Nachdem Tierärzte die Seuche am 14. Februar 2006 erstmals in Deutschland feststellten, reagierten die Verbraucher verschreckt - und strichen Geflügel in vielen Fällen vom Speiseplan. Zwölf Monate später hat die Branche die Rückschläge verkraftet. Der Absatz floriert wieder und die Preise ziehen an. Doch ein erneuter Ausbruch der Tierseuche in Deutschland würde die Geflügelhalter jetzt im Mark treffen. Die Polster aus fetteren Jahren sind nach Einschätzung von Branchenexperten zum großen Teil aufgezehrt.
Verarbeitende Betriebe ruderten zurück
"Es waren dramatische Monate", sagt der Geschäftsführer des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) in Berlin, Thomas Janning. Im ersten Quartal 2006 brach beispielsweise der Absatz von ganzen Hähnchen um gut ein Fünftel ein. "Besonders drastisch war das Absatzminus bei Puten", sagt Uta Schmidt von der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle (ZMP) in Bonn. Grund waren nach Aussage der Geflügelhalter nicht allein ängstliche Verbraucher selbst. Auch verarbeitende Betriebe hätten in Vorahