Vor dem Hintergrund dauerhafter Massenarbeitslosigkeit nimmt die psychische Belastung der Menschen, die noch einen Arbeitsplatz haben, ständig zu. Unternehmen schließen wegen sinkender Gewinne und des härter werdenden Konkurrenzdrucks ganze Abteilungen, und für die verbliebenen Arbeitnehmer wird die Arbeit immer mehr. Dazu kommt die wachsende Angst um den eigenen Job. Immer häufiger baut sich ein derartiger Frust auf, dass ernsthafte Erkrankungen entstehen.
Stress kostet Milliarden
Längst hat sich dieser Trend in den Statistiken niedergeschlagen, nicht nur in Deutschland. In EU-weiten Umfragen aus den Jahren 1996 und 2000 berichteten 28 Prozent der Beschäftigten von stressbedingten Problemen, die Zahl wurde nur noch von Klagen über Muskel-Skelett-Erkrankungen (30 und 33 Prozent) übertroffen. Schätzungen zufolge verursacht der Stress am Arbeitsplatz in der Europäischen Union 50 bis 60 Prozent aller Krankheitstage und damit jährliche Kosten in dreistelliger Milliardenhöhe, auch für die Unternehmen, wie die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz berichtet.
Die körperliche Belastung hat zwar abgenommen, doch seit Anfang der 90er Jahre hat sich die stetig steigende psychische Belastung der Beschäftigten zum "massiven Problem" ausgeweitet, sagt der Arbeitswissenschaftler Karl Kuhn von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. In einer Umfrage der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung unter Betriebsräten berichteten 90 Prozent von in den vergangenen fünf Jahren gestiegenen psychischen Belastungen wie Terminhetze, Arbeitsintensität und Verantwortungsdruck. Getan werde dagegen viel zu wenig, beklagten die Arbeitnehmervertreter.
Hohe psychische Belastung
Bei den Rentenzugängen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit standen psychische Erkrankungen in den Jahren 2001 und 2002 ganz oben auf der Liste der Gründe, im Jahr 2002 machte ihr Anteil 28,5 Prozent aus, Tendenz steigend. Dazu kommt, dass die Nummer zwei auf der Liste, Rückenschmerzen, häufig ebenso auf Dauerstress am Arbeitsplatz zurückzuführen ist, wie Kuhn sagt.
Besonders hoch ist laut Kuhn die psychische Belastung in sozialen Berufen, allen voran bei Lehrern, aber auch Kranken- und Pflegeschwestern sowie Sozialarbeiter stünden nicht zuletzt wegen der immensen Einsparungen in ihrer Branche unter erheblichem Druck. Ähnliches ist laut Kuhn auch in anderen Berufen zu beobachten, die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben laut Umfragen auch zahlreiche Beschäftigte in Werkshallen, deren Alltag vom Rhythmus einer Maschine bestimmt wird.
Angst vorm Versagen
In allen Berufen und Branchen gebe es indes das "Grundrauschen der Angst", wie Kuhn sagt - Angst vor Arbeitslosigkeit angesichts immer neuer Entlassungswellen, Angst vor dem Versagen angesichts ständig neuer Herausforderungen. Stress am Arbeitsplatz kann auch aus Zeitdruck, zu geringer Selbstbestimmung, Lärm, aber auch mangelnder Anerkennung für die eigene Leistung entstehen.
Die Folgen für Körper und Psyche können kurz- und langfristiger Natur sein, wie die Arbeitspsychologin Barbara Weißgerber sagt. Die Kette kann von kurzfristigen Konzentrationsstörungen und Gedächtnisblockaden längerfristig über Bluthochdruck und erhöhtes Herzinfarktrisiko, Rücken- und Magenbeschwerden bis hin zu Suchterkrankungen und Depressionen reichen.
Rat bei Experten suchen
Hilfe sollten Betroffene in erster Linie in ihrer Firma suchen, raten die Experten. Denn das Betriebsklima könne niemand alleine ändern. Die Vorgesetzten und/oder Betriebsrat sollten Ansprechpartner sein. Zugleich sollte man das eigene Verhalten überprüfen, die Zeiteinteilung bei der Arbeit, aber auch die eigenen Strategien zur Problem- und Konfliktbewältigung sowie das Freizeitverhalten. Hilfe bieten dabei unter anderem die Krankenkassen an, beispielsweise mit Kursen über richtiges Zeitmanagement.