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Der Fall Schelsky Greifswalds Gönner vor Gericht

Wilhelm Schelsky, Ex-Chef der Pseudo-Gewerkschaft AUB, steht in Nürnberg vor Gericht. Nicht, weil er die AUB von der Siemens-Spitze hat bezahlen lassen, sondern weil er angeblich Geld veruntreut hat. In Schelskys Wahlheimat Greifswald, wo man von seinem Geld profitierte, wartet man gebannt auf seine Aussage.
Von Sebastian Jabbusch

In Greifswald wollen sie über Wilhelm Schelsky nicht schlecht reden. Immer noch nicht. Im Gegenteil. Sie wünschen ihm nur Gutes. Wie Jens Stein. "Ich hoffe, dass es für ihn vor Gericht vernünftig ausgeht und er bald wieder zurück ist", sagt Stein. Und der ist in der Stadt nicht irgendwer. Er ist Präsident des Greifswalder Sportvereins 04 (GSV). Schelsky war der Gönner der Kicker, ihr Mäzen. So einen tritt man nicht, selbst wenn er am Boden liegt oder, wie Schelsky, in einen Skandal verwickelt ist, in dem es um den Weltkonzern Siemens, dessen mutmaßlich gekaufte Gewerkschaft AUB und um die mutmaßliche Veruntreuung von Millionenbeträgen geht.

Veruntreuung in 44 Fällen

Seit eineinhalb Jahren sitzt Schelsky in Untersuchungs-Haft, ob er bald wieder nach Greifswald zurückkehren kann, ist völlig offen. Entschieden wird in Nürnberg. Am dortigen Landgericht hat letzte Woche der Prozess gegen den 59-jährigen Schelsky und Ex-Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer begonnen. Beiden wird Veruntreuung in 44 Fällen vorgeworfen. Es ist ein Mammut-Prozess: Die Anklageschrift ist 228 Seiten stark, mehr als 100 Zeugen sind geladen, die Akten umfassen mehr als 65.000 Seiten. Der Prozess könnte Monate dauern. Es drohen Haftstrafen und Schadensersatzforderungen von Siemens.

Was ist die AUB?

Die AUB hat sich von Anfang an als ein Gegengewicht zu großen DGB-Gewerkschaften wie der IG Metall verstanden. Am 22. Juli 1986 gründete sich die "Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger" (AUB) mit einem Zentralbüro in Nürnberg. In die Schlagzeilen geriet die Arbeitnehmerorganisation im Februar 2007, als der Verdacht auftauchte, die AUB sei mit Siemens-Geldern aufgebaut worden. Auch wenn die im Sommer 2007 neu gebildete AUB-Führung eine direkte Bestechung örtlicher Betriebsräte mit Siemens-Geldern bestreitet, wurde die Organisation dennoch in ihren Grundfesten erschüttert. Von den einst 10.000 AUB-Mitgliedern - die meisten davon Betriebsräte - haben rund 3000 der Organisation den Rücken gekehrt, räumt der Vorstand ein. (Bild ddp)

Während Feldmayer gleich zu Beginn des Prozesses ein umfangreiches Geständnis ablegte, schwieg Schelsky bisher. Doch für Dienstag kündigte Schelsky eine ausführliche Erklärung an.

Eine detaillierte Aussage ist nötig, denn die Geschichte ist verzwickt. Im Kern geht es um die AUB, die offiziell Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehörige heißt. Die Gewerkschaft war 1986 gegründet worden, zunächst als Arbeitnehmervertretung nur für Siemens-Mitarbeiter. Von Anfang an war Schelsky Chef der AUB. Der Konzernführung gegenüber trat die AUB, in Abgrenzung zur kritischeren IG Metall, handzahm auf. Sie selbst nannte sich "ideologiefrei". Wir sind pragmatisch, sollte das heißen, kompromissbereit. Eine starke AUB war für die Konzernspitze viel wert. Sie durfte hoffen, dass die Schelsky Truppe die unbequeme IG Metall schwächen würde. Wie viel die AUB den Siemens-Bossen tatsächlich wert war, wurde 2007 bekannt: Schelsky hatte von Siemens über die Jahre immer wieder Geld erhalten. Schelskys Anwalt bestätigt dies. Siemens habe das Ziel gehabt, die kritische IG Metall zu schwächen, sagte er stern.de. Am ersten Verhandlungstag gesteht auch der Angeklagte Feldmayer diese geheime Strategie. Man habe eben eine "zweite Kraft" neben der IG Metall fördern wollen.

