Da kütt er, der Calli. Wuchtet seine 130 Kilo auf das Tischchen im Stadion-Bistro zu, sagt zum Koch: "Wat hammer denn heute Schönes?" und kommt auch beim Gedanken an die verkorkste vergangene Saison nicht ganz vom Essen los: "Gurkensaison." Reiner Calmund, Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen, lebt ein gigantisches Klischee. Wenn er vor Leid im Tribünenschalensitz zerfließt, weil sein Millionenclub beinahe absteigt, aus Frust noch mehr frisst oder aus Liebe zur neuen Freundin ein paar Pfund abspeckt: Stets verbreitet er mehr Bürgernähe als die gesamte Kickerriege zusammen. Bei ihm weckt selbst Versagen noch Sympathie - so einen braucht die Bundesliga jetzt.
Bayer Leverkusen ist nur ein besonders krasser Fall im Finanzchaos Fußball-Bundesliga. Weil der Klub erstmals seit Jahren in keinem internationalen Wettbewerb mitspielt, fehlen jene 19,75 Millionen Euro, die er in der vergangenen Saison noch aus der Vermarktung der Champions League verbuchen konnte. Zudem fließt weniger Geld vom Fernsehen, seit der Medienpleitier Leo Kirch keine Traumgagen mehr zahlen kann. Würde nicht die große Mutter, der Chemieriese Bayer, bürgen, sähe es zappenduster aus in Leverkusen. Doch auch so muss Calmund in dieser Saison erstmals kräftig sparen.
Eine Umstellung für den gelernten Außenhandelskaufmann, der es gewohnt war, mit dem Geldkoffer durch die Lande zu ziehen und teure Spieler einzukaufen, manche auch nur für die Ersatzbank. "Du bist verdammt, oben mitzuspielen", weiß Calmund. Und jetzt? "Jetzt heißt es in den Dreck beißen." Die Personalkosten, vergangene Spielzeit noch bei rund 50 Millionen Euro, sollen auf "unter 40 Millionen" gedrückt werden. Und selbst der oberste Bayer-Chef Werner Wenning, der zur Kickerabteilung sonst öffentlich nichts sagt, grollt noch immer, wenn er an den Abstiegskampf vor ein paar Monaten denkt. "In dieser Ausnahmesituation für den Verein ist sicher einiges schief gelaufen", so Wenning zum stern.
Die Situation der Liga, die im August ihren 40. Geburtstag feiert, erinnert fatal an die der New Economy vor ein paar Jahren: weniger Einnahmen, stetig steigende Verschuldung - und Verantwortliche, die in einer rosaroten Traumwelt leben. Waren die 36 Klubs der ersten und zweiten Liga 1999 noch mit 351 Millionen Euro in den Miesen, sind es heute 680 Millionen. Manche Vereine gelten bei den Banken nicht mehr als kreditfähig. Ein Vereinspräsident rechnet damit, dass die Einnahmen noch einmal um knapp ein Viertel einbrechen werden. Vor allem vom Fernsehen ist nicht mehr so viel zu erwarten.
Wie angeschlagen die Klubs sind, zeigte sich kürzlich in der Frankfurter Zentrale der Deutschen Fußball Liga (DFL), die die Lizenzen vergibt. Elf Klubs aus den beiden Ligen mussten Bürgschaften anbringen, um eine Spielgenehmigung zu bekommen, so ein DFL-Insider. 12 der 18 Erstligisten dürfen nur mit Auflagen spielen: Sie müssen der DFL jeden Monat ihre Bilanzen vorzeigen. Wie Pennäler, die in der Mathestunde nicht aufgepasst haben. Schon überlegt die DFL, wie sie verhindert, dass nach den ersten Spieltagen die Vereine, die schlecht gestartet sind, auf Teufel komm raus Spieler nachkaufen und noch mehr Schulden machen.
