War es das jetzt? Keine Frage tauchte in dieser Woche so häufig auf wie diese. In fast jedem Gespräch und fast jedem Treffen kreiste die Diskussion irgendwann um diesen einen Punkt: Gibt es eine neue Finanzkrise? Erst die Silicon Valley Bank (SVB), dann die Credit Suisse – und jetzt banges Warten, ob da noch etwas kommt.
Ein Gesprächspartner, der die Finanzkrise 2008 aus nächster Nähe erlebte, fasste es so zusammen: Es könne sein, aber wir wissen es nicht. Nach dem 15. September 2008, dem Tag, an dem die Investmentbank Lehman Brothers in New York unterging, sei es auch einige Tage relativ ruhig geblieben – bis die nächsten Banken gewackelt hätten. Deswegen wage er noch keine Prognose.
Der bekannte Ökonom Barry Eichengreen, den meine Kollegen in den USA am Telefon erwischten, ging da schon etwas weiter. „Die Behörden in den Vereinigten Staaten und auch in der Schweiz haben gezeigt, dass sie hinter den Banken und dem Finanzsystem stehen“, sagte Eichengreen im Capital-Interview. Es sei daher „unwahrscheinlich, dass die Menschen ihr Vertrauen in das gesamte Banken- und Finanzsystem verlieren“. Eichengreen machte aber bereits einen Profiteur der neuen Unsicherheit aus: Viele Kunden würden ihr Geld umschichten, sagte er voraus, von kleineren und mittleren Geldhäusern zu den großen Playern.
Die Zahlen für das erste und zweite Quartal im Bankensektor werden wir in den kommenden Monaten besonders genau beobachten. Der Kursrutsch der Deutschen Bank, vor dem heutigen Freitag noch als Profiteur der Krise gehandelt, verheißt allerdings nichts Gutes.

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Bank Runs sind schwer beherrschbar
Besonders eindrücklich war ein Gespräch mit der Wirtschaftsweisen Ulrike Malmendier, die ich diese Woche zu einem Interview traf, das Sie in der kommenden Ausgabe von Capital lesen können. Nur so viel vorab: Malmendier lebt eigentlich in Kalifornien, sie war zur Vorstellung der jüngsten Wirtschaftsprognose des Sachverständigenrats für Deutschland angereist. Kurz zuvor hatte sie erlebt, wie in den USA die Panik um sich griff, wie sich alle plötzlich anschauten und schnell ihr Geld aus der Silicon Valley Bank abziehen wollten.
Für Malmendier sind die Pleite der SVB in Kalifornien und die Beinahe-Pleite der Credit Suisse zwei sehr verschiedene Fälle, die aber eine Gemeinsamkeit haben: Zu Fall brachte beide ein Bank Run, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Solche Bank Runs, so Malmendier, seien schwer zu beherrschen – auch nicht durch eine strengere Regulierung und bessere Eigenkapitalvorschriften. Sondern nur durch beherztes Eingreifen. Auch sie sagte am Ende eines langen Gesprächs: Die Märkte werden wahrscheinlich noch eine Weile nervös bleiben, auch wenn wir weit entfernt seien von einer Lage wie 2008.
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Jenseits des Bank Runs hatte die Wissenschaftlerin eine interessante Erkenntnis parat: Malmendiers Spezialgebiet ist die Verhaltensökonomie, sie untersucht, wie sich Menschen verhalten und warum sie tun, was sie tun. Und da erkannte sie in der jüngsten Bankenkrise ein interessantes Muster: Menschen greifen immer auf Erfahrungen zurück, die sie schon einmal gemacht haben.
Wer einmal eine hohe Inflation erlebt hat, wird für einen Anstieg der Preise sensibler sein als jemand, der oder die noch nie eine Inflation erlebt hat. Aus den langen Debatten über das Wesen des Preisauftriebs nach der Coronapandemie („vorübergehend“ versus „dauerhaft“) kommt einem das Muster bekannt vor. Aber es gilt eben offensichtlich auch für die Risiken, die mit steigenden Zinsen einhergehen. Weil weder Bankmanager noch Aufseher in den USA in den letzten 15 Jahren einen starken Anstieg der Zinsen erlebt haben, sah offenbar auch niemand die Notwendigkeit, sich mit den Risiken der rasanten Zinswende – massive Kursverluste in den Büchern der Banken – zu beschäftigen, die vor allem die US-Notenbank Fed im vergangenen Jahr hingelegt hat. Dabei hatten sich auch die US-Banken mit todsicheren Staatsanleihen geradezu vollgesogen.
Ein kluger Zinsschritt
Wir haben nicht nichts aus der Finanzkrise 2008 gelernt. Oder, wie Ulrike Malmendier sagte, man habe schon die richtigen Konsequenzen aus 2008 gezogen. Aber eben aus der Finanzkrise 2008. Mit den Risiken durch steigende Zinsen – wir erinnern uns an die Erleichterung, endlich, wieder Zinsen! – hatte niemand gerechnet. Obwohl doch alle die Gefahren kannten.
Die Reaktionen der Notenbanken diese Woche, allen voran der US-Notenbank Fed, waren daher wahrscheinlich ganz klug: Ein kleiner Zinsschritt nur noch, ein Viertel Prozentpunkt, aber auch kein kompletter Verzicht. Denn das wäre wahrscheinlich gleich in doppelter Hinsicht ein gefährliches Signal gewesen: Die Inflation – sinkend, aber auch in den USA immer noch bei sechs Prozent – spielte plötzlich keine Rolle mehr – und das, obwohl Fed-Chef Jerome Powell vor wenigen Wochen noch einige straffe Zinserhöhungen in Aussicht gestellt hatte. Was hätten da wohl die Märkte gesagt, wenn die Fed plötzlich den Schalter komplett umgelegt hätte – wie groß müssen die Sorgen sein, wenn Zentralbanker so abrupt die Richtung wechseln? Wahrscheinlich hätte ein solcher Schritt erst recht ein neues Beben an den Märkten ausgelöst.
Dieser Artikel erschien zuerst bei "Capital".