Es war Ende Februar als die US-Behörden dem Corona-Impfstoff Janssen des US-amerikanischen Pharmaunternehmens Johnson & Johnson (J&J) eine Notfallzulassung erteilten. Janssen war damit der dritte Musketier im Kampf gegen das Virus. Zuvor waren die Wirkstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer zugelassen worden.
J&J-CEO Alex Gorsky feierte die Entscheidung der FDA und CDC als "goldenen Moment". Im Gespräch mit Journalisten von CBS News zeigte sich Gorsky optimistisch, dass sein Impfstoff gegen das Coronavirus sehr gefragt sein werde. Die durchgeführten Studien hätten gezeigt, dass das Vakzin zuverlässig vor den damals kursierenden Virusmutationen unter anderem aus Brasilien und Südafrika schütze. Zugleich, und das sei besonders wichtig, hätte keiner der Probanden unter einem schweren Verlauf gelitten, ins Krankenhaus gemusst oder sei an dem Virus verstorben. Damit unterschied sich das Vakzin nicht sonderlich von seinen Konkurrenten.
Doch ein Detail machte den Impfstoff zu etwas Besonderem. Die Menschen müssten lediglich einen Piks über sich ergehen lassen, "danach sind sie durch", berichtete Gorsky euphorisch. Er zeigte sich optimistisch, dass sich viele Menschen aus Bequemlichkeit mit seinem Stoff impfen lassen würden. Auch in Europa und in Deutschland wurde das Vakzin verabreicht.
Das Corona-Geschäft verhalf dem Konzern zu neuer Größe. J&J ist ein börsennotiertes Pharma- und Konsumgüterunternehmen. Die Pharmasparte machte die Firma 2020 mit 82,6 Milliarden US-Dollar zum umsatzstärksten Arzneimittelhersteller der Welt. 2021 erhöhte das Unternehmen seine Umsatzerwartungen auf 94,1 bis 94,6 Milliarden Dollar. Das entspricht einem Plus von ungefähr 14 Prozent. Auch in diesem Jahr kann der Konzern bisher seinen Platz auf dem Siegertreppchen verteidigen. Doch fragt sich, ob das auch im nächsten Jahr noch so sein wird. Denn das Unternehmen ist in diverse Streitigkeiten verwickelt und steht vor dem Aus. Das Vakzin spielt dabei nur zum Teil eine Rolle.
Dramatische, aber seltene Nebenwirkungen
Die Euphorie über den neuen Impfstoff im Frühjahr währte nur kurz. Als Stimmungskiller erwiesen sich seltene Blutgerinnsel, die den Nutzen der Impfung in Frage stellten. Sechs Frauen zwischen 18 und 60 Jahren erlitten nach der Impfung eine Sinusvenenthrombose. Die USA setzten die Verabreichung des Impfstoffs aus. Gleichzeitig verhängte die Regierung einen Produktionsstopp. In dem Werk in Baltimore, wo sowohl J&J als auch Astrazeneca ihre Wirkstoffe produzieren ließen, wurden die Vakzine verwechselt – und 15 Millionen Dosen unbrauchbar gemacht.
In der Zwischenzeit versuchte das Unternehmen die Bedenken wegen der seltenen, aber doch dramatischen Nebenwirkungen auszuräumen. Hierfür bemühte sich Gorsky um eine Allianz mit den anderen Pharmafirmen. Doch lediglich Astrazeneca war an der Zusammenarbeit interessiert, wie das "Wall Street Journal" berichtete. Moderna und Pfizer fürchteten hingegen, ihre Produkte könnten in Verruf geraten, wenn sie mit den Konkurrenten genannt würden. Auch der Wirkstoff von Astrazeneca war im Frühjahr wegen den seltenen Hirnvenenthrombosen als Nebenwirkung in die Schlagzeilen geraten.
Mittlerweile wird das Vakzin von J&J in den USA wieder verabreicht. Auch in Deutschland können sich die Bürger damit impfen lassen. Laut Bundesgesundheitsministerium gilt der Vektor-Wirkstoff als "sicher und wirksam". Allerdings wird er hierzulande wegen der Nebenwirkungen nur für über 60-Jährige empfohlen. Im Vergleich zu den Konkurrenten von Biontech, Moderna und Astrazeneca schützt das Vakzin zudem deutlich schlechter vor einer Infektion. Die Stiko beruft sich hierfür auf Zulassungsstudien, wonach J&J zu knapp 67 Prozent vor einem schweren Krankheitsverlauf schützt. Die Wirkstoffe von Moderna und Biontech schützen nach der zweiten Impfung zu 95 Prozent, Astrazeneca schützt bis zu 80 Prozent vor einem schweren Verlauf.
Wie mehrere Studien gezeigt haben, lässt der Impfschutz bei allen Vakzinen wieder nach. So auch bei J&J. Dort liegt die Wirksamkeit nach sechs Monaten bei ungefähr 13 Prozent, ist praktisch nicht existent. Das Versprechen von CEO Alex Gorsky, die Menschen müssten sich lediglich einmal impfen lassen, ist damit hinfällig. Zuletzt hatte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) den Antrag des Unternehmens bewilligt und empfiehlt nun auch das Janssen-Vakzin für die Impfauffrischung. Im Vergleich zu den anderen Wirkstoffen muss diese aber bereits nach zwei Monaten erfolgen.

