Herr Pieth, das UN-Programm "Öl für Lebensmittel", das von 1996 bis 2003 lief, sollte die Menschen im Irak mit Nahrung versorgen, ohne das Regime von Saddam Hussein zu bereichern. Nun aber ist aus der größten Hilfsaktion der Vereinten Nationen ihr größter Bestechungsskandal geworden. Wer hat alles die Hand aufgehalten?
Mark Pieth: Zunächst einmal das irakische Regime, das per Schmuggel elf Milliarden und durch illegale Zahlungen 1,8 Milliarden Dollar abgesahnt hat. Der Schmuggel wäre eigentlich das Hauptthema - jedenfalls, was die Umgehung der Sanktionen angeht. Aber unser Auftrag als Untersuchungskommission war hauptsächlich, zu sehen, was bei den UN schief gelaufen ist. Auch dort gab es einzelne Leute, die bestechlich waren. Nun haben wir im Abschlussbericht zudem festgestellt, dass 2200 Firmen aus aller Welt bereit waren, illegale Zuschläge an den Irak zu zahlen, um mit dem Regime im Geschäft zu bleiben. Im Rückblick erweist es sich als größter Fehler des "Öl für Lebensmittel"-Programms, dass Saddam Hussein seine Vertragspartner selbst auswählen durfte.
Wie liefen die Schmiergeldzahlungen konkret ab?
Bei der Lieferung humanitärer Güter hat das Hussein-Regime mindestens 10 Prozent, manchmal bis zu 30 Prozent auf den Vertrag draufgeschlagen. Das wurde entweder als "Service-Gebühr" deklariert oder mit fiktiven Transportkosten begründet. Ab Oktober 2000 hat Saddam alle irakischen Ministerien verpflichtet, diese Aufschläge von den Unternehmen zu verlangen. Dazu haben beide Seiten einfach den Preis aufgebläht, der gegenüber den UN offiziell deklariert worden war. Gleichzeitig hat man verabredet, dass diese zehn Prozent Zuschlag auf geheimen Wegen in den Irak gelangen.
63 Firmen aus Deutschland ertappt
Der Schweizer Strafrechtsprofessor Mark Pieth, 52, war einer von drei Leitern der unabhängigen
UN-Untersuchungskommission zum "Öl für Lebensmittel"-Programm der Vereinten Nationen. Die Kommission, die mehr als 60 Ermittler beschäftigte, legte nach 18monatiger Arbeit in der vorigen Woche ihren Abschlussbericht vor. Ergebnis: Bei dem Programm, das von 1996 bis 2003 lief, war Korruption an der Tagesordnung. Von mehr als 3600 Unternehmen, die unter UN-Aufsicht mit dem Irak Geschäfte machten, zahlten über 2200 Bestechungsgelder an Saddam Hussein. Aus Deutschland schmierten 63 Firmen mit.
Welche Wege waren das?
Ursprünglich musste man an der Grenze zahlen. Vor allem bei den Öllieferungen hat der Irak die Tankerkapitäne unter Druck gesetzt und gesagt: Ihr könnt aus unseren Häfen nur wieder rausfahren, wenn ihr das Geld deponiert habt. Ganz ähnlich lief es zunächst auch bei Warenlieferungen in den Irak: Die Transporte wurden erst nach Zahlung der Aufschläge durchgelassen. Später wurden die illegalen Zuschläge auf Konten in Jordanien deponiert, auf die der Irak Zugriff hatte. Es gab auch den Weg, dass man in Botschaften bar auf den Tisch bezahlt hat. Pikanterweise wurde das Geld zum Teil von Botschaftsangehörigen gestohlen.
In Ihrem Abschlussbericht greifen Sie den Fall Daimler-Chrysler aus den Jahren 2001 und 2002 heraus, obwohl das Schmiergeld, um das es geht, relativ gering ist.
