Daimler-Boss "Ich nehme mich selbst nicht so wichtig"

Über Aktienkurse und Zukunftspläne hat Dieter Zetsche nach der Scheidung von Chrysler viel und gern geredet. Mit dem stern sprach er über Themen, die für Manager eigentlich tabu sind: Erfolgsdruck, Fehler, Niederlagen und die Frage, ob ein Chef auch lügen darf.

Herr Zetsche, wie wichtig ist es, dass Ihnen die Menschen vertrauen?

Vertrauen ist für mich das wohl wichtigste Gut überhaupt. Um es Ihnen am Beispiel zu sagen: Wenige Stunden nach Bekanntgabe der Entscheidung zu Chrysler bin ich nach Detroit geflogen und habe dort 200 Chrysler-Führungskräfte getroffen. Ich wollte vor Ort die Entscheidung selbst erklären und wollte herausfinden, ob der Eindruck entstanden ist, dass ich ihr Vertrauen missbraucht habe. Und glauben Sie mir, es hat mir sehr viel bedeutet, als ich merkte, dass unsere Entscheidung, die Mehrheit an Chrysler an die Investmentgesellschaft Cerberus zu geben, von ihnen als Chance aufgenommen wird. Auch der amerikanische Gewerkschaftschef hat sich in der Aufsichtsratssitzung letzte Woche bei Tom LaSorda und mir für die faire und transparente Vorgehensweise bedankt.

Wieso vertrauen Ihnen Ihre Mitarbeiter?

Das Allerwichtigste ist, dass ich offen mit Menschen umgehe. Ich sage, was ich denke, jedenfalls sofern das möglich ist. Und ich versuche auch, das zu tun, was ich sage. Gerade in schwierigen Phasen zeigt sich dann, ob man seinem Anspruch gerecht wird.

Im Oktober 2005 haben Sie in einem Zeitungsinterview gesagt: "Eine Trennung beider Unternehmen wird es mit mir nicht geben." Ein knappes Jahr später, im September 2006, sagten Sie das noch mal. Wir zitieren Sie: "Sicher ist, dass es keinen Verkauf des Unternehmens und keinen Verkauf der Marke geben wird."

Zu dem Zeitpunkt dieser Aussagen war das die Entscheidungslage. Die Überprüfung weiterer Optionen stand zu diesen Zeitpunkten nicht an. Als wir am Ende einer strategischen Überprüfung des gesamten Konzerns entschieden haben, weitere Optionen zu prüfen, haben wir das sofort unseren Mitarbeitern und der Öffentlichkeit mitgeteilt. Das war im Februar 2007. Außerdem: Wir konnten den Verkauf vorher nicht als Möglichkeit erwähnen, ohne dass wir darauf festgelegt worden wären. Dann hätte es kein Zurück mehr gegeben.

Muss man als Manager auch mal lügen?

Das muss man nicht und darf man nicht.

Viele Menschen verstehen nicht, wie man erst ewige Treue schwören kann und wenige Monate später die Scheidung einreicht.

Ich sag es Ihnen, wie es war: Damals, im Herbst vergangenen Jahres, ist unser Finanzvorstand bei der Präsentation der Quartalszahlen massiv bedrängt worden, zu einem möglichen Verkauf von Chrysler Stellung zu nehmen. Er hat damals kein klares Nein gesagt. Hätten wir uns damals nicht klar gegen die aufkeimende Diskussion gestellt, wäre sie nicht mehr aufzuhalten gewesen. Aber nochmals: Ich habe ja gerade erklärt, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine anderen Entscheidungen gab. Also gab es gar keine Alternative, als diese Diskussion zu stoppen, um uns die Chance zu geben, die Situation in Ruhe weiter zu analysieren und später dann die inzwischen bekannte Entscheidung zu treffen.

Können Sie verstehen, dass sich Leute fragen: Kann ich Daimler-Chef Dieter Zetsche noch vertrauen?

Es gab Entscheidungen, die ich korrigiert habe. Das ist Teil des Führens von Unternehmen. Dinge stur zu verfolgen, nur weil man sich einmal für sie entschieden hat, ist die größte Gefahr, der man ein Unternehmen aussetzen kann.

Der Manager als Politiker: Was schert mich mein Geschwätz von gestern...

