Für die Kämmerer vieler Auto-Städte ist es ein neues Gefühl: Statt auf sprudelnde Gewerbesteuer zurückgreifen zu können, müssen sie sparen. Denn wegen der Krise der Autoindustrie brechen bei den Unternehmen die Gewinne weg – und bei den lange verwöhnten Auto-Kommunen die Einnahmen.
Zwar gehörten Städte wie München, Stuttgart, Wolfsburg und Ingolstadt 2024 weiter zu den einnahmestärksten in Deutschland, so das Ergebnis des jüngst vorgestellten "Kommunalen Finanzreports" der Bertelsmann-Stiftung. Doch das könnte sich schnell ändern, sagt Studien-Mitautor René Geißler von der Technischen Hochschule Wildau.
"Die Automobilindustrie sendet momentan ja eigentlich nur schlechte Nachrichten", so Geißler. "Und alle die Gemeinden, die entsprechende Betriebe haben, die merken das sehr schnell in ihren Kassen."
Stuttgart bekommt Autokrise zu spüren
Die wirtschaftliche Abkühlung trifft die kommunalen Haushalte im Großraum Stuttgart mit voller Wucht. Kein Wunder, haben doch eine ganze Reihe großer Unternehmen wie Mercedes-Benz, Porsche sowie die Zulieferer Bosch und Mahle ihren Sitz in der Region.
Besonders die Landeshauptstadt muss den Gürtel enger schnallen: Obwohl schon an einigen Stellschrauben gedreht wurde, fehlen im Doppelhaushalt 2026/27 noch fast 800 Millionen Euro. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) zufolge handelt es sich bei dem Sparhaushalt um "eine kontrollierte, allerdings für alle stark spürbare Bremsung".
Im Rekordjahr 2023 nahm Stuttgart noch gut 1,6 Milliarden Euro an Gewerbesteuer ein. Für 2025 rechnet die Stadt nun mit 850 Millionen Euro. "So wie Stuttgart in wirtschaftlich starken Zeiten insbesondere von der Automobilindustrie und ihren Partnern profitierte, schlagen Rückgänge bei Umsatz und Export sich jetzt direkt auf die städtischen Finanzen nieder", heißt es von der Stadtverwaltung.
Weissach leidet unter Porsche-Einbruch
Noch härter trifft es die nahe Gemeinde Weissach, Sitz des Porsche-Entwicklungszentrums: Für 2025 hatte die Kämmerei zunächst mit 65 Millionen Euro Gewerbesteuer gerechnet – und musste die Prognose unlängst drastisch zusammenstreichen: auf drei Millionen Euro. Sindelfingen, eng mit Mercedes verbunden, rechnet mit einem Minus um ein Viertel auf 148 Millionen Euro.
Rücklagen in Wolfsburg aufgebraucht
Auch am VW-Stammsitz Wolfsburg sind die guten Zeiten vorbei: "Die Gewerbesteuer ist und bleibt die zentrale Einnahmequelle der Stadt, weshalb wirtschaftliche Rückgänge beim Volkswagenkonzern und Unternehmen der Zuliefererbranche erhebliche Auswirkungen auf den Haushalt haben", sagte ein Sprecher der Stadt.
2024 brachen die Gewerbesteuereinnahmen bereits um 40 Prozent auf 151 Millionen Euro ein. 2025 wird mit einem weiteren Rückgang gerechnet. Für 2025 und 2026 legte die Stadt Sparhaushalte auf: Mindestens fünf Millionen Euro sollen eingespart werden, vor allem bei Sachkosten und Personal.
Bis 2014 konnte sich die Stadt über sprudelnde Gewerbesteuereinnahmen freuen, war schuldenfrei und bildete Rücklagen für schlechte Zeiten. Doch dann kam 2015 der Diesel-Skandal – und ließ bei VW Gewinne und Steuerzahlungen wegbrechen. Inzwischen sind die Ersparnisse von einst aufgebraucht, bis 2029 erwartet die Stadt einen Kreditbedarf von 455 Millionen Euro.