J&J für Impfkampagne kaum von Bedeutung
Überzeugt hat der Impfstoff damit bis heute nicht. In der Impfkampagne in den USA spielt J&J deswegen eine untergeordnete Rolle. Auf insgesamt 284 Millionen verimpfte Dosen von Biontech und 186 Millionen Dosen Moderna kommen lediglich 17 Millionen Dosen J&J. Ähnlich sieht es in Deutschland aus. Wurden von dem Impfstoff von Biontech mehr als 109 Millionen Dosen geliefert, sind es von J&J lediglich rund fünf Millionen.
Mittlerweile empfiehlt die US-Behörde CDC, die Impfstoffe von Biontech und Moderna dem von J&J vorzuziehen. Im Vergleich zu den mRNA-Impfstoffe von Moderna und Biontech sei der Impfstoff von J&J weniger wirksam und berge höhere Gesundheitsrisiken, erklärte die CDC-Expertin Sara Oliver. Zuvor hatte ein unabhängiger Expertenausschuss empfohlen, wegen der Gefahr seltener Blutgerinnsel den J&J-Impfstoff zu vermeiden. Bis zum 9. Dezember zählte die CDC neun Todesfälle. Bis Ende August wurden 54 Thrombose-Fälle registriert, 36 Menschen mussten auf einer Intensivstation behandelt werden. Ein besonders hohes Risiko hätten demnach Frauen zwischen 18 und 49 Jahren. Unter den Verstorbenen waren aber auch zwei Männer.
J&J betonte zuletzt, sein Corona-Impfstoff sei ein "lebensrettendes Instrument für Menschen in Hochrisiko-Gruppen". Die Experten des CDC-Beratergremiums waren sich zudem einig, dass keine Empfehlung gegen den J&J-Impfstoff ausgesprochen werden sollte, weil dies ein negatives Signal an Länder senden würde, in denen das Vakzin die einzige Option sein könnte.
Allerdings sind auch die Wirkstoffe von Moderna und Biontech nicht ohne Risiken. Am Freitag wurde in der medizinischen Fachzeitschrift "British Medical Journal" eine breit angelegte Studie veröffentlicht, der zufolge das Moderna-Vakzin ein geringes Risiko für meist nicht schwerwiegende Herzprobleme berge. Der Studie zufolge ist das Risiko einer Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündung besonders bei Menschen im Alter von 12 bis 39 Jahren erhöht. Der Krankheitsverlauf war demnach jedoch meist glimpflich. Auch bei Biontech wurde ein geringes Risiko bei Frauen bestätigt.
J&J's Nebenschauplätze
Der Wirkstoff gegen das Coronavirus ist nicht der einzige Grund für die Bredouille, in der das Unternehmen J&J gegenwärtig steckt. Der Konzern soll unter anderem in der Opioid-Krise in den USA verwickelt sein. Der Rechtsstreit dauert bereits seit Jahren an. J&J sowie drei weitere Konzerne werden beschuldigt, mit Schmerzmitteln zur grassierenden Medikamentenabhängigkeit in den USA beigetragen zu haben. Hierfür sollen die Konzerne Arzneimittel vermarktet, jedoch nicht auf die Suchtgefahr aufmerksam gemacht haben. In der Opioid-Krise sind zwischen 1999 und 2019 ungefähr 500.000 US-Bürger durch Überdosen von verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln und illegalen Drogen gestorben.
Nach dem jüngsten Skandal droht dem Unternehmen sogar das Aus. Zuletzt wurde das Unternehmen wegen eines Babypuders verklagt. Dieses soll mit Asbest verunreinigt sein und kann womöglich Eierstockkrebs auslösen. Davon soll der Konzern gewusst haben. Seit 2015 machen zehntausende Frauen den Konzern für ihre Erkrankungen verantwortlich. Insgesamt wurden bisher 38.000 Klagen eingereicht – gezahlt hatte das Unternehmen bisher 2,5 Milliarden Dollar. Experten gehen davon aus, dass noch mehr Klagen erhoben und die Kosten für das Unternehmen noch steigen könnten.
Angesichts dessen hatte J&J vor einigen Wochen die Insolvenz angemeldet. Allerdings handelt es sich dabei nur um die Sparte "LTL Management", die sich mit der Babypuder-Klage befasst. Bei der Insolvenz handelt es sich Beobachtern zufolge um einen Trick, um die noch ausstehenden und möglicherweise folgenden Zahlungen im Babypuder-Skandal nicht begleichen zu müssen. Dieses Vorgehen, auch als "Texas Two-Step" bekannt, ist jedoch nur in einigen US-amerikanischen Bundesstaaten möglich – etwa in North Carolina, wo J&J seinen Firmensitz hat. Ob das Unternehmen damit durchkommt, ist allerdings fraglich. Mehrere Anwälte haben deswegen bereits Klage eingereicht.
Quellen: Bundesgesundheitsministerium, Stiko, CBS News, Manager Magazin, "Wall Street Journal", Brand Finance, NBC News, "Ärzteblatt", "Jama", DPA, AFP