Wie in der New Economy stellt sich auch in der Bundesliga die Frage: Wann platzt die Blase - wie in Italien, wo der AC Florenz bereits Konkurs anmeldete?
Seit Jahren drängen Wirtschaftsexperten die deutsche Kickerindustrie, mit der verkrusteten Vereinsmeierei zu brechen. "In Bezug auf Kontinuität, Verlässlichkeit und Professionalität im Management genießt die Fußballbranche keinen guten Ruf", stellt die WGZ-Bank in einer Studie fest. Die Bank, die Borussia Dortmund an die Börse brachte, weiß, wovon sie redet: Sogar die Dortmund-Manager, die in der Liga noch zu den professionellsten zählen, stießen in den Bankenetagen auf wenig Begeisterung. So trägt auch mangelndes Vertrauen dazu bei, dass der Kurs seit dem Börsengang kräftig abschmierte: von elf auf gut drei Euro.
Das Misstrauen in der Finanzbranche sitzt tief: Statt ökonomischen Sachverstandes habe viel zu lange der "homo ludens" geherrscht, heißt es. Spielbegeisterte Hasardeure, die sich um Existenzsicherung herzlich wenig scheren - und notfalls auf den Staat hoffen. Finanzspritzen auf Kosten der Steuerzahler haben Tradition im Kickergewerbe. Sogar der Kanzler dachte vor der Wahl im vergangenen Jahr über Staatsbürgschaften für die Millionengehälter der Spieler nach. Auch die Länder öffnen ihre Kassen: Schalke, Mönchengladbach, Berlin - wo immer Geld für den Ausbau einer Arena hermusste, sprang die jeweilige Landesregierung mit zweistelligen Millionenbürgschaften ein. Insgesamt werden 1,7 Milliarden Euro im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2006 in Stadien verbaut, errechnete die WGZ-Bank. Fast überall mit öffentlichen Zuschüssen.
In Hamburg ist das neue Stadion schon fertig. Die AOL-Arena ist ein glitzernder Fußballpalast - dabei würde zum Hausherrn, dem Hamburger SV, eher eine Hütte passen. Im Restaurant im VIP-Bereich sitzt Bernd Hoffmann, Polohemd, Khakihose, ein jungenhafter Ex-Medienmanager, seit Ende vergangenen Jahres HSV- Präsident. Sein Verein trägt in der Bundesliga einen zweifelhaften Titel: deutscher Verlust-Meister. "Ein so großes Minus hat es in einer einzigen Saison noch bei keinem Klub gegeben", sagt Hoffmann. 14,5 Millionen Euro fehlten am Saisonende - allein aus dem laufenden Spielbetrieb. Hoffmann ist froh, wenn er den Insolvenzverwalter draußen halten kann.
Den Schuldigen hat Hoffmann gefunden: seinen Vorgänger Werner Hackmann, einst Innensenator in der Hansestadt, heute Präsident der Deutschen Fußball Liga. Hackmann ging moderat ins Minus, um den Verein sportlich nach oben zu bringen. Doch dann brach der Transfermarkt zusammen. Hackmann musste auf teure Spielerwerte Abschreibungen in die Bilanz buchen, Million um Million. Das wirtschaftliche Harakiri begann: Künftige Einnahmen aus dem Verkauf der Namensrechte an der AOL Arena wurden beliehen. So kam eins zum anderen. Am Ende belegte der HSV zwar den vierten Tabellenplatz, aber die Rechnung geht allenfalls auf, wenn jetzt der Uefa-Cup gewonnen wird. Also wohl gar nicht. Wie die Bilanz des HSV genau aussieht, weiß niemand - der Verein hat schon seit längerem keine mehr im Handelsregister hinterlegt, was eigentlich vorgeschrieben ist.
