der schicke BMW von den Kollegen unbemerkt auf dem Firmengelände am anderen Ende der Welt steht. Wer merkt, dass er an jedem Ort, zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne ständige Kontrolle durch den Arbeitgeber und Anwesenheitspflicht arbeiten kann, erlebt die neue Freiheit als Gewinn. Home Office, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der Wegfall einer festen Anbindung an Kollegen und stationäre Arbeitsplätze bringen jenen Mitarbeitern Freiheit, die damit umgehen können. Mitarbeiter mit dem Wunsch nach mehr Lebensqualität binden sich zukünftig an Unternehmen nicht des Geldes wegen, sondern der Freiheit und der Vereinbarkeit von anderen Lebensbereichen wegen.
Pluspunkt Beziehungsmanagement
Weibliche Chefs binden Mitarbeiter gern über Beziehungen. Kommunizieren ist ihre Kernkompetenz: Sie suchen den Kontakt, fragen nach Befindlichkeiten, fühlen sich in ihr Gegenüber ein und stellen eine Wohlfühlatmosphäre her. Die Bindung von Mitarbeitern im virtuellen Raum erfolgt bei Frauen über andere Parameter, nämlich über das Erzeugen einer Arbeitsatmosphäre, die das Team dazu motiviert, ohne unmittelbare Kontrolle und Aufsicht gute Arbeitsergebnisse zu erzielen. Das gelingt auch ohne körperliche Präsenz.
Beziehung statt Befehlserteilung
Wohlatmosphären entstehen vor allem, wenn Chefs es schaffen, auf der Beziehungsebene Vertrauen herzustellen und dadurch Halt und Sicherheit zu vermitteln. Wer seine Mitarbeiter nur sporadisch und auf Nachfrage hört, schafft keine Beziehung. Wer Tage später oder gar nicht auf Fragen per Mail antwortet, darf sich nicht wundern, wenn sich Mitarbeiter selbst Arbeitsaufträge geben. Wer nie nach Befindlichkeiten fragt, hinterlässt den Eindruck, dass er sich für das Team gar nicht interessiert. Wer in Zeiten von Whatsapp keine Emoticons verwendet, wirkt sachlich und kühl. Wer nachts noch Aufträge per Mail schreibt und erwartet, dass sie morgens gleich abgearbeitet sind, erzeugt emotionalen Widerstand. Die Digitalisierung ermöglicht Freiraum und die Freiheit zur Selbstorganisation – kann aber auch das Gegenteil hervorrufen. Hier gilt es für Chefs, Vertrauen in die Eigenverantwortung des Mitarbeiters zu haben.
Was können Männer von Frauen für die Mitarbeiterbindung beim Arbeiten 4.0 lernen?
Mitarbeiterbindung entsteht im virtuellen Netzwerk genauso wenig wie bei stationären Arbeitsplätzen einfach so – sie bedeutet immer Arbeit, vor allem auf der Beziehungsebene. Wer die Arbeit mit Menschen scheut und kein Interesse an ihnen hat, sollte Führung lieber sein lassen, egal ob er vornehmlich virtuell oder vor Ort sein Team dirigiert. Empathie ist nämlich auch beim virtuellen Führen erforderlich. Durch die räumliche Distanz ist Beziehungsfähigkeit sogar noch mehr gefragt – wer es in der Realität nicht schafft, bei Teammitglieder nachzuhorchen, wird sich in der virtuellen Welt als Chef noch schwerer tun.
Kommunikative Einbahnstraße
Männliche Chefs denken in der Regel, sie beherrschen das Beziehungsmanagement, was sich oft als Selbstbetrug herausstellt. Sie verwechseln emotionale Nähe mit "wir haben doch darüber gesprochen". Was Männer als "darüber sprechen" definieren, sind allerdings eher Monologe oder Bestätigungen ihrer eigenen Verhaltensweisen. In ihrer Kommunikation zählen nicht wirklich Ergebnisse, sondern vor allem die Durchsetzung des eigenen Standpunkts. Sie tun sich schwer, ihren Monologen noch Emotionen hinzuzufügen. Weniger "Ich" und mehr "Du" wäre hier hilfreich. Das wirkliche Interesse am Gegenüber und das Zurücknehmen des Egos ist beim Aufbau von Beziehungen ein Muss. Frauen lernen sehr früh, sich um das "Du" zu kümmern. Das müssen sie nicht üben, es wird ihnen durch die Erziehung bereits antrainiert.
Meine Empfehlung an männliche Führungskräfte: Fangen Sie an, sich für Ihre Mitarbeiter zu interessieren, alles andere läuft automatisch.
Ein "Guten Morgen, wie war Ihr Wochenende?" oder " Wie geht es Ihren Kindern?" bis zu "Kann ich Ihnen helfen? Wenn Sie ein Problem haben, bitte rufen Sie mich an", auch wenn es sich nur per Mail oder in Videokonferenzen fragen lässt, wäre ein erster Schritt in Richtung "Du" – Du Mitarbeiter bist mir wichtig.