Wie viel Geld im Laufe der Jahre in die Taschen von Schelsky und seiner AUB geflossen ist, ist ungewiss. Schätzungen gehen von einem Gesamtbetrag von rund 50 Millionen Euro aus. Allein zwischen 2001 und 2006 soll Schelsky laut Nürnberger Staatsanwaltschaft insgesamt 30,3 Millionen Euro von Siemens erhalten haben. Das Geld sei in diesem Zeitraum, als Beraterhonorare getarnt, an eine von Schelskys Firmen geflossen. Dass das politisch heikel gewesen sei, dessen sei man sich schon bewusst gewesen, sagte Feldmayer vor Gericht. Ansonsten gab er die Zahlungen jedoch zu, übernahm die Verantwortung und beschrieb, wie er sich die Rechnungen an seine Privatadresse habe schicken lassen, um die Buchhaltung des Konzerns zu umgehen. Aufgeflogen war das Geschäft Ende 2006, als die Innenrevision über die hohen Beratungshonorare von zuletzt 800.000 Euro pro Quartal stolperte. Schelsky selbst wollte sich am ersten Verhandlungstag dazu nicht äußern.

Veruntreuung und Betrug

Die rechtliche Bewertung der Förderung des Arbeitsrätevereins durch Siemens ist umstritten. Nur die direkte Bestechung von Betriebsräten sei gesetzlich verboten, argumentiert Schelskys Verteidiger Jürgen Lubojanski. Bestochen habe Siemens die AUB-Vertreter aber nicht. Die Staatsanwaltschaft wirft Feldmayer daher "Veruntreuung" vor. Er habe gegen seine Verpflichtung verstoßen, für das Vermögen des Konzerns Sorge zu tragen. Denn Siemens seien durch Schelsky keine unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteile entstanden. Eine Beeinflussung von Betriebsratswahlen im Sinne der Konzernleitung könne nicht als wirtschaftlicher Vorteil für Siemens gelten, denn sie seien nach dem Betriebsverfassungsgesetz verboten. Feldmayer behauptete am Mittwoch dagegen, Vereinbarungen mit der AUB hätten Siemens geholfen, Geld zu sparen. Schelsky selbst wird Beihilfe zur Untreue vorgeworfen, weil er das Geld empfangen hat. Durch falsche Abrechnungen hätten sich beide zudem der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe schuldig gemacht, behauptet die Staatsanwaltschaft.

Spätestens ab 2006 habe Schelsky zudem Gelder für Sportförderung und andere private Zwecke abgezweigt - mindestens drei Millionen Euro. Viel davon floss nach Greifswald. Schelskys Vernehmung könnte klären, wer genau wie viel Geld erhielt.

In Greifswald halten viele noch immer zu Schelsky. Er und seine Gewerkschaft waren tief in das gesellschaftliche Geflecht der Hansestadt in Mecklenburg-Vorpommern verwoben. "Das Geld von Herrn Schelsky war der Klebstoff, der den Greifswalder Filz zusammenhielt", beschreibt Peter Multhauf, der für die Linkspartei in der Greifswalder Bürgerschaft sitzt, die Rolle des Gönners.