Doch Hoffmann leidet nicht nur unter Hackmanns Erbe. Ihn belastet auch sein eigenes: Als ehemaliger Manager des Klubvermarkters Sportfive trieb er einst selbst die Vertragssummen und Provisionen, die der Verein an den Vermarkter abzugeben hat, in üppige Höhen. Unter deren Last erzittert der HSV heute. Wenn Hoffmann darauf zu sprechen kommt, imitiert er mit der rechten Hand eine Pistole und hält sie sich an den Kopf. Peng.
Das Schicksal des angeschlagenen Traditionsvereins hat in Hamburg noch niemand so recht bemerkt - die ganze Sympathie der Stadt gilt dem Kultklub FC St. Pauli, der sich nur noch mit Spenden und dem Verkauf von "Retter"-T-Shirts am Leben halten kann. Für den HSV würde wohl kaum einer spenden. Als der Verein eine Imagestudie anfertigen ließ, in der die Befragten sich den Verein als Menschen vorstellen sollten, kam ein Langeweiler dabei heraus: traditionell, seriös und vernünftig, graues Haar, dunkelblauer Anzug, fährt Mercedes und will bei den Nachbarn nicht anecken. Die Studie, die dem stern vorliegt, blieb bis jetzt geheim. Das peinliche Resultat macht den Vereinsbossen keinen Mut, dass mit Marketingwirbel viel Geld zu holen wäre. Kurz vor Saisonstart war der HSV noch ohne Trikotsponsor - die Millionen aber sind fest eingeplant.
Damit der Verein in der Öffentlichkeit besser rüberkommt, drillt Hoffmann seine Kicker in Workshops auf TV-Tauglichkeit. Sie sollen sich mehr Zeit nehmen für Presseauftritte, netter sein zu den Reportern, vor allem zu denen vom Pay-TV-Sender Premiere. Nur im Bezahl-Fernsehen, glaubt der HSV-Manager, lassen sich in Zukunft noch steigende Einnahmen erzielen. "Die Spieler müssen wissen, wem sie ihr Gehalt verdanken."
Um die Abhängigkeit von TV-Geldern zu reduzieren, lassen sich die Vereine immer neue Geschäfte einfallen. Borussia Dortmund betreibt ein Reisebüro. Schalke 04 plant ein eigenes Reha-Zentrum - das Geld dazu stammt aus einer Anleihe, an deren Zeichner die Gelsenkirchner im Gegenzug künftige Einnahmen verpfändet haben. Überhaupt versteht sich Schalke, einst Schuldenkrösus der Liga, heute zunehmend als Unterhaltungskonzern, veranstaltet Rockkonzerte und Musicals in der 190 Millionen Euro teuren Mehrzweckarena "Auf Schalke", organisiert vor Beginn der Partien Partys und verkauft so 300 Hektoliter Bier pro Spieltag. Das Geld fließt direkt in die Vereinskasse.
Alle wollen am liebsten so sein wie der FC Bayern oder international wie Manchester United. Fußballkonzerne mit professionellem Management, Kapitalgebern, vollen Stadien, fetten TV-Einnahmen, einem Namen, der weltweit vermarktbar ist, und - Gewinnen.
Die Regeln im Fußballgeschäft sind simpel: Nur wer ganz oben mitspielt, bekommt die Chance auf einen internationalen Wettbewerb und damit die Voraussetzung, so werden zu können wie Bayern oder ManU. Deshalb verfallen immer wieder die ambitionierteren unter den Managern der fixen Idee, der Weg zum Erfolg sei ebenso schlicht: Sie versuchen ihn zu erkaufen. In der Hoffnung, dass einem sportlichen Aufstieg auch ein wirtschaftlicher folgen möge, werden Spieler auf Pump beschäftigt oder Sponsorengelder aus lang laufenden Verträgen gegen Rabatt auf einen Schlag kassiert - und so die Einnahmen von morgen bereits heute verfrühstückt. So geschehen bei Hertha BSC in Berlin, die sich einen Vertrag mit dem Sportartikelgiganten Nike vorzeitig auszahlen ließ. Wie riskant dieses Poker ist, liegt im Wesen des Spiels: Der Sieg lässt sich nicht kalkulieren.
