Wirtschaftsminister Robert Habeck ist ein Krisenmanager im Dauerstress. Wie ein Feuerwehrmann mit einem Großbrand kämpft Habeck mit der Energiekrise dieses Landes. Kaum hat er an einer Ecke ein bisschen was gelöscht, lodern die Flammen an anderer Stelle umso größer auf. Und mitten im Katastropheneinsatz muss er der Bevölkerung auch noch erklären, wie wir das alle heil überstehen.
Diese Krisenkommunikation, häufig als Habecks große Stärke gelobt, ging am Dienstagabend gehörig schief. Im TV-Interview mit Moderatorin Sandra Maischberger redete sich Habeck mit Aussagen zu drohenden Insolvenzen um Kopf und Kragen. Auf die Frage, ob er aufgrund der hohen Energiepreise mit einer Insolvenzwelle rechne, kam Habeck bedenklich ins Schlingern. "Nein, das tue ich nicht", antwortete der Minister. Er könne sich zwar vorstellen, "dass bestimmte Branchen erst einmal aufhören zu produzieren", das bedeute aber nicht, dass die betroffenen Unternehmen auch insolvent werden. Er sehe wohl, dass Betriebe wie Blumenläden, Bioläden oder Bäckereien Probleme bekämen, weil ihre Kosten stiegen und es eine Kaufzurückhaltung gebe. Aber: "Dann sind die nicht insolvent automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen."
Wie jetzt? Wenn Unternehmen nichts mehr verkaufen, aber weiter Ladenmiete und Mitarbeiter bezahlen müssen, würden sie doch nach kurzer Zeit zwangsweise in die Pleite rutschen, fragte Moderatorin Maischberger nach. Doch da auch der zweite Erklärungsversuch Habecks verworren blieb, war der Shitstorm schnell gemacht. Seht her, der Wirtschaftsminister weiß noch nicht mal, wie eine Insolvenz funktioniert, lauteten Kommentare in sozialen Medien und einige mediale Schlagzeilen. Auch für die Opposition ist es ein gefundenes Fressen: Unions-Fraktionschef Friedrich Merz nannte Habecks Auftritt hilflos, CSU-Generalsekretär Martin Huber erklärte, Habeck habe keine Ahnung vom Wirtschaften.
Seine Kritiker sehen schon den Habeck zurück, der einst die Pendlerpauschale nicht erklären konnte. Doch auch wenn sich Habeck im rhetorischen Detail ganz schön verheddert hat: Hinter den ungelenken Ausführungen stehen durchaus ernsthafte Überlegungen, die man vor lauter Shitstorm nicht übergehen sollte.
Hilft jetzt der Staat?
Zunächst einmal lässt sich ganz allgemein festhalten, dass ein Betrieb sehr wohl für eine Zeit dicht machen und nichts verkaufen kann, ohne zwangsweise pleite zu gehen. Eine Eisdiele, die im Sommer gut verdient hat, kann im Winter ein paar Monate zusperren, ohne für diese Zeit Insolvenz anzumelden, um mal ein einfaches Beispiel zu nennen. Umgekehrt können Unternehmen auch Insolvenz anmelden und trotzdem erstmal weiter wirtschaften und versuchen, sich im laufenden Betrieb zu sanieren, wie es etwa aktuell der Klopapierhersteller Hakle tun will. Betrieb dicht = Insolvenz ist also tatsächlich kein Automatismus, weder in die eine noch in die andere Richtung.
Richtig ist aber auch, dass viele Betriebe einen längeren Einnahmeausfall wohl nicht verkraften könnten, sofern sie weiter regelmäßige Ausgaben wie Löhne und Mieten haben. Ihnen droht früher oder später sehr wohl die Insolvenz. Entscheidend wäre dann, inwieweit die Politik den Unternehmen mit staatlichen Maßnahmen zu Hilfe springt. Denn dass sie dies vorhat, erwähnte Habeck ja ebenfalls bei Maischberger, auch wenn das in all der Schadenfreude über den ungelenken Auftritt unterging. "Wir arbeiten an Unterstützungsprogrammen, die Unternehmen helfen", sagte Habeck.
