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Job-Beratung Muss mich Arbeit glücklich machen? Oder kann Job nicht einfach nur Job sein?

Wie glücklich muss uns Arbeit machen - oder wollen wir zu viel?
Wie glücklich muss uns Arbeit machen - oder wollen wir zu viel?
© SIphotography / Getty Images
Mit Mitte 30 fängt die Grübelei an: Beruflich neu orientieren? Einen neuen Job suchen? Oder einfach weitermachen wie bisher? Job-Coach Ragnhild Struss beantwortet die Frage, ob man sein Glück von der Arbeit abhängig machen sollte.

In meinem Umfeld bekommen viele mit Mitte, Ende Dreißig Zweifel, ob der Job noch passt. Da stellt sich dann schnell die Frage: Kündigen, ins Sabbatical gehen oder nach dem Traumjob suchen, der einen total ausfüllt? Manchmal frage ich mich, ob das überhaupt gut ist, wenn so viel Lebensglück von der Arbeit abhängt und ob sie so stark mit einem selbst verbunden sein muss. Kann Arbeit nicht auch einfach Arbeit sein?

Zunächst einmal: Es ist ganz typisch, sich in diesem Alter selbst zu reflektieren und möglicherweise neu zu orientieren. Auch unter dem Begriff der "Midlife Crisis" oder "Thrisis" (Mitte der "Thirties") bekannt, stellt diese Phase eine klare Zäsur dar. Während man vorher gefühlt "alle Zeit der Welt" hatte und sich womöglich in einigen Bereichen des Lebens eher hat treiben lassen, wird einem nun klar, dass beinahe die Hälfte des eigenen Lebens bereits vorbei ist. So rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob man seinen Lebensentwürfen gerecht geworden ist, sein Potenzial zum Glücklichsein voll ausgeschöpft hat und ob die aktuelle Beschäftigung noch zu den eigenen Werten passt – diese wandeln sich nämlich im Laufe der Zeit.

"Glück" ist ein großes Wort - gerade im Job

Immer wieder werde ich mit übersteigerten Erwartungen konfrontiert, die Menschen an ihren Job stellen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Als Karriereberaterin ist es mein Ziel, dass meine Kunden einen Beruf finden, der bestmöglich zu ihrer Persönlichkeit passt. Tolles Gehalt, stets spannende Inhalte, das perfekte Team und am besten auch noch Sinnhaftigkeit: Leider können so gut wie nie alle Ansprüche gleichzeitig oder dauerhaft erfüllt sein. Und selbst wenn, dann ist das auch kein Garant für Happiness. Wer deswegen immer nur nach dem vermeintlich grüneren Gras auf der anderen Seite, in anderen Beschäftigungen, schielt, wird niemals langfristige berufliche Zufriedenheit finden. Denn kein Job wird es jemals leisten können, Sie jeden Tag glücklich zu machen und Ihnen das Gefühl von vollkommener Lebenszufriedenheit zu geben. Für das eigene Wohlbefinden ist Eigenverantwortung die entscheidende Voraussetzung.

Ragnhild Struss, 39, hilft Menschen dabei, ihre innere Stimme zur Autorität zu machen. In ihrem Unternehmen "Struss und Partner Karrierestrategien" entwickelt sie Karrierewege, die nicht zwangsweise nach "nach oben" führen, sondern zu sich selbst – ob in der Kfz-Werkstatt oder im Konzern. Mit BeBrilliant hat sie  eine App auf den Markt gebracht, die Persönlichkeits- analyse, 360°-Feedback und Coaching "to go" bietet.
Ragnhild Struss, 39, hilft Menschen dabei, ihre innere Stimme zur Autorität zu machen. In ihrem Unternehmen "Struss und Partner Karrierestrategien" entwickelt sie Karrierewege, die nicht zwangsweise nach "nach oben" führen, sondern zu sich selbst – ob in der Kfz-Werkstatt oder im Konzern. Mit BeBrilliant hat sie  eine App auf den Markt gebracht, die Persönlichkeits- analyse, 360°-Feedback und Coaching "to go" bietet.
© Tristan Vostry

Warum wir nicht irgendeinen Beruf ausüben sollten

So sollten Sie durchaus versuchen, eine Tätigkeit zu finden, die zu Ihrer Persönlichkeit passt und in der Sie Ihre Stärken einbringen und Ihr Potenzial so gut wie möglich ausschöpfen können. Aber stellen Sie sich auch die richtigen Fragen, nämlich "Wie muss ein Job sein, damit ich mein Potenzial freudig entfalten kann?" und "Was kann ich selbst dazu beitragen, dass ich Spaß bei der Arbeit empfinde?". Ich empfehle Ihnen dabei, sich nicht nach Ihrem Umfeld oder gesellschaftlichen Trends zu richten, sondern nach innen zu blicken. Vielleicht können Sie die Zweifel und die Aufbruchsstimmung Ihrer Freunde und Kollegen ja nicht nachvollziehen, weil Sie bereits in Ihrem Job zufrieden sind? Sozialer Vergleich kann leicht zu Unzufriedenheit führen. Nur weil "alle anderen" ihr Leben umkrempeln, heißt das nicht, dass Sie es auch tun müssen. Oder vielleicht fehlt Ihnen einfach die Erkenntnis, was Sie selbst gerne ändern würden?

