Rat vom Jobcoach Überall schlechte Nachrichten: Wie Sie sich im Alltag davon nicht lähmen lassen

Von Reinhild Fürstenberg
Sich nicht von der Angst lähmen lassen
Sich nicht von der Angst lähmen lassen
© Getty Images
Der Krieg in der Ukraine verunsichert Frau H. zutiefst. Sie kann nicht mehr gut schlafen, macht sich große Sorgen und ist auf der Arbeit unkonzentriert. Jobcoach Reinhild Fürstenberg erklärt, wie sie in dieser herausfordernden Zeit Sicherheit, Ruhe und Vertrauen in sich selbst finden kann und die Arbeit nicht unter ihren Sorgen leidet.

"Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht." Der Satz der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock ging um die Welt und spricht vielen aus der Seele. Der plötzliche Krieg stellt unser Gefühl der Sicherheit massiv in Frage. Die Wucht der Aggression, die kaum jemand für möglich gehalten hat, löst in vielen nicht nur einen Kontrollverlust, sondern auch ein Gefühl existenzieller Verunsicherung aus. Wie sicher sind wir noch, wenn so etwas passieren kann? Was ist der Frieden, die eigene Sicherheit wert, wenn andere sie einfach überrollen? Aber auch: Was bedeutet die momentane Situation für mich und meine Lieben? Wie lange wird der Krieg dauern und was wird noch alles passieren?

Frau H.* arbeitet als Buchhalterin in einem Verlag und fühlt sich mit ihrem Job und vor allem in ihrem Team sehr wohl. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat sich für sie jedoch einiges geändert. Frau H. fixiert sich nur noch auf ihr Handy: Gebannt verfolgt sie die Nachrichten und Entwicklungen und ist dabei wie gelähmt. Sie kann nicht mehr schlafen und auf der Arbeit ist sie mittlerweile unkonzentriert, abgelenkt und macht Fehler, die ihr sonst nicht passieren. Sie ist sogar schon darauf angesprochen worden. Zudem macht sie sich große Sorgen um ihre Arbeitskollegin, deren Eltern in der Ukraine leben und die dadurch sehr beunruhigt ist. Frau H. ist in den letzten Wochen das Gefühl der Sicherheit verloren gegangen.

Gemeinsam mit Frau H. möchte ich ihr Sicherheitsgefühl und Selbstvertrauen wieder stärken, so dass die zurzeit berechtigte Angst etwas leiser werden darf. Und genau das ist wichtig, weil wir erst, wenn die Angst uns nicht mehr lähmt, wieder klar denken und für uns sorgen können. 

Reinhild Fürstenberg
Reinhild Fürstenberg ist Gesundheitswissenschaftlerin, systemische Beraterin und Familientherapeutin
© Verena Reinke

Sicherheit in sich selbst finden

Zunächst einmal bespreche ich mit Frau H., dass es völlig normal ist, auf diese besonderen und schlimmen Geschehnisse betroffen und emotional zu reagieren, es ist eine gesunde Reaktion auf ungesunde Verhältnisse. Sie darf auch dazu stehen, dass sie Angst hat. Das darf in einer so außergewöhnlichen Situation sein.

Gleichzeitig ist es wichtig, dass Sorge und Angst nicht überhandnehmen und wir uns nicht davon lenken lassen. Das Ruder im Alltag sollten wir fest in der Hand halten. Auch wenn die Nachrichten voll sind von beängstigenden Meldungen und die Situation unsere Gedanken und Gespräche bestimmt. Wir dürfen uns durchaus bewusstmachen, dass der Ukraine-Konflikt zwar ein Teil unseres Lebens, aber eben nicht alles ist. Wir empfehlen deshalb, sich gezielt auch mit anderen Dingen zu beschäftigen – vor allem mit denen, die wir selber beeinflussen und steuern können. Idealerweise tun wir uns täglich etwas Gutes, das uns Freude bringt oder wir einfach gerne machen. Das löst angenehme Gefühle aus, stabilisiert und stärkt. 

Vielen ist mit Frau H. gemein, dass sie das Gefühl haben, hilflos zu sein und nichts tun zu können. Daher ist es gut zu sehen, was vielleicht dennoch getan werden kann, denn das Tun aktiviert direkt unsere Selbstwirksamkeit, also die Kraft in uns, die unser Selbstbewusstsein und damit auch unser Gefühl der Selbstsicherheit nährt. 

