Die "Norwegian Pearl" ist ein Kreuzfahrtschiff der Luxusklasse: 47 Suiten, zehn Restaurants, sechs Whirlpools, sogar Kegelbahnen gibt es. Die Meyer-Werft in Papenburg hat es, wie viele andere Luxusliner auch, gebaut und wollte es am Samstag über die Ems ausschiffen. Dafür musste die Hochspannungsleitung über dem Fluss abgeschaltet werden, um einen Funkenschlag auf das Schiff zu verhindern. Ungefähr 20 Mal habe man die Leitung bei vergleichbaren Manövern abgeschaltet, sagt Peter Hackmann, Sprecher der Meyer-Werft. "Und es hat noch nie Probleme gegeben." Am Samstag jedoch gingen in weiten Teilen Europas in die Lichter aus: Blackout.
Der Stromriese Eon nahm die Schuld dafür auf sich, allerdings ohne die konkrete Ursache zu benennen. Eon-Vorstand Klaus-Dieter Maubach sagte im ZDF, durch die Abschaltung hätten sich Stromlasten auf andere Leitungen verteilt, was dann zu Überlastungen geführt habe. In seinen Worten klang es so, als hätte sich der Strom selbständig rauf und runter gepegelt. Tatsächlich jedoch haben Eon-Mitarbeiter in Lehrte den Vorgang gesteuert. "Man kann darüber spekulieren, dass es ein Missmanagement auf der Netzebene gab", sagt Rainer Wiek von Energie Informationsdienst. Auch Manfred Panitz, Vorstand des Bundesverbandes der Energieverbraucher, tippt auf diese Ursache: "Ich habe das Gefühl, dass Fehlschaltungen erfolgt sind."
Eon dementiert. "Wir haben keinen Fehler gemacht", sagt Anja Chales de Beaulieu, stellvertretende Presseprecherin von Eon-Netz. Es sei vielmehr so, dass sich nach der Abschaltung der Ems-Leitung zwei weitere große Leitungen in Nordwestdeutschland aus dem Netz verabschiedet hätten - "aus uns bislang nicht bekannten Gründen". Nun will das Unternehmen den Vorfall analysieren, wenn nötig auch in Zusammenarbeit mit der staatlichen Bundesnetzagentur. "Wir haben nichts zu verbergen", sagt Chales de Beaulieu. Ihrer Ansicht nach könnte zum Beispiel ein "Leitungsschwingen" zum Ausfall geführt haben. Oder auch ein Gewitter.
Eon glaubt an höhere Gewalt
Wäre es so, müsste sich Eon keine weiteren Sorgen machen, denn für Störungen aufgrund höherer Gewalt ist das Unternehmen nicht haftbar. In Deutschland sind die Schäden dem ersten Eindruck nach ohnehin eher gering. Auf dem Flughafen Köln-Bonn sprangen sofort die Notstrom-Aggregate an. "Das war für uns wie eine unfreiwillige Übung", sagt Flughafen-Sprecher Walter Römer. Zu Verzögerungen oder gar Flug-Ausfällen sei es nicht gekommen. Auch die großen Unternehmen der Tiefkühl-Branche wie Bofrost und Dr. Oetker verzeichneten aufgrund ihrer Notfall-Aggregate keine Schäden. Jürgen Schröder, Jurist der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, kann sich zwar vorstellen, dass jemand aufgrund des Stromausfalls im Dunkeln die Treppe heruntergefallen ist, aber konkrete Beschwerden liegen im nicht vor.
Ernstlich betroffen war offenbar nur die Bahn: Am Samstag blieben mehr als 100 Züge liegen, die Passagiere mussten bis zu zwei Stunden Verspätung in Kauf nehmen. Ein Bahnsprecher sagte zu stern.de, man müsse die Vertragsverhältnisse prüfen und die Ursachenanalyse abwarten und würde sich gegebenenfalls an Eon schadlos halten. Damit hätte der Konzern das erste Problem am Hals. Weitere könnten folgen, denn im europäischen Ausland ging der Blackout nicht so glimpflich ab wie in Deutschland. Während hier der Strom nur 30 Minuten ausblieb, waren in den Nachbarländern die Steckdosen bis zu eineinhalb Stunden tot.
Windenergie war nicht die Ursache
Zwei weitere Theorien zum Stromausfall, die am Montag durch die Presse zirkulierten, scheinen nicht weiter tragfähig zu sein. In Berlin gab Bernhard Hillebrand, Chef des privaten Energieforschungsinstitutes EEFA zu Protokoll, die unkoordinierte Einspeisung von Windenergie könnte den Ausfall verursacht haben. Selbst Eon-Sprecherin Chales de Beaulieu sagt, man könne der "Windenergie nicht die Schuld in die Schuhe schieben". Die Einspeisung habe sich relativ genau auf dem Niveau befunden, dass die Windkraftbetreiber prognostiziert hätten - worauf auch der Bundesverband Windenergie in einer Pressemitteilung hinweist.
Neben Hillebrand meldete sich Aribert Peters, Chef des Bundes der Energieverbraucher, zu Wort. Er beklagte, die Stromnetze seien "marode", weil zu wenig investiert werde. Sowohl Wiek vom Energie Informationsdienst als auch Manfred Panitz vom Bundesverbandes der Energieverbraucher sind der Ansicht, man könne in die Netze mehr investieren. Aber dass sie "marode" seien, weisen beide zurück. Immerhin kommt es in Deutschland weit seltener als im Ausland zu Stromausfällen.
Norwegian Pearl, zweiter Versuch
Die Ausschiffung der "Norwegian Pearl", die für Samstag geplant war, findet nun am Montagabend statt. Der Luxusliner soll um 20 Uhr die Werft verlassen und die Ems hochfahren. Im Lehrter Eon-Zentrum werden die Mitarbeiter dann wieder die Hochspannungsleitung über dem Fluss abschalten. Diesmal geht sicher alles glatt - und es werden sich keine Leitungen aus mysteriösen Gründen verabschieden.