Der Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn hält die Gefahr eines drastischen Wirtschaftseinbruchs als Folge der Anschläge in den USA für nicht gebannt. »Sollten die USA zum Beispiel Afghanistan angreifen und einen Krieg im Nahen Osten beginnen, hätte das gravierende Folgen für die Energieversorgung«, sagte Sinn in einem vorab veröffentlichen Interview des Magazins »Focus«. »Der Ölpreis könnte in die Höhe schnellen und die Weltwirtschaft könnte in eine Rezession schlittern, von der auch wir betroffen wären«, sagte er. Wird ein Krieg vermieden, ist es allerdings wahrscheinlich, dass die Anschläge keine größeren Folgen für die Weltwirtschaft haben.
Amerika nicht länger 'sicherer Hafen'
»Der direkte Schaden ist mit einem Erdbeben zu vergleichen, dessen wirtschaftliche Konsequenzen auch dank des weltweiten Rückversicherungssystems beherrschbar sind«, sagte Sinn. Allerdings darf man bei der Abschätzung der wirtschaftlichen Folgen der Terrorakte in New York und Washington vom Dienstag und einer etwaigen Gegenreaktion der USA nicht den psychologischen Effekt auf die Einschätzung von Anlagen in den USA vernachlässigen. »Amerika gilt plötzlich nicht mehr als sicherer Hafen in der Welt«, sagte Sinn. Es könnte geschehen, dass dann Europa plötzlich als relativ sicherer Investitionsstandort dasteht. Auch eine Rückbesinnung auf Asien kann er sich vorstellen.
US-Konjunktur wird sich abschwächen
Als direkte Folge der Anschläge rechnet Sinn damit, dass sich die erhoffte wirtschaftliche Belebung in den USA verzögert. Der Hoffnungsschimmer, den es zuletzt gegeben hat, wird durch die Anschläge wieder überdeckt. »Es ist durchaus möglich, dass sich die amerikanischen Verbraucher erst einmal beim Konsum zurückhalten und dass die Investitionen sich weiter abschwächen«, sagte der Ifo-Präsident. Extrem pessimistische Einschätzungen hält er aber für eine Überreaktion.
Verpflichtung zu Sanktionen
Europa und auch Deutschland wären außerdem stärker betroffen, wenn die Amerikaner als Antwort auf die Anschläge ihre Bündnispartner zu Sanktionen gegen bestimmte Staaten verpflichten. Solche Sanktionen würden die europäischen Staaten vermutlich stärker als die amerikanischen treffen. »So wäre zum Beispiel auch Deutschland mit seinen traditionell guten Beziehungen zu den arabischen Ländern besonders stark von Handelsbeschränkungen betroffen«, sagte Sinn. Insgesamt sieht er als Langfristwirkung: »Die Supermacht USA ist verwundbar geworden. Das wird sich in die Psyche aller eingraben und die Welt verändern«.