Ich überlege mit Frau H., was sie ganz konkret tun kann, um die aktuelle Lage für sich selbst und bestenfalls auch für andere zu verbessern. Ihr fällt ein, dass sie Sachspenden besorgen oder auch in Stellen mit ankommenden Flüchtlingen im Nachbarort tätig sein könnte. Eine Freundin von Frau H. hat eine geflüchtete Frau aus der Ukraine aufgenommen, vielleicht kann sie dort auch unterstützen. Sie denkt auch darüber nach, wie sie ihrer besorgten Arbeitskollegin helfen kann. Vielleicht tut dieser ein gemeinsamer Spaziergang in der Mittagspause gut oder ein Essen und offenes Ohr nach Feierabend. Damit verschiebt sich der Fokus vom Ausgeliefertsein auf aktives Handeln.

Außerdem ermutige ich Frau H., den permanenten Drang, die Nachrichten zu lesen, zu disziplinieren: zwei Mal pro Tag, einmal morgens und einmal am späten Nachmittag, reichen oft schon aus. Den Abend hält sie bestenfalls von dem Thema frei, um zur Ruhe zu kommen, gut zu schlafen und am nächsten Morgen fit und gestärkt für die Arbeit zu sein.

Ich empfehle ihr, sich am Arbeitsplatz nicht ständig an Diskussionen rund um den Ukraine-Krieg zu beteiligen. Sie muss ihre Gedanken nicht rechtfertigen oder ihre Haltung verteidigen. Das Thema in Diskussionen sogar aktiv zu wechseln bedarf vielleicht etwas Mut, ist aber ein wichtiger Moment der Selbstfürsorge und Abgrenzung.

Wenn aber Bedarf besteht und es den Kolleg*innen hilft, können Frau H. und ihr Team regelmäßige, kurze Meetings einberufen, in denen über die Gefühle und Gedanken der einzelnen gesprochen werden kann. Dann hat die Thematik einen festen und auch begrenzten Platz. 

Die Menschen in den von Krieg und Gewalt betroffenen Gebieten in der Ukraine brauchen unsere Hilfe. Die Stiftung stern arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen, die von uns geprüft wurden. Wir leiten Ihre Spende ohne Abzug weiter. Über diesen Link kommen Sie direkt zu unserem Spendenformular.
Die Menschen in den von Krieg und Gewalt betroffenen Gebieten in der Ukraine brauchen unsere Hilfe. Die Stiftung stern arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen, die von uns geprüft wurden. Wir leiten Ihre Spende ohne Abzug weiter. Über diesen Link kommen Sie direkt zu unserem Spendenformular.

Was bei Ängsten hilft

Damit sich Frau H. auch wieder auf Ihre Arbeit konzentrieren kann, gebe ich ihr noch weitere Impulse mit auf den Weg, wie sie mit ihrer Angst umgehen kann.

Entscheidend ist, die Ängste einzuordnen und zu verstehen. Frau H. bekommt dazu konkrete Fragen an die Hand: Was von ihren Ängsten ist wirklich real, was sind ihre eigenen Katastrophengedanken? Was betrifft sie wirklich? Und wenn sie etwas betrifft, was kann sie dann tun, wie kann sie ganz konkret vorgehen?

Wichtiger denn je ist zudem, dass Frau H. jetzt bewusst ihre Beziehungen pflegt und nicht mit ihren Ängsten alleine bleibt und sich vielleicht sogar zurückzieht. Sich auszutauschen und gemeinsam durch schwierige Zeiten zu gehen, stärkt und vermittelt uns: Wir sind nicht allein. Wir fühlen uns sicher und geschützt.

Frau H. könnte sich darüber hinaus einen Notfallplan zu ihrer eigenen Beruhigung machen, auf den sie zurückgreifen kann, wenn die Situation, vor der sie Angst hat, wirklich eintreten sollte. So ein Plan kann z. B. auch beinhalten, sich dann mit der Familie zusammenzusetzen und gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Zuletzt rede ich mit Frau H. noch darüber, dass es in Momenten der Angst hilfreich ist, sich folgende Frage zu stellen:  "Bin ich hier und jetzt, in genau diesem Moment sicher?"