"Historisch schwierige Situation" in Ingolstadt
Die Stadt, in der die kriselnde VW-Tochter Audi sitzt, hat ähnliche Probleme: Auch dort bricht die Gewerbesteuer ein. 2023 waren es noch 191,5 Millionen Euro. Für das laufende Jahr hatte die Stadt zunächst mit 70 Millionen gerechnet, geht inzwischen aber von nur noch von 55 Millionen aus.
Oberbürgermeister Michael Kern (CSU) sprach jüngst von einer "dramatischen, äußerst herausfordernden und historisch schwierigen Situation". Für 2026 erwartet die Stadt inzwischen ein Defizit von 60 bis 80 Millionen Euro. Trotz Sparpaketen gelinge es nicht, den Haushalt ausreichend zu stabilisieren.
Breite Aufstellung bremst BMW-Rückgang in München
Die BMW-Heimat München leidet ebenfalls unter Rückgängen bei der Gewerbesteuer, die dieses Jahr wohl um etwa 159 Millionen Euro niedriger ausfallen wird, als ursprünglich geplant. Auch wenn die Summe an sich groß ist, im Vergleich zum Gesamtaufkommen ist sie eher klein: Selbst nach der Reduzierung geht die Stadt noch immer von 3,6 Milliarden Euro Gewerbesteuereinnahmen aus.
München hat allerdings eine sehr viel breiter verteilte Einnahmebasis als andere Auto-Städte: Schließlich sitzen hier auch viele andere große und finanzstarke Unternehmen – nicht zuletzt Siemens, Allianz oder Munich Re.
Opel-Niedergang reißt Steuerloch in Rüsselsheim
Das hessische Rüsselsheim am Main kämpft mit den Folgen des Niedergangs bei Opel. Der inzwischen zu Stellantis gehörende Autohersteller ist in der Dimension nur noch ein Schatten glorreicher Zeiten. Statt mehr als 30.000 Menschen arbeiten nur noch rund 8.300 Leute bei Opel in Rüsselsheim.
Wegen massiver Ausfälle bei der Gewerbesteuer klafft im laufenden Jahr ein Loch von 85 Millionen Euro im Haushalt der Stadt. Die Kredite wachsen schnell, sodass für wichtige Projekte wie die Sanierung des Theaters kein Geld da ist.
Zwickau zehrt von Rücklagen
Auch Volkswagens sächsischer E-Auto-Standort Zwickau spürt die Krise: In diesem Jahr rechnet die Kommune noch mit 55 Millionen Euro Gewerbesteuer, gut 20 Millionen Euro weniger als 2023. Wie viel auf VW entfällt, lässt die Stadt mit Verweis aufs Steuergeheimnis offen. Eine Sprecherin erklärte aber: "Wegen der hohen Abhängigkeit von der Automobilbranche ist die städtische Finanzlage eng gekoppelt an den unternehmerischen Erfolg dieses Wirtschaftssektors."
Immerhin: Auch Zwickau hat – ähnlich wie einst Wolfsburg – vorgesorgt: "Derzeit kann die Zahlungsfähigkeit der Stadt durch noch vorhandene liquide Mittel, die aus den Haushaltsergebnissen der Vorjahre herrühren, abgesichert werden."
Studien-Autor: Auto-Städte haben andere Ansprüche
Verglichen mit anderen Städten dürfte es den Automobilstandorten am Ende immer noch recht gut gehen, sagt Studien-Mitautor Geißler. "Haushaltskrisen sind immer auch ein bisschen subjektiv." Andere Städte wären mit Einnahmen, wie in Ingolstadt oder Wolfsburg wahrscheinlich hochzufrieden. Doch: In den lange reichen Auto-Städten habe sich halt auch ein anderes Anspruchsdenken entwickelt. "Wenn da irgendwo ein Einbruch kommt, dann wird das die Stadtgesellschaft schon aufrütteln."