Daimler-Chrysler hat 13 589,50 Mark als illegalen Zuschlag bezahlt und dem Irak weitere 80 000 Euro versprochen. Das ist durch schriftliche Abmachungen belegt. Auf den ersten Blick ein eher banaler Fall, aber es handelt sich um eine ganz klare Sanktionsverletzung. Das Beispiel ist eindeutig: Daimler-Chrysler versucht, einen gepanzerten Wagen zu verkaufen, der nötig ist, um Öleinnahmen zu transportieren. Der soll 135 895 Mark kosten, und ein Manager unterschreibt das Versprechen: Wir bezahlen zehn Prozent zusätzlich (außerhalb des Programms) an das Ministerium für Öl. Den UN wurden dann 149 484,50 Mark in Rechnung gestellt, man hat also ganz genau diesen Betrag obendrauf geschlagen.
Mehrere Tochtergesellschaften des Siemens-Konzerns sollen sogar 1,6 Millionen Dollar illegal gezahlt haben. Das Unternehmen bestreitet das hartnäckig. Wie glaubhaft ist das Dementi von Siemens?
Ich glaube, das Hauptproblem bei Siemens war, dass sie das Ganze selber nicht rekonstruieren konnten. Und ich bin mir nicht ganz klar, ob sie bestreiten, dass sie bezahlt haben, oder ob sie bestreiten, dass sie gewusst haben, dass so viel gezahlt worden ist. Ich kann Ihnen aber sagen, wie unsere Argumentationskette läuft: Es geht um Verträge von insgesamt 60 Millionen Dollar, auf die 1,6 Millionen Dollar an so genannten kickbacks von Angestellten oder Agenten gezahlt worden sind. Die sind verbucht worden, die sind eingegangen. Das ist nachweisbar.
Sie sind Strafrechtler: Glauben Sie, dass gegen Siemens, Daimler-Chrysler und andere deutsche Firmen staatsanwaltliche Ermittlungen eingeleitet werden?
Das, was wir hier auf den Tisch legen, begründet einen Anfangsverdacht. Das heißt, das ist die Schwelle zur Einleitung eines Verfahrens. Die Frage, ob das Verfahren in Richtung Betrug, Korruption oder etwas anderes geht, ist offen. Es ist auf jeden Fall Sanktionsverletzung.
Daimler-Chrysler hat ja auch mehrere Lieferungen über einen russischen Zwischenhändler laufen lassen, die "Russian Engineering Company". Welche Rolle spielt diese Firma?
Nach unseren Erkenntnissen war diese Firma ein wichtiger Partner Bagdads. Die Topmanager haben sich mehrfach mit Saddam Hussein und seinen engsten Beratern getroffen und nachweislich gegen die Regeln des "Öl für Lebensmittel"-Programms verstoßen. Direkt oder indirekt sind von der Russian Engineering Company fast zwölf Millionen Dollar an illegalen Zahlungen in den Irak geflossen.
Kofi Annan stand lange im Mittelpunkt Ihrer Ermittlungen. Wie sehen Sie heute die Rolle des UN-Generalsekretärs?
Kofi Annan wurde von Mitarbeitern ausmanövriert. Er hätte als Manager wesentlich besser agieren können: Er ist Indizien für Missbräuche nicht hartnäckig genug nachgegangen, er hat den Sicherheitsrat nicht konsequent informiert, und er hat Aufgaben ins Ungewisse delegiert. Die Kommission hat deshalb zwei wichtige Reformen vorgeschlagen: eine Aufsicht außerhalb aller politischen Gremien sowie einen starken Verwalter, der den Generalsekretär entlastet.
Die US-Regierung fordert schon lange eine Reform der UN. Hat sich die Kommission von den USA instrumentalisieren lassen?
Natürlich ruft das die Dritte Welt auf den Plan mit dem Vorwurf, der ganze Bericht sei ein Stück weit amerikanische Politik. Aber es ist ja nicht zu bestreiten, dass vieles schief läuft. Ich muss sagen, für mich war das auch persönlich eine ziemliche Enttäuschung. Ich wollte eigentlich mit meiner Mitwirkung versuchen zu verhindern, dass man die Vereinten Nationen aus politischen Gründen schlecht macht. Denn wir brauchen sie einfach. Ich habe aber festgestellt, dass viele der Vorwürfe stimmen.
Interview: Karsten Lemm, Rainer Nübel