Ich habe Verantwortung für ein Unternehmen mit mehreren Hunderttausend Beschäftigten und muss nach sorgfältigen Analysen Entscheidungen treffen. Ich denke, die Entscheidungen des letzten Jahres waren nachvollziehbar. Ich erinnere an das Nachvorneführen von Mercedes-Benz, die Neuausrichtung von Smart, die Verschlankung der Zentralen, die Rückführung der EADS-Beteiligung, die neue Strategie für den Nutzfahrzeugbereich, die Stärkung der Bilanz.

Würden Sie einem Ingenieur noch wichtige Aufgaben übertragen, der sich in der Vergangenheit öfter mal verhauen hat?

Grundsätzlich gilt: Verantwortliche Manager müssen auch Fehler machen können. Sind sie nicht bereit, auch mal Fehlschläge zu riskieren, führen sie ein Unternehmen zu Stillstand.

In der Geschichte des Konzerns gibt es viele gebrochene Versprechen und viele gescheiterte Visionen. Mal war es der Traum vom integrierten Technologiekonzern, dann hatten sie die Idee von der Welt-AG mit Chrysler und Mitsubishi. Jetzt folgt die Rückbesinnung auf das Kerngeschäft. So viel Hin und Her erzeugt keine Glaubwürdigkeit.

Wir sind nicht das einzige Unternehmen, das im Zehn-Jahres-Rhythmus seine Strategien überdenkt. Es mag schon richtig sein, dass nicht alle Entscheidungen von außen nachvollziehbar waren. Ich trage natürlich für die letzten zwölf Jahre, in denen ich im Vorstand war, die Mitverantwortung. Aber ich werde mich bemühen, dieses Vertrauen, dort wo es vielleicht erschüttert wurde, wiederherzustellen.

Erinnern Sie sich noch an die Tage der Fusion, wie das war, als Sie wussten: Ja, wir steigen mit dem Chrysler-Deal in die Weltliga auf?

Chrysler war damals hochprofitabel und schien eine gute Zukunft zu haben. Das haben Öffentlichkeit, Medien und Kapitalmärkte alle so gesehen. Und außerdem erschien auch die Größe vielversprechend. Die hat hier sicher eine Rolle gespielt.

Und der sind Sie persönlich auch erlegen?

Wir glaubten damals, dass Größe ein Vorteil etwa beim Einkauf ist und dass Mercedes-Technologie für das Volumengeschäft von Chrysler großen Gewinn bringen könnte. Und: Die ganze Welt hat begeistert auf die Fusion geschaut - Zweifel gab es so gut wie keine. Aber auch das zählt zu den Lerneffekten. Ich halte heute Größe per se nicht für ein Ziel. Es muss deutlich mehr dazukommen.

Sie haben viel in die Ehe mit Chrysler investiert: Als Manager in den USA haben Sie als "Dr. Z." im Fernsehen Werbung für Autos von Chrysler gemacht. Ist die Scheidung auch eine persönliche Niederlage für Sie?

Ich glaube, wir haben die beste Entscheidung für Chrysler und für Daimler getroffen. Deswegen bin ich stolz darauf, dass gerade ich, der ich so viel Herzblut in Chrysler gesteckt habe, letztendlich die Kraft hatte, diese Entscheidung zusammen mit meinen Kollegen zu treffen, um beiden Unternehmen die beste Zukunft zu ermöglichen. Und Chrysler hat in den letzten Jahren viel erreicht: Die Produktivität der Fabriken ist Weltspitze, die Qualität hat sich deutlich verbessert, und wir haben ein attraktives Produktportfolio mit zunehmend Sprit sparenden Motoren.

Ist es ein Problem für Manager, eine Niederlage zuzugeben?

Nein, grundsätzlich nicht. Aber in diesem Fall müsste ich lügen. Denn ich war, wie alle anderen auch, vor zehn Jahren überzeugt von der Fusion. Und als ich Chrysler- Chef wurde, hat man mich nicht aufgerufen zu entscheiden, ob die Fortsetzung dieses Weges richtig ist. Ich habe, in einer scheinbar aussichtslosen Situation, die Verantwortung für Chrysler übernommen. Ich bin sicher, dass wir die bestmöglichen Ergebnisse in diesem Zeitraum erzielt haben. Vor eineinhalb Jahren habe ich dann die Verantwortung für den ganzen Konzern bekommen und war seitdem in einer anderen Situation. Wir haben in der Zeit viele Dinge angegangen und gelöst. Wir haben massiv versucht, noch mehr gemeinsame Projekte auf die Schiene zu setzen, und genau in diesem Prozess festgestellt, dass die Potenziale begrenzt sind. Alles, was an Synergien möglich war, haben wir realisiert. Und es ging darum, Risiken in Milliardenhöhe zu eliminieren. Ich bin sicher, dass Daimler aufgrund der Veränderungen, die eingeleitet wurden, eine großartige Zukunft haben wird. Und auch Chrysler bekommt die bestmögliche Chance.