Die Bestandsaufnahme entscheidet

Wie Sie herausfinden, welcher Beruf zu Ihnen passt und ob Sie etwas anderes ausprobieren sollten? Gehen Sie beispielsweise Ihren unbewussten Einstellungen auf den Grund: Welche Werte sind mir wichtig, wonach richte ich mein Leben aus – und sind diese Werte wenigstens zum Teil in meinem aktuellen Job widergespiegelt? Gehe ich meistens gerne zur Arbeit? Verstehe ich mich mit meinem Team? Kann ich meine Stärken und Talente in meiner Tätigkeit einbringen? Oder muss ich vor allem Aufgaben erledigen, die mir eigentlich weniger gut liegen? Fühle ich mich in meinem Arbeitsumfeld wohl, ist der Arbeitsplatz ausreichend auf meine persönlichen Bedürfnisse abgestimmt? Oder stresst es mich, z. B. als stiller Mensch im Großraumbüro arbeiten zu müssen oder als Extravertierter isoliert zu sitzen?

Zufriedenheit sollte auf mehreren Säulen fußen

Nicht weniger entscheidend ist die Betrachtung des allgemeinen Wohlbefindens und die Einordnung des Jobs in die Lebensgestaltung: Bin ich allgemein in meinem Leben und seinen verschiedenen Bereichen zufrieden? Denn wenn ein wichtiger Lebensbereich wie die Partnerschaft nicht gut läuft, können das gesamte restliche Leben und auch die berufliche Zufriedenheit davon überschattet werden. Gleichzeitig steigen die Chancen, sich zufrieden zu fühlen, je mehr man sein Glück aus verschiedenen Quellen bezieht: Arbeit macht nur einen Teil aus – auch die Erfüllung in den Bereichen Familie, Freundschaft, Hobbys sowie Gesundheit und Körpergefühl fließt in die Gesamtbilanz ein. Machen Sie sich also auch einmal klar, wie gut es Ihnen auf diesen anderen Gebieten geht, statt sich bei Ihrer Bestandsaufnahme nur auf den Job zu konzentrieren.

Von einem Sabbatical kann jeder profitieren

Ob nur ein paar Monate oder gleich ein ganzes Jahr – immer mehr Arbeitnehmer wünschen sich ein Sabbatical. Und es spricht tatsächlich vieles für den oft bezahlten Sonderurlaub: Neben dem Wunsch nach mehr Zeit für die Familie und sich selbst zählen Weiterbildung, Reisen, Burnout-Prävention sowie die Unterstützung sozialer Projekte zu den Beweggründen, sich diese Auszeit zu nehmen. Nicht wenige Menschen nutzen das Sabbatical tatsächlich für eine Umschulung oder anderweitige berufliche Neuorientierung. Wichtig ist auch hier, sich nicht zu sehr von seinem Umfeld beeinflussen zu lassen, sondern sich selbst zu fragen, welches Projekt man in dem Sonderurlaub gerne verwirklichen würde. Falls Ihr Arbeitgeber die Möglichkeit auf ein Sabbatical einräumt, ergreifen auch Sie ruhig diese Chance. Und bedenken Sie: Am besten nutzen Sie diese Zeit, wenn sie gut vorbereitet ist.

Am Ende lohnt sich das Streben nach dem "Traumjob" doch

Es spricht vieles dafür, sich – egal in welchem Alter – um Arbeit zu bemühen, die "stark mit einem selbst verbunden" ist, wie Sie schreiben. Sie werden definitiv mehr berufliche Erfüllung finden, wenn der Job mit Ihrer Persönlichkeit und Ihren Stärken harmoniert, Ihnen die Möglichkeit der Potenzialentfaltung gibt und Sie nicht etwa gegen Ihre inneren Neigungen arbeiten müssen. Wie Sie dies bei Ihrer aktuellen Tätigkeit beurteilen, ist allein Ihre Entscheidung. Aber haben Sie den Anspruch auf einen erfüllenden Job, denn es gibt für jeden einen richtigen Platz. Und den haben Sie verdient.

Weitere Teile der Serie:

- "Ich will Elternzeit nehmen - opfere ich meine Karriere fürs Kind?"

- Wie verberge ich erfolgreich im Job, dass ich eigentlich nichts kann?"

- "Meine Karriere kommt nicht in Schwung - werde ich jemals Erfolg im Job haben?"

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Ragnhild Struss

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