Kaum hat das klassische Wodka-Land Russland Gefallen an ausländischen Weinen gefunden, da sitzt es auf dem Trockenen. "Importmarkt für Alkohol in Panik", lautet eine typische Moskauer Schlagzeile der vergangenen Tage. 15 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stehen viele Spirituosenläden wieder so leer wie zu kommunistischen Zeiten. Schuld daran ist dieses Mal aber keine Anti-Alkohol-Kampagne wie unter Generalsekretär Michail Gorbatschow, sondern bürokratisches Chaos.
Eigentlich wollte die russische Regierung Ordnung in den Alkoholhandel bringen und minderwertigen und gepanschten Stoff aus dem Verkehr ziehen. An Fusel sterben in Russland jährlich etwa 40.000 Menschen. Zum 1. Juli rief die Regierung alle importierten Weine, Schnäpse und Liköre aus Läden und Restaurants zurück, um sie mit neuen Zollmarken auszustatten. Seitdem herrscht gähnende Leere in den Weinregalen und -kellern Russlands. Restaurants können ihren verärgerten Kunden nur noch billigen heimischen Wein, Wodka oder Bier anbieten. Wer eine Hochzeit oder einen Empfang organisiert, muss sich die kostbaren Tropfen regelrecht zusammenklauben.
Im vergangenen Jahr entfielen etwa 70 Prozent des knapp zwei Milliarden Euro schweren Weinmarktes auf Importe. Die Umetikettierung betrifft Waren im Wert von drei Milliarden Rubel (ca. 87,5 Millionen Euro). Erfahrungen mit den russischen Behörden in der Vergangenheit lassen befürchten, dass der Großteil der Ware bis zum Ablauf der Frist am 29. Dezember nicht umetikettiert sein wird. Ein Teil könnte zudem einfach verschwinden.
Zoll sammelt Importspirituosen ein
"Es ist technisch einfach unmöglich, eine Aktion dieser Größenordnung durchzuführen. Darin liegt ein enormes Potenzial für Korruption", klagt der Verband der Restaurantbesitzer und Hoteliers. "Im Grunde genommen nehmen sie uns unser legal importiertes und legal verkauftes Eigentum", sagt Irina Iwanowa, Generaldirektorin der Importfirma Rosagroimport. In der Zwischenzeit müssen Händler mit Strafen rechnen, wenn sie nicht alle Flaschen aus ihren Kellern in staatliche Zolllager umräumen.
So werden wohl Millionen von Flaschen bis zu sechs Monate im Zolllager verstauben, bis sie mit den neuen Marken versehen wieder in die Regale dürfen. Darunter leidet vor allem der Großhandel. Dessen Ansicht nach trägt der russische Zoll die Schuld an den Verzögerungen. Außerdem habe es die Regierung versäumt, klare und verbindliche Anweisungen für alle Beteiligten zu erlassen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Zu Beginn des Jahres gab es schon einmal zwei Monate lang ähnliche Probleme: Einige Spirituosensorten sollten umetikettiert werden, die neuen Zollmarken waren aber noch nicht gedruckt. Diesmal liegen 287 Millionen Marken beim Zoll bereit. Trotzdem arbeitet die Bürokratie für viele Händler zu langsam. Doch da die Kritik an den Behörden zunimmt, hoffen manche Händler, dass sich die Weinregale schon in ein paar Wochen wieder füllen.