Wie gehen Sie mit dem Druck um, den solche Entscheidungen mit sich bringen?

Ich bin von Natur aus in der Lage, schnell abschalten zu können. Außerdem bin ich grundsätzlich ein optimistischer Mensch. Ich gehe immer davon aus, dass ich meine Ziele erreichen kann. Und natürlich gibt es auch Phasen, bei denen man im engeren Umfeld, etwa im Büro, mit einer kürzeren Zündschnur rumläuft.

Kennen Sie die Angst zu versagen, den Job zu verlieren?

Ich nehme mich selbst nicht so wichtig. Meine Karriere ist weder für die Welt von Bedeutung noch für mich das einzig Entscheidende in meinem Leben.

Darf ein Chef unsicher sein, darf er Nerven zeigen?

Führung heißt auch, Zuversicht zu vermitteln. Gerade bei solchen Entscheidungen, wie wir sie in den letzten Monaten zu treffen hatten, waren die Menschen bei Chrysler verunsichert, hatten teilweise auch Angst. Da kann das Vertrauen in meine Person etwas helfen, aber beseitigen kann es die Angst nicht. Deswegen kam es uns besonders auf die Schnelligkeit an, eine Entscheidung zu treffen. Und wer auch nur eine ungefähre Vorstellung von der Komplexität der Trennung hat, weiß, dass wir wirklich schnell waren. In schwierigen Zeiten muss der Mitarbeiter darauf vertrauen können, dass der Chef ruhig bleibt und führt.

Nach der Trennung ist Daimler ja kleiner geworden...

...fokussierter...

...eine Firma mit rund 80 000 Arbeitnehmern weniger. Bedeutet das, dass Sie jetzt auch weniger verdienen?

Über die Gehälter des Vorstandes entscheidet allein der Aufsichtsrat. Was ich aber sagen kann: An der Börse ist Daimler circa 30 Milliarden Euro mehr wert als vor einem Jahr, macht höhere Gewinne und hat einen von einst zwölf auf demnächst sechs Mitglieder verkleinerten Vorstand.

Wie viel verdienen Sie im Jahr?

Ich habe ein festes Gehalt von 1,5 Millionen Euro und variable Bezüge, die abhängen von der Leistung, die das Unternehmen bringt, und vom Aktienkurs.

Geschätzt also etwa fünf Millionen Euro pro Jahr. Wir haben dazu vom Meinungsforschungsinstitut Forsa ein repräsentatives Meinungsbild erstellen lassen: Über 80 Prozent der Deutschen finden, Sie sollten auf Einkommen verzichten...

Ich glaube, suggestive Fragen werden immer auch entsprechend der Fragestellung beantwortet.

Sie haben vor einem Jahr für eine Million Euro aus Ihrem eigenen Vermögen Aktien von Daimler-Chrysler gekauft. Seither stieg der Kurs um über 45 Prozent. Ist doch ungerecht - Belohnung trotz Scheidung?

Jetzt aber mal langsam. Ich habe mein Einkommen investiert, für das ich hier in Deutschland Steuern gezahlt habe. Was soll da denn falsch sein? Und habe damals auch damit signalisiert, dass Daimler- Chrysler eine gute Anlage ist. Eine solche Frage würden Sie in den USA niemals stellen. Da freuen sich die Menschen über Erfolge von anderen. Und da erwartet die Öffentlichkeit ein solches Signal der Zuversicht in die Zukunft seines Unternehmens.

Daimler ist jetzt aber wieder ein deutsches Unternehmen...

Ich könnte Ihnen jetzt alle Standorte in der Welt nennen, wo wir aktiv tätig sind und mit welchen Geschäften - aber dafür reicht sicher der Platz nicht...

Reden wir über Autos.

Gern.

Sie haben sich durch den Chrysler-Verkauf fast komplett aus dem Massenmarkt zurückgezogen. Ist dort kein Geld mehr zu holen?

