Kleinanzeigen-CEO Warum es so schwierig ist, nachhaltig zu konsumieren

  • von Paul Heimann
Unter anderem eine Vielzahl verschiedener Umweltsiegel erschwert Verbrauchern den nachhaltigen Konsum
Unter anderem eine Vielzahl verschiedener Umweltsiegel erschwert Verbrauchern den nachhaltigen Konsum
© TT / Imago Images
Hohe Preise, eine Vielzahl verschiedener Labels und immer neue Gesetze: Alles das bewirkt, dass es Menschen schwerfällt, nachhaltig zu leben, kommentiert Kleinanzeigen-CEO Paul Heimann.

Fast jeder hat sich schon einmal dabei ertappt: Eigentlich ist der Wille da, nachhaltiger zu leben. Aber dann wird es doch die Flugreise statt der Bahnfahrt, das Schnitzel statt der Gemüsepfanne oder der Artikel der Discount-Marke – und nicht das Bio-Produkt. Für dieses Phänomen gibt es einen Fachbegriff: Attitude Behavior Gap. Es beschreibt die Diskrepanz zwischen der Einstellung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu einem Thema – und deren tatsächlichem Verhalten.

In Deutschland ist diese Diskrepanz besonders ausgeprägt. Das zeigt etwa die Circular-Economy-Studie von Kleinanzeigen. Darin haben Forschende des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie errechnet, dass sich selbst zwei Drittel (65 Prozent) der Menschen mit positiver Umwelteinstellung nur gelegentlich, selten oder nie umweltbewusst verhalten. Grund dafür ist, dass es ihnen selbst im Alltag oftmals schwer gemacht wird, nachhaltigen Empfehlungen und Alternativen zu folgen. 

Paul Heimann ist seit Juni 2021 CEO von Kleinanzeigen
Paul Heimann ist seit Juni 2021 CEO von Kleinanzeigen
© PR

So hat laut Umfrage mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) Schwierigkeiten damit zu beurteilen, ob Nachhaltigkeitsinformationen vertrauensvoll sind. Und beinahe genauso vielen (45 Prozent) fällt es schwer herauszufinden, ob ein Produkt nachhaltig hergestellt wurde. Allerdings ist beides gerade denen besonders wichtig, die beim Konsum auf Nachhaltigkeit achten wollen.

Diese Verunsicherung kommt nicht von ungefähr. Denn wer nachhaltiger konsumieren möchte, sieht sich tatsächlich einer Vielzahl von Hürden gegenüber. Die erste bildet bereits die Preistafel ab. Nachhaltige Produkte kosten im Schnitt 75 bis 85 Prozent mehr als herkömmliche. Das hat die Unternehmensberatung Kearney errechnet. Dabei sind Verbraucherinnen und Verbraucher in Zeiten von Inflation und steigender Preise seltener bereit, mehr Geld für nachhaltige Produkte auszugeben. Ihr Anteil hat sich laut Monitor Deloitte 2022 im Vergleich zu 2021 mehr als halbiert. Geld ist ein Faktor.

Zeit ist ein Faktor

Vor der nächsten Hürde stehen Konsumentinnen und Konsumenten, wenn sie erkennen wollen, welche Artikel nachhaltig sind – und welche nicht. Hier ein neues Gesetz, dort ein neues Umweltsiegel. Da mitzuhalten, fällt selbst Fachleuten schwer. Insbesondere im Handel. Mit dem EU-Energielabel etwa für Elektrogeräte, dem Bio-Siegel für Lebensmittel, dem EU Ecolabel und dem Blauen Engel für verschiedene Alltagsprodukte sowie dem Grünen Knopf für Bekleidung empfiehlt das Umweltbundesamt allein fünf Labels für diese Branche. Sich mit all diesen Labels auseinanderzusetzen, erfordert viel Zeit. Und Zeit ist ebenfalls ein Faktor.

Auch der Gesetzgeber mischt kräftig mit. So haben sich die Abgeordneten des EU-Parlaments und die EU-Mitgliedsstaaten auf neue Produktvorgaben geeinigt. Sie wollen unter anderem jene Öko-Labels auf Produkten verbieten, die nur der Werbung dienen. Ziel ist es, das sogenannte Greenwashing zu erschweren, mit dem sich Unternehmen ein grünes Image geben, obwohl die Produkte anerkannte Nachhaltigkeitsanforderungen nicht erfüllen. Anforderungen, die sich in Gesetzen wie beispielsweise dem Kreislaufwirtschaftsgesetz wiederfinden. Dieses Gesetz wurde bereits 2012 verabschiedet, aber ab 2024 treten neue Regelungen in Kraft. Heißt: Wieder Neuerungen beachten, wieder informieren, wieder einlesen. Die Bereitschaft, sich mit den ständig verändernden Rahmenbedingungen zu beschäftigen, ist ein Faktor.

Die Bereitschaft ist da – was fehlt, ist Orientierung

Hohe Preise, eine Vielzahl verschiedener Labels und immer neue Gesetze: Alles das bewirkt, dass es Menschen schwerfällt, nachhaltig zu leben. Selbst jenen mit positiver Umwelteinstellung. Dabei müsste, wer den Handel nachhaltiger machen will, eigentlich das Gegenteil bewirken – und nachhaltigen Konsum vereinfachen. Dafür braucht es statt immer neuer Gesetze und Siegel eher Anreize und klare Regeln. Anreize finanzieller Natur wie die Förderung nachhaltiger Produkte, die zu Preisnachlässen führt. Oder stärkere Anreize zum Kauf gebrauchter Artikel, denn Vorhandenes zu nutzen ist per se nachhaltig. Regeln und Gesetze sollten Verbraucherinnen und Verbrauchern als Orientierung dienen – und sie nicht verwirren. Ein einheitliches Öko-Label für verschiedene Produktgruppen wäre zum Beispiel viel leichter zu durchdringen als fünf verschiedene.

An der Bereitschaft der Verbraucherinnen und Verbraucher soll es schließlich nicht scheitern. Dass diese durchaus groß ist, zeigt auch ein Blick in die Circular-Economy-Studie. So geben fast zwei Drittel der Befragten (60 Prozent) an, Nachhaltigkeit sei ihnen wichtig. Für 44 Prozent ist sie innerhalb der vergangenen zwei Jahre sogar wichtiger geworden. Zudem haben Extremwetter (41 Prozent), aber auch die Präsenz des Themas in den Medien (29 Prozent) dazu geführt, dass Menschen ihr Verhalten zugunsten der Umwelt verändern. Allerdings sehen viele auch die Politik (67 Prozent) und Wirtschaft (74 Prozent) in der Pflicht, mehr zu tun. Ein erster Schritt sollte sein, endlich für klare Regeln zu sorgen.

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei "Capital". 

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