OPERNAUSBILDUNG Der Nachwuchs hat es schwer

Wer sich an einer staatlichen Musikhochschule zum Sänger ausbilden lässt, läuft mehr denn je Gefahr, dass seine Bemühungen ins Leere laufen.

Es gibt zu wenig Praxisbezug in der Ausbildung, kritisiert der frühere Frankfurter Opern-Tenor William Cochran. Eine zu geringe Auslese vor und während der Ausbildung bemängeln die Vermittler, die bei der Bundesanstalt für Arbeit stellenlose Sänger betreuen.

Cochran, der an der Düsseldorfer Oper engagiert ist, hatte eine private Aufbauakademie für Opernsänger geplant. Mangels Unterstützung von Sponsoren und vom Land kann er seine Idee aber nun nicht verwirklichen. An der geplanten Akademie wollte er mit dem Opernnachwuchs vor allem an der Bühnenpräsenz und an der persönlichen Ausstrahlung - am schauspielerischen Ausdruck - arbeiten.

»Technisch ist die deutsche Sängerausbildung nach wie vor hervorragend«, sagt Cochran, »aber den Ausschlag für den Erfolg gibt das Charisma der Sängerin oder des Sängers. Es kommt auf den letzten Schliff an.« Darauf werde gerade an den renommierten Privatschulen in den USA, den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich und Italien viel mehr geachtet. Das bestätigt Jost Miehlbradt von der Zentralen Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit in Frankfurt: »Ausländische Künstler haben oft besser gelernt, sich zu verkaufen.«

Die Zahl der festen Engagements sinkt

Die Voraussetzungen für eine Sängerkarriere in Deutschland waren zwar noch nie rosig, doch momentan sind sie wegen sinkender Kulturetats der Städte besonders schlecht. »Ein junges Talent muss gepflegt und gefördert werden wie ein Baby«, meint Cochran, »doch je mehr die Opernhäuser sparen, desto weniger können sie das leisten.«

Die deutschen Opern mit festen Sängerensembles haben nach Angaben des Deutschen Bühnenvereins zwischen den Spielzeiten 1992/93 und 2000/2001 fast ein Viertel der festen Stellen gestrichen. In der Spielzeit 2000/2001 waren 1.462 Opernsängerinnen und -sänger fest an den deutschen Bühnen beschäftigt, 1992/93 waren es noch mehr als 1.900 Stellen gewesen.

Gleichzeitig bilden die meist staatlichen Musikhochschulen immer mehr Sänger aus. Jedes Jahr drängen bis zu 200 frisch examinierte junge Talente auf den ohnehin immer enger werdenden Markt. Sie konkurrieren mit teilweise ausgezeichnet ausgebildeten internationalen Künstlern. Die 1974 geborene belgische Sopranistin Sophie Karthäuser etwa - sie steht demnächst in Frankfurt auf der Opernbühne - hat nach ihrem Studium in Belgien noch in London weitergelernt. »Man muss sehr hart kämpfen, niemand hat auf dich gewartet«, meint sie.

Beim Vorsingen zählt nur die Stimme

Während ihrer Ausbildung werden die hoffnungsfrohen Kandidaten auf dieses Dilemma in der Regel nicht vorbereitet, sagt Miehlbradt. »Wir erleben immer wieder, dass Leute erst einmal in Ohnmacht fallen, wenn sie den Ernst der Lage erfassen.« Ein staatliches Diplom allein bringe überhaupt nichts. »Das absolvieren viel zu viele Sänger, die auf dem Markt keinerlei Chancen haben«, erläutert Miehlbradt. Das ist auch Karthäusers Erfahrung: »Niemand fragt nach einem Diplom, beim Vorsingen zählt nur deine Stimme und deine Bühnenpräsenz.« Nach Miehlbradts Einschätzung hat allenfalls jeder 100. Nachwuchssänger stimmlich, technisch und von der Ausstrahlung her Starpotenzial. Er macht für die Misere auch die fehlende Bereitschaft der Musikhochschulen verantwortlich, ihre Eleven vor und während des Gesangsstudiums rigoros zu prüfen.

Die junge Darmstädter Sopranistin Eleonore Marguerre, in Frankfurt bald in der »Zauberflöte« zu hören, hat außer in Deutschland auch in Wien studiert. »Da gibt es jedes Jahr ein Abschlusskonzert mit Benotung«, sagt sie. Wichtig sei, sich schon sehr früh für das Vorsingen an Opernhäusern zu bewerben - auch wenn viele Hochschulen von frühen Bewerbungen halb ausgebildeter Sänger abrieten. Mit einem Vorsingen könne man den eigenen Marktwert besser einschätzen, meint Marguerre. Ihr fehlte in der Ausbildung außerdem die Vermittlung von rechtlichem Wissen und Selbstmanagement-Kniffen - unentbehrlich bei Vertragsverhandlungen.

Von Herbst an soll die im März gegründete hessische Theaterakademie die Praxislücke in der Ausbildung schließen helfen. Studierende können in jedem Studienjahr eine eigene Inszenierung aus den Sparten Musiktheater, Schauspiel und Tanz auf die Bühne bringen. An der Akademie sind vier Hochschulen in Frankfurt, Offenbach und Gießen beteiligt, dazu die Staatstheater in Wiesbaden, Darmstadt, Kassel und Mainz, das Gießener Stadttheater und das Frankfurter Schauspiel.

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