Es gibt unterschiedlich erfolgreiche Hersteller im Volumenmarkt. Aber sicherlich sind die Erfolgschancen im Premiumsegment generell größer. Dort ist das Wachstum am größten, und dort haben sie die attraktivsten Kunden. Am schwierigsten ist es aber, beides miteinander zu verbinden, besonders wenn die Firma nicht organisch gewachsen ist, sondern aus einer Fusion stammt.

Karriere

Mr Daimler

Dieter Zetsche, 54, hat eine steile Konzernkarriere gemacht: Vor 31 Jahren fing der Ingenieur der Elektrotechnik in der Forschung bei der Daimler-Benz AG in Stuttgart an. In der breiten Öffentlichkeit wurde er als Sanierer von Chrysler bekannt. Nach der Fusion 1998 ("Hochzeit im Himmel") war der US-Autohersteller in die roten Zahlen gerutscht. Ende 2000 schickte ihn Konzernlenker Jürgen Erich Schrempp nach Detroit. Gemeinsam mit Managerkollege Wolfgang Bernhard (heute bei Finanzinvestor Cerberus unter Vertrag) sanierte er die Firma und positionierte sich damit im internen Gerangel um die Schrempp-Nachfolge. Seit Januar 2006 führt Zetsche den Konzern (360 000 Mitarbeiter weltweit). Am 14. Februar 2007 gab er bekannt, dass sich das Unternehmen möglicherweise von Chrysler trennen werde. Am 14. Mai wurde die Firma an Cerberus verkauft.

Das war der eigentliche Grund, wieso es mit Daimler und Chrysler nicht geklappt hat?

Ein Grund.

Gab es auch kulturelle Probleme zwischen den beiden Firmen?

Die gab es natürlich, aber das hat nichts mit den beiden nationalen Kulturen zu tun. Im Gegenteil: Ich glaube, ein wesentlicher bleibender Wert aus dem Merger liegt darin, dass wir bei Daimler viel offener geworden sind und nun auch neuen Initiativen und nicht zuletzt auch neuen Mitarbeitern aus dem Ausland eine Chance geben. Das ist ein absolut positives Ergebnis der letzten Jahre. Letztlich waren es wirklich die Anforderungen der beiden verschiedenen Marktsegmente, die nicht unter einen Hut passten.

Gibt es Firmen, die diese Spreizung hinbekommen?

Toyota mit seiner Luxusmarke Lexus ist sicher ein Beleg, dass es gehen kann.

Toyota ist aus eigener Kraft gewachsen. Das klingt, als ob Sie von Großfusionen erst mal geheilt sind. Wollen Sie noch einmal in den Massenmarkt hineinwachsen?

Ich sehe nicht, dass wir mit Mercedes unterhalb der A-Klasse aktiv werden. Und es gibt auf der Welt keine Pkw-Marke, die für Mercedes eine Bereicherung wäre. Bei Nutzfahrzeugen sieht das anders aus. Hier schließe ich auf regionaler Basis kleinere Zukäufe oder Kooperationen nicht aus. Fusionen kann ich mir aber vor allem für Mercedes nicht vorstellen.

Bei BMW in München kann man sich eine engere Zusammenarbeit mit Daimler gut vorstellen...

Bei Hybridantrieben arbeiten wir bereits zusammen, und auch auf anderen Gebieten kann ich mir Kooperationen vorstellen. Es muss aber nicht immer BMW sein.

Bilden die deutschen Premiumhersteller eine Schicksalsgemeinschaft?

Wohl eher eine Interessengemeinschaft. Die deutschen Premiumhersteller strahlen gegenseitig positiv aufeinander ab.

Ist Daimler nun selbst ein Übernahme- Kandidat?

In den letzten Jahren wurden wir nur mit rund 30 Milliarden Euro an der Börse bewertet. Da war die Gefahr größer. Heute ist Daimler über 60 Milliarden wert und das Risiko allein dadurch deutlich geringer - übrigens zum Wohle aller unserer Aktionäre. Wir werden auch in der Zukunft proaktiv die großen Potenziale, die in Daimler stecken, heben.

Sie sehen keine Heuschrecken-Gefahr?

Es gibt in der Wirtschaft keine Situation völlig ohne Risiko. Aber die Situation war noch nie so komfortabel wie jetzt.

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