Als Präzedenzfall führt er die erste Phase der Corona-Pandemie an, als auch viele Betriebe vorübergehend dicht waren, aber dank staatlicher Unterstützung eben nicht in Insolvenz gehen mussten. "Bei Corona hat sich die Politik entschieden, alle Kosten zu übernehmen. Das war enorm teuer, und diese politische Entscheidung haben wir noch nicht gefällt", erklärte Habeck.

Was ändert sich im Insolvenzrecht?
Neben direkten finanziellen und steuerlichen Entlastungen hat die Regierung noch mehr Möglichkeiten, um eine Insolvenzwelle zu verhindern. So plant die Koalition derzeit Änderungen am Insolvenzrecht. Diese spielten schon eine Rolle bei den Beratungen über das jüngste Entlastungspaket: In dem Beschluss des Koalitionsausschusses vom Sonntag heißt es, man werde für "Erleichterungen bei der Insolvenzantragspflicht" sorgen.
Hinter der vagen Formulierung verbirgt sich – Stand heute – allerdings kein großer Wurf wie in der Corona-Krise. Zu Beginn der Pandemie hatte die damalige Große Koalition zeitweise die Verpflichtung für Unternehmen ausgesetzt, Insolvenzantrag zu stellen, wenn sie überschuldet sind – also das Vermögen die Verbindlichkeiten übersteigt. Die Änderungen hatten dazu geführt, dass die Zahl der Firmenpleiten trotz Lockdowns und anderer staatlicher Beschränkungen während der Krise sogar noch kräftig auf einen historischen Tiefstand sank.
Ähnlich weitreichende Erleichterungen soll es nun nicht geben. Vor allem die FDP argumentiert, dass die hohen Energiepreise mutmaßlich kein vorübergehendes Problem seien, wie es etwa mit den Lockdowns war. Zudem sei es in der Corona-Krise der Staat gewesen, der in die wirtschaftlichen Tätigkeiten der Unternehmen eingegriffen habe – und ihnen in manchen Branchen sogar praktisch ein zeitweises Berufsverbot erteilt habe. Aus diesem Grund lehnen die Liberalen eine erneute Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen ab.
Die geplanten Erleichterungen beziehen sich stattdessen auf die sogenannte Fortführungsprognose: Vereinfacht gesagt müssen Unternehmen im Fall einer akuten Überschuldung nicht unmittelbar Insolvenz anmelden, wenn ihnen Wirtschaftsprüfer gute Überlebenschancen bescheinigen. In der Praxis bezieht sich die Untersuchung der Prüfer auf einen längeren Zeitraum, in der Regel auf das laufende und das folgende Geschäftsjahr. Als Reaktion auf die Unwägbarkeiten und rasanten Entwicklungen bei den Energiepreisen will die Bundesregierung Erleichterungen schaffen: So sollen die Prüfer nur noch untersuchen, ob das Unternehmen die nächsten Monate übersteht. Denkbar sind etwa vier Monate. Dies dürfte dazu führen, dass die Fortführungsprognose bei weniger Firmen negativ ausfällt – und weniger kurzfristig Insolvenz anmelden müssen.
Experten sehen noch keine Insolvenzwelle
Auf die Frage, ob Deutschland eine Insolvenzwelle drohe, hätte Habeck am Dienstagabend auch einfach die aktuelle Untersuchung des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zitieren können. Dieses hatte konstatiert, dass die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften derzeit zwar stark steige, aber eben von einem sehr niedrigen Niveau kommend. "Nach lange Zeit niedrigen Insolvenzzahlen hat nun eine Trendwende eingesetzt", sagte IWH-Forscher Steffen Müller am Dienstag. Aber: "Von einer drohenden Insolvenzwelle kann trotz steigender Zahlen derzeit nicht gesprochen werden."