Denn Angstgedanken durchkämmen die Zukunft auf wahrscheinliche Szenarien, die uns gefährlich werden können. Wir sind nicht im Hier und Jetzt. Die Frage "Bin ich hier und jetzt, in genau diesem Moment sicher?" holt uns zurück in den Moment. Frau H. muss feststellen, dass sich ihre eigentliche Lebenswelt nicht wirklich verändert hat: Sie ist gesund, hat ihre Arbeit und Freunde, hat genug zu Essen und auch sonst alles, was sie braucht. 

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Die innere Erlaubnis zu leben

Für Frau H. ist das Sammeln der Tipps zum Umgang mit ihrer Angst sehr hilfreich. Besonders kraftvoll ist für sie jedoch die innere Erlaubnis, dass sie - trotz Krieg in der Ukraine - Freude empfinden, lachen, ihren Geburtstag feiern und Spaß haben darf. Vielleicht sogar mehr denn je. In unsicheren Zeiten empfinden wir das eigene Glück deutlicher als sonst. Hier in Dankbarkeit anstatt in Schuldgefühle zu gehen stabilisiert, wirkt sich positiv auf unser vegetatives Nervensystem aus und lässt uns Zufriedenheit empfinden.

Das Gute daran: Unser Gehirn tut sich schwer damit, zwei gegensätzliche Gefühle wie Angst und Zufriedenheit gleichzeitig zu empfinden. So können wir uns aber wertvolle Pausen schaffen, in denen sich unser Nervensystem beruhigen und regenerieren kann. Dann ist es auch leichter möglich wahrzunehmen, dass sich neben dem Krieg nicht alles im Ausnahmezustand befindet, sondern tatsächlich vieles geblieben ist, wie es ist.

Zum Abschluss: Das Gefühl der Sicherheit ist subjektiv. Und es ist lernbar. Frau H. hat es auch geholfen, die aktuelle Situation als Lernprozess zu verstehen und so gebe ich ihr mit, im Alltag zu untersuchen, was ihr Sicherheit gibt - und davon mehr zu tun.

Hier meine Tipps für Sie zusammengefasst:

  • Disziplinieren Sie Ihren Drang, Nachrichten zu lesen auf 2-mal täglich. Halten Sie den Abend frei von belastenden Themen. Stellen Sie Push-Nachrichten oder Nachrichten-Alerts am Rechner und Handy aus.
  • Vermeiden Sie Auseinandersetzungen zur aktuellen Situation. Sie müssen Ihre Meinung oder Wahrnehmung der Lage nicht diskutieren oder verteidigen. Ziehen Sie sich wenn möglich raus.
  • Wechseln Sie das Thema bewusst, wenn es Ihnen zu viel wird. Sie dürfen für sich sorgen und Grenzen setzen.
  • Seien Sie sich bewusst darüber, dass eine besondere Situation eingetreten ist, sich aber dennoch nicht alles im Ausnahmezustand befindet. Nehmen Sie das, was bleibt, bewusst wahr.
  • Dem Gefühl der Ohnmacht begegnen wir bestenfalls mit Aktivität. Schauen Sie, wie Sie in Ihrer Lebenswelt helfen können.
  • Wenn Sie von Gedanken um Katastrophen-Szenarien überrollt werden, holen Sie sich aktiv in die Gegenwart zurück: Fragen Sie sich, ob Sie jetzt, in diesem Moment, in Sicherheit sind.
  • Sorgen Sie bei Ängsten für sogenannte Musterunterbrechungen: Gehen Sie während der Arbeit kurz an die frische Luft oder in die Kaffeeküche. Sollten Sie nachts vor Sorge nicht schlafen können, stehen Sie auf, setzen Sie sich einen Moment aufs Sofa, lesen Sie ein paar Seiten und gehen Sie dann wieder schlafen.
  • Beruhigen Sie andere, die wie Sie selbst wackeln, auch auf der Arbeit. Während Sie andere beruhigen, hören Ihre Ohren mit: So nutzen Sie ein weiteres Sinnesorgan, welches direkt mit Ihrem Gehirn verbunden ist.
  • Sie müssen sich nicht schlecht fühlen, wenn Sie parallel zur momentanen Situation Ihr Leben leben. Sie dürfen gleichzeitig Freude empfinden, lachen und Ihr Leben genießen.  
  • Erlauben Sie sich alles, was Ihnen guttut.

* Fallbeispiel aus der Beratungspraxis des Fürstenberg Instituts. Der Fall wurde mit dem Einverständnis des/der Betroffenen anonymisiert.

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