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Prozess gegen angebliche Lebensmitteldiebe Gericht lässt Müllsammler ziehen

Sie sammeln Essen aus den Mülltonnen der Supermärkte, um gegen Lebensmittelverschwendung zu protestieren. Zwei Containerer wurden zu Strafen verurteilt. Nun hat die Berufungsinstanz das korrigiert.
Von Lutz Meier

Philipp Hauschild hatte gestern die Wahl. Bauchfleisch, Nackensteaks, Gemüsebeilagen, Desserts. "Da kann man wählerisch werden", schwärmt der 23-Jährige aus Hamburg. Schließlich hat er sich für Curryleberpastete, Grünkohlkonserven, frische Erdbeeren und Joghurt entschieden. "Schlaraffenland", schwärmt Hauschild. Es klingt nach kaltem Büffet, aber in Wahrheit lebt Hauschild aus dem Müll. Er "containert", wie es in der Szene heißt, fischt abends in den Müllcontainern der Supermärkte nach weggeworfenen Lebensmitteln. Und er findet genug. "Hamburg geht's eben noch zu gut", sagt Hauschild. Am Anfang hat er aus wirtschaftlicher Not mit den Mülltonnen-Streifzügen angefangen, inzwischen macht er es aus Überzeugung und politischer Haltung. "Ich bin nicht bereit, diese Überproduktion mitzufinanzieren", sagt er. Er ernährt sich, wie er sagt, ausschließlich aus Mülltonnen und zieht Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag los. Mittwoch lässt er aus, da kommt die Müllabfuhr.

"Zu geringfügig"

Zwei andere Müllsammler sind am Dienstag möglicherweise gar einer Gefängnisstrafe entgangen. Zu Jahresbeginn hatte das Aachener Amtsgericht Rowena F. und Raoul M. aus Düren wegen Hausfriedensbruchs und Diebstahls zu 30 und 70 Tagessätzen à zehn Euro oder entsprechenden Hafttagen verurteilt. Sie hatten im örtlichen Rewe-Markt ein paar angestoßene Früchte und andere Lebensmittel aus dem Müll mitnehmen wollen, als die Polizei sie festhielt. Die Berufungsinstanz stellte nun das Verfahren ein. Zuvor hatte der stellvertretende Marktleiter des Rewe-Ladens seinen Strafantrag zurückgezogen. Der Diebstahl allein sei zu geringfügig, um das Verfahren fortzusetzen, stellte der Vorsitzende Richter fest. Dem stimmten alle Beteiligten zu. "Jetzt bin ich schon ziemlich froh", sagt Rowena F. im Gespräch mit stern.de. Eine Party haben die beiden Angeklagten, die im Gericht von vielen Aktivisten unterstützt wurden, aber nicht geplant.

Nudeln, Olivenöl, Salz und Pesto - alles nebeneinander

Armut, Verschwendung, Überproduktion: Das sind die Themen der Containerer. Rowena F. macht es, "weil ich mich weigere, diese Art von Wirtschaft anzukurbeln, mit der ich nicht einverstanden bin". Beim Dürener Rewe-Markt, an dem sie im vergangenen Jahr die Polizei festhielt, würden regelmäßig massenhaft brauchbare Lebensmittel weggeworfen - nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch haltbare Dinge wie Nudeln, Olivenöl, Salz oder Pesto, klagt Rowena F. Sie geht zwei Mal die Woche containern, aber nicht alles, was sie isst, fischt sie aus dem Müll.

"Den Kunden stets optimale Frische bieten"

Vielleicht war das ganze Gerichtsverfahren einfach nur ein Missverständnis. In der Regel gehen Supermärkte nicht gegen Müllsammler vor. In dem Dürener Fall hatte allerdings eine Nachbarin die Polizei alarmiert, weil sie die Containertaucher für Einbrecher hielt. Der stellvertretende Marktleiter hatte dann einen Strafantrag unterzeichnet. Daher kam es zum Gerichtsverfahren, Aktivisten nutzten es als Bühne, Rewe stand am Pranger. Schließlich kassierte der Marktleiter seinen Strafantrag wieder, womit der Richter auch kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung mehr sah.

Alles nur ein Missverständnis, sagt auch der Rewe-Konzern. "Wir haben so entschieden, wie wir das entschieden hätten, wenn wir es früher gewusst hätten", sagt ein Sprecher. Es ergebe für den Supermarktbetreiber keinen Sinn, etwas zu verfolgen, bei dem kein Schaden entstanden ist. Die Kritik der Müllsammler nimmt Rewe sich allerdings nicht zu Herzen. Man tue schon alles, um Lebensmittelmüll zu vermeiden, sagt der Sprecher. "Aber es ist für uns auch ein Spagat, den Kunden stets die optimale Frische anzubieten und gleichzeitig den Abfall zu optimieren." Mülltaucher Hauschild macht andere Erfahrungen. Er macht jeweils die Runde durch alle Supermärkte. "Rewe ist das Paradies", sagt er.

Rowena F. gibt die Hoffnung nicht auf. Sie hat vor der Gerichtsverhandlung mit dem Rewe-Mann gesprochen, schließlich informierte er sie über den Rückzug des Konzerns. "Ich hoffe, dass sie jetzt was an ihrer Müllpolitik ändern", sagte sie. War der Prozess jetzt ein Erfolg, weil er öffentliche Aufmerksamkeit gebracht hat? Nicht unbedingt, antwortet Rowena F. Schließlich sei sie gegen Ressourcenverschwendung. Und so ein Gerichtsverfahren sei eine enorme Verschwendung. "Ich nutze meine Zeit lieber sinnvoller."

Von Lutz Meier

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