Das musste auch Jürgen "Atze" Friedrich lernen, der über ein Jahrzehnt lang Präsident des 1. FC Kaiserslautern war und den Klub dabei an den Rand des Ruins steuerte. 21 Millionen Euro Schulden aus dem Stadionbau, dazu gut neun Millionen Miese aus der Saison 2001/2002 hinterließ Friedrich, bevor er im August vergangenen Jahres abtreten musste. Außerdem erschüttert eine Affäre um die Verschiebung von Spielergehältern ins Ausland, um Steuerbetrug und Filz die "roten Teufel" aus der Pfalz. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Ex-Präsidenten wegen Steuerhinterziehung. Der Verein startet mit drei Punkten Abzug in die Saison. Die Ex-FCK-Bosse sehen weder Schuld noch Versagen. Ihre Devise: So läuft es im deutschen Fußball. Nicht nur hier. Überall.
Der neue Präsident René Jäggi, 54, ist angetreten, um "den Schock zu nutzen" und gründlich auszumisten. Jäggi ist Schweizer, ehemaliger Adidas-Chef und Besitzer des Schuhproduzenten Romika. Zum ersten Mal wechselte ein Fußballmanager den Verein: Jäggi kommt vom FC Basel, den er in die Champions League brachte. "Ich verstehe so viel vom Fußball, dass es gerade reicht. Und so wenig, um nicht in emotionale Fallen zu tappen." Ursprünglich hatte sich Jäggi für den insolventen Nähmaschinenhersteller Pfaff in Kaiserslautern interessiert, war dann aber beim Sanierungsfall 1. FCK hängen geblieben. Aus dem Büro im Fritz-Walter-Stadion blickt er nun auf die kleinste Bundesligastadt Deutschlands, nennt sie "beschaulich" und weiß schon heute, dass es sich kaum lohnt, zu Hause in Basel den Möbelwagen zu bestellen. "Überall, wo ich war, habe ich mich wegrationalisiert", sagt Jäggi, "das wird auch hier so sein."
Er geht hart zur Sache. Mit dem Segen des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck verpfändete Jäggi die Transferrechte seines Starspielers Miroslav Klose an die staatliche Toto-Lotto GmbH. Land und Banken übernahmen nach Vereinsangaben für knapp 60 Millionen Euro das Stadion samt den daran haftenden Verbindlichkeiten - weit über Buchwert, um den Verein vor der Überschuldung zu bewahren. Selbst der Fiskus spielte mit, der wegen der Finanzschiebereien 13 Millionen Steuernachzahlung verlangt hatte. Er ließ sich auf eine Vergleichssumme ein, die zu einem Teil über zwei Jahre gestundet ist. Ob's hilft, weiß keiner.
Neue Probleme warten schon. Premiere-Chef Georg Kofler drohte der Liga bereits an, nicht mehr länger 150 Millionen Euro pro Saison für die Rechte zahlen zu wollen, wenn auch künftig so viel Bundesliga wie derzeit im frei empfangbaren Fernsehen zu sehen ist. Hektisch sucht die Liga nach einer Alternative. So bastelt die DFL-Zentrale nach stern-Informationen bereits an einem eigenen Kanal, gab es Gespräche mit dem Münchner Filmhändler Herbert Kloiber, der die Champions League zum Minisender TM3 holte, und mit den Kabelnetzbetreibern in Deutschland. Zumindest einen Vorteil hätte das eigene Fußball-Fernsehen. Dort könnte noch häufiger Reiner Calmund auftreten und den Lilalaune-Bär der Bundesliga geben. Trotz aller Nöte und Probleme, sagt der Calli, müsse man doch auch mal sagen, dass "Schwarzmalerei fehl am Platz ist". Und dass der Fußball boomen werde. Und dass die Kicker für weniger Geld genauso gut spielten. Und überhaupt: "Et macht doch auch Spaß."
Johannes Röhrig