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Job-Beratung "Bück dich hoch? Kann man auch ohne Schleimen beim Chef Karriere machen?"

Schleimer im Büro
Karriere machen durch Einschleimen?
© Ridofranz / Getty Images
Ausgerechnet die Kollegen, die sich beim Chef einschleimen, werden dafür auch noch belohnt - und machen Karriere. Job-Coach Ragnhild Struss erklärt, wie es auch anders klappt.

Liebe Frau Struss, als ich neulich den Song "Bück dich hoch" von Deichkind gehört habe, dachte ich mir: Genauso ist es wirklich! Mich macht es rasend, wenn ich im Büro sehe, wie meine Kollegen fürs Schleimen belohnt werden. Kann man nicht auch anders Karriere machen?

Ich muss jedes Mal lachen, wenn ich den Song höre – auch wenn einem eher zum Weinen zumute sein könnte –, weil er zwei Phänomene des Arbeitsalltags herrlich auf die Spitze treibt. Einerseits geht es um die "24/7 always on"-Attitüde unter Aufstiegsaspiranten, andererseits um die Schleimspur mancher Kollegen, auf der man bis in die Kantine gleiten könnte. Beide Strategien haben unterschiedliche Ansätze, sind aber gleichermaßen nervig – da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Und zwar aus einem Grund: Weil Kollegen, die so vorankommen wollen, ihre Persönlichkeit an den Nagel hängen, wenn sie das Büro betreten.

Ragnhild Struss, 39, hilft Menschen dabei, ihre innere Stimme zur Autorität zu machen. In ihrem Unternehmen "Struss und Partner Karrierestrategien" entwickelt sie Karrierewege, die nicht zwangsweise nach "nach oben" führen, sondern zu sich selbst – ob in der Kfz-Werkstatt oder im Konzern. Mit BeBrilliant hat sie  eine App auf den Markt gebracht, die Persönlichkeits- analyse, 360°-Feedback und Coaching "to go" bietet.
Ragnhild Struss, 39, hilft Menschen dabei, ihre innere Stimme zur Autorität zu machen. In ihrem Unternehmen "Struss und Partner Karrierestrategien" entwickelt sie Karrierewege, die nicht zwangsweise nach "nach oben" führen, sondern zu sich selbst – ob in der Kfz-Werkstatt oder im Konzern. Mit BeBrilliant hat sie  eine App auf den Markt gebracht, die Persönlichkeits- analyse, 360°-Feedback und Coaching "to go" bietet.
© Tristan Vostry

Freitag ab eins macht jeder seinsEigentlich ist heute eine ausgeglichene Work-Life-Balance das Maß der Dinge. Trotzdem kann man mit der Bereitschaft, sich voll und ganz der Arbeit zu verschreiben, punkten. Zum Beispiel in jungen Teams oder kleinen Start-ups, in denen niemand familiäre Verpflichtungen hat und jeder sich die Ehrgeiz-Hörner abstößt, solange es nichts Wichtigeres gibt im Leben. Für Wettbewerb und Konkurrenz sorgen auch manche amerikanisch geprägten Unternehmen, die eine "Up or Out"-Politik leben.  In vielen deutschen Konzernen ist es hingegen salonfähig, die Yogastunde um 18 Uhr wahrzunehmen oder das Kind aus der Kita abzuholen. Genauso wie bei vielen Ämtern und Behörden. Unternehmensstruktur und -kultur geben den Takt vor. Wenn Sie das zur Weißglut treibt, steht dahinter eigentlich die Frage, was Ihr Arbeitgeber von Ihnen verlangt, und was Sie bereit sind, zu leisten. Je größer die Abweichung ist, umso unzufriedener werden Sie sein.

Wer ahnt, dass sein Job in Gefahr ist, kann gegensteuern

Schleimen mit System 

Während der Trend zur Selbstaufgabe also branchenspezifisch gefördert wird, ist das Schleimen ein universeller Ansatz, der überall funktionieren kann. Schon Sigmund Freud sagte: "Gegen Angriffe kann man sich wehren. Gegen Lob ist man machtlos." Umso eitler der Chef, umso aussichtsreicher ist die Taktik. Aber ich verrate Ihnen auch kein Geheimnis, wenn ich sage, dass fast jeder Vorgesetzte gerne mal ein Kompliment erhält. Vor allem im mittleren Management, wo Druck von oben und unten herrscht, sind wohlwollende Worte oft rar.

Statt sich über Kollegen aufzuregen, die es damit übertreiben und zu regelrechten Groupies mutieren, sollten Sie den Fokus auf sich selbst richten. Überlegen Sie sich, welche Ziele Sie im Unternehmen bzw. in Ihrer Laufbahn verfolgen und wie Sie diese durch strategische Kommunikation mit Ihrem Chef erreichen, ohne sich selbst zu verraten.

Werbung in eigener Sache 

Wenn Sie wollen, dass Ihre Leistung anerkannt wird, sollten Sie sich etwas bei den Schleimern abgucken. So sehr Sie sich über sie ärgern: Auch das Buckeln und Säuseln ist eine Leistung. Sie können etwas von den "Berufs-Flöten" lernen – und zwar für sich zu werben. Warten Sie nicht darauf, dass Ihre Ergebnisse für sich sprechen. Leistung alleine wird leider selten geschätzt. Sie müssen schon darauf hinweisen. Denn befördert wird nur, wer sichtbar ist. 

So ungerecht es – insbesondere für Teilzeitkräfte oder remote worker – ist, Chefs tendieren dazu, Mitarbeiter mehr auf dem Zettel zu haben und zu mögen, die sie häufig sehen. In der Psychologie nennt man das den Effekt des bloßen Kontakts. Neben der Quantität kommt es natürlich auch auf die Qualität der Begegnung an. Gemeinsamkeiten schaffen eine gute Grundlage. Ob ähnliche Interessen im Privaten oder identische Einstellungen zu beruflichen Projekten: Ziehen Sie zum Beziehungsaufbau nur heran, was wirklich da ist. Alles andere werden reflektierte Chefs leicht als Manipulation enttarnen.

Die Mischung macht's Ein bisschen sweet-talk gehört also dazu, wenn Sie wollen, dass man Sie für neue Projekte und Positionen auf dem Zettel hat. Mindestens genauso wichtig ist es aber, gleichzeitig in der Lage zu sein, Stellung zu beziehen und auch mal Gegenwind zu produzieren. Sie sollen keine "Dr. Jekyll und Mr. Hyde"-Persönlichkeit entwickeln, die in einem Moment Freund, im anderen Feind ist. Vielmehr geht es darum, auch Meinungsverschiedenheiten zu riskieren und Kritik zu äußern. Langfristig zollen Vorgesetzte meiner Erfahrung nach denjenigen Mitarbeitern mehr Respekt, die Ihnen nicht einfach nach dem Mund reden, sondern eigene Ansichten vertreten. Gehen Sie also mit gutem Beispiel voran sprechen Sie auch Dinge an, die unbequem sind. Wenn Sie sich geschickt anstellen und vor dem Hintergrund der Unternehmensziele (anstelle eigener) argumentieren, wird sich das perspektivisch auszuzahlen. Finden Sie einen Weg, sich selbst treu zu bleiben. Das fängt damit an, dass Sie sich für den Arbeitgeber-Typus entscheiden, der Ihrer persönlichen Vorstellung von Aufwand und Nutzen entspricht. Versuchen Sie, Ihre eigenen Beiträge zum Erfolg herauszustellen und sich zu empfehlen – auch als passender Gesprächspartner, um Ideen kritisch zu hinterfragen. Die sind meist seltener, aber gefragter als Jasager. 

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