Patienten haben von der Gesundheitsreform der Bundesregierung bislang vor allem die fester gedrehte Preisschraube zu spüren bekommen. Wegen Praxisgebühren und höheren Zuzahlungen für Medikamente gehen viele seltener zu Ärzten und Apotheken, wie deren Verbände beklagen. Jetzt geraten weitere Weichenstellungen der Gesundheitsreform immer mehr in den Focus. Mediziner und Gesundheitsverbände erwarten starke Veränderungen bei der Versorgung von Patienten etwa durch die bisher in der Öffentlichkeit wenig beachteten Medizinischen Versorgungszentren.
Viele Menschen fühlen sich im Medizinbetrieb heute verloren. Nach einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK in Bonn beklagt fast jeder dritte Patient, sein Arzt gehe möglichen Ursachen für Gesundheitsprobleme nicht genügend nach. Niedergelassenen Ärzten fehlt oft die Zeit, bei ausgeschöpften Budgets werden sie oft nicht mehr entlohnt. Unter anderem mit Zentren, in denen mehrere Ärzte unter dem Dach eines gemeinsamen Trägers praktizieren, will Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die Versorgung verbessern.
Übergang in eine anonymisierte Ambulanzmedizin
Deutschlandweit sind nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mittlerweile 60 solcher Zentren nach dem Vorbild der DDR-Polikliniken zugelassen - 70 weitere seien beantragt. "Bisher ist das eher ein Flickenteppich, aber das wird sich mit zunehmender Dauer der Reform entwickeln", sagt KBV-Sprecher Roland Stahl. Experten erwarten gravierende Verschiebungen: Die Bedeutung der Strukturelemente der Gesundheitsreform "ist für Patienten und Ärzte weitaus höher einzuschätzen, als die bisherigen Kostendämpfungsmaßnahmen", betont die Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen. An diesem Freitag veranstaltet sie ein Symposium zum Thema in Berlin.
Ärzteverbände laufen seit Monaten gegen die Versorgungszentren Sturm. "Die Politik nimmt Abschied von der flächendeckenden und vor allem wohnortnahen Versorgung", kritisierte Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe. Fachärzte in Einzelpraxen seien künftig kaum mehr konkurrenzfähig. Hausärzte nur noch als Lotse, Kliniken, die unter dem Druck festgesetzter Behandlungspauschalen die Stationsaufenthalte weiter einschränken und Versorgungszentren, die unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeiten. Der Hartmannbund sieht bereits den "Übergang in eine anonymisierte Ambulanzmedizin, in welcher der Mensch als Individuum kaum noch eine Rolle spielen dürfte".
"Die Versorgung wäre auf jeden Fall besser als in getrennten Einzelpraxen"
Peter Sawicki, Leiter des neuen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln, sagt hingegen: "Die Versorgung in solchen Zentren wäre auf jeden Fall besser als in getrennten Einzelpraxen. Sie sollten in jeder Stadt entstehen, in größeren Städten auch mehrere." Vor allem spezialisierte Zentren hätten Vorteile: "Bei einer Krankheit wie dem Diabetischen Fuß brauchen Sie beispielsweise Internisten-Diabetologen, Chirurgen, Fußpfleger und medizinische Schuhmacher."
Der Austausch zwischen mehreren Ärzten bei komplizierten Krankheiten sowie Diagnose, Laboruntersuchung und Behandlung an einem Ort - Patienten würden durch die Einrichtungen viel Mühe sparen. «Im Moment entstehen sie eher im regionalen Bereich», räumt Sawicki allerdings ein. Statt Spezialisten für komplexe Krankheiten sind hier eher mehrere Allgemeinmediziner einer Region versammelt. Noch sind viele Fragen offen, etwa welche Träger dominieren werden. Dass Patienten aber künftig weit weniger als heute aus eigenem Antrieb verschiedene Fachärzte ausprobieren, scheint sicher.
Basil Wegener/DPA