In der Stadt war Schelskys AUB allgegenwärtig. Bis Mitte 2007 residierten die Arbeitnehmervertreter repräsentativ am zentralen Marktplatz. Schelsky erarbeitete sich Anerkennung als er ein angeschlagenes Siemens Fertigungswerk übernahm und 200 Arbeitsplätze rettete. Dazu ließ er die Beschäftigten länger arbeiten und stieg aus dem Rahmentarifvertrag aus. Als sich die Auftragslage verbesserte, stellte Schelsky neue Beschäftige zu niedrigeren Löhnen in seiner Zeitarbeitsfirma ein und entlieh sie sich selbst. Die AUB, die den Betriebsrat dominierte, deckte das Ganze. Schelsky war so gleichzeitig Unternehmer, Leiharbeitsvermittler und Gewerkschaftschef in einer Person.

"Das war pervers!"

"Pervers", findet das Jan Bloempott, Geschäftsführer der IG Metal in Vorpommern. Doch nach Greifswald kommt er selten - hier herrscht noch heute die AUB. In der gesamten Region gibt es in der Branche gerade einmal 8900 sozialversicherungspflichtige Jobs. "So viele wie in einer Schicht bei VW", sagt Bloempott und lacht bitter. "Das ist der Grund, warum Schelskys AUB hier so erfolgreich war, wie nirgendwo sonst. Die größte Angst, die die Leute hier haben, ist der Verlust des Arbeitsplatzes. Das nutzte er aus."

Schelsky baute seine nützlichen Verbindungen in Greifswalds Lokalpolitik aus. In den CDU-Kreisen konnte sich Schelsky auf ein System von Freunden und Begünstigten verlassen. Die Geschäftsstelle der AUB legte er ins Haus der CDU-Fraktion. Als die AUB die Geschäftsstelle schloss, verlegte Schelsky das Büro seine Zeitarbeitsfirma dorthin. Darüber hinaus verteilte er reichlich Geld: Die Greifswalder CDU-Fraktion erhielt von ihm nach eigenen Angaben seit 2001 rund 50.000 Euro. Der Greifswalder Bundestagsabgeordnete Ulrich Adam räumte bisher Wahlkampfbeihilfen und Zuwendungen in Höhe von 60.000 Euro ein. Greifswalds CDU-Schatzmeister Rainer Steffens verteidigt Schelsky als einer von drei Anwälten vor Gericht. Selbst der CDU-Oberbürgermeister erhielt kostenlos Plakate und Handzettel für seinen Wahlkampf. Heute kann sich daran in der CDU keiner mehr erinnern. Woher Schelsky das Geld nahm, wusste niemand - und niemand fragte danach. Alle Interviewanfragen sind abgelehnt oder kurzfristig abgesagt worden. Die Greifswalder Opposition spricht von einem "Kartell des Schweigens" und ist nun gespannt auf die Aussagen von Schelsky.

Sein Engagement wird zum Verhängnis

Schelsky hatte eine große Bedeutung auch für den wichtigsten Sportverein der Stadt. "Der GSV lag am Boden. Er war der Macher, der Kopf", sagt ein Fan. Schelsky holte Bundesligatrainer Andreas Zachhuber, der einst FC Hansa Rostock drillte, und viele gute Spieler in den Verein. Die AUB wurde Hauptsponsor und Schelsky übernahm laut Anklageschrift sämtliche Gehälter der Fußballer. Sogar der Aufstieg gelang. Der Präsident des GSV schwärmt noch heute: "Jedem war klar: Die Fußballmannschaft war sein Baby." Es sind diese privaten Engagements für Sport und Politik, die für die Staatsanwalt besonders interessant sein dürften.

Schelskys Verteidiger Lubojanski sieht dem laufenden Prozess jedoch gelassen entgegen: "Bei den Zahlen sind wir uns einig. Nur bei der Bewertung der Sachlage haben wir unterschiedliche juristische Interpretationen". So habe die AUB und damit auch Siemens ja durchaus vom Werbeeffekt des Sportsponsoring profitiert.

Egal wie der Prozess endet, in Greifswald wird Schelsky eine angesehene Persönlichkeit bleiben. Nur für die Opposition ist die Sache noch längst nicht geklärt. Sie befürchtet, dass Schelskys Netzwerk viel weiter reicht als bisher bekannt.

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