Stahlindustrie Der Streik hat Signalcharakter

Die IG Metall will 6,5 Prozent mehr Geld für die 85.000 Beschäftigten, das Angebot der Arbeitgeber bleibt bislang weit darunter. Jetzt lässt die Gewerkschaft die Muskeln spielen - und die boomende Stahlindustrie steuert auf einen Streik zu.

Die Beschäftigten gehen auf die Barrikaden. Die boomende Stahlindustrie steuert auf einen Streik zu. Die IG Metall will 6,5 Prozent mehr Geld für die rund 85.000 Beschäftigten in Westdeutschland erkämpfen, das Angebot der Arbeitgeber bleibt bislang weit hinter der Forderung zurück. Zwar ist die Stahlindustrie ein relativ kleiner Wirtschaftszweig, doch dem Konflikt kommt Signalcharakter zu. "Endlich gibt es wieder eine offensive Lohnrunde", meint der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Reinhard Bispinck.

"Nicht alles gefallen lassen"

In anderen Tarifverhandlungen - etwa in der Druckindustrie, dem Öffentlichen Dienst der Länder oder dem Einzelhandel - geht es derzeit für die Beschäftigten nur um Verzicht. In diesen Branchen stellen die Arbeitgeber die Forderungen: Kürzungen bei Lohn und Gehalt, längere Arbeitszeiten ohne Bezahlung oder weniger Weihnachts- und Urlaubsgeld. Den Gewerkschaften bleibt da oft nicht viel mehr, als die schlimmsten Verschlechterungen zu verhindern. "Jetzt können wir zeigen, dass wir uns nicht alles gefallen lassen", meint ein Gewerkschafter.

Die Stahlindustrie steht glänzend da. Vor allem wegen des Stahlhungers in China arbeiten die deutschen Hüttenwerke an der Kapazitätsgrenze. 2004 wurde so viel Stahl produziert wie seit der Wiedervereinigung nicht, die wenigen großen Unternehmen der Branche melden allesamt Gewinnrekorde. "Die Stahlindustrie boomt wie seit Jahrzehnten nicht mehr, die Vorstände haben ihre Bezüge ausnahmslos zweistellig, teilweise um 39 und sogar um 64 Prozent, erhöht. Aber die Arbeitnehmer wollen sie mit einer Lohnerhöhung unter der Inflationsrate abspeisen", empört sich IG-Metall-Vize Berthold Huber.

"Profitieren nur noch Aktionäre?"

Die aktuelle Diskussion um die Auswüchse des Kapitalismus gibt der IG Metall Rückenwind. SPD-Parteichef Franz Müntefering hatte in seiner Brandrede ganz klar gesagt: "Teilhabe erfordert auch einen gerechten Anteil am wirtschaftlichen Erfolg." Der Tarifkonflikt in der Stahlindustrie dient nun als beste Illustration, was Müntefering meint. "Das ist der Beweis, dass die Unternehmer sich wirklich so verhalten, wie ihnen vorgeworfen wird", sagt ein Metaller. Der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Huber, spricht gar von einer Richtungsentscheidung: "Profitieren nur noch Aktionäre und Vorstände vom wirtschaftlichen Wachstum oder auch die Beschäftigten?"

Die IG Metall geht deshalb bei der Mobilisierung der Beschäftigten für eine Streik auch von einer breiten öffentlichen Unterstützung aus. Bei ihrem letzten Arbeitskampf im Sommer 2003 zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche hatte sie die Mehrheit im Land gegen sich. Nicht zuletzt dieses Fehlkalkül führte seinerzeit zu dem traumatischen Scheitern des Streiks, der die Gewerkschaft in eine tiefe Krise stürzte. Ein erfolgreicher Arbeitskampf in der Stahlindustrie würde der IG Metall wieder Selbstbewusstsein zurückgeben und sie für die im Spätherbst beginnende Metall-Tarifrunde stählen. "Wenn wir es jetzt nicht schaffen, können wir gleich einpacken", meint ein Mitglied.

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Angela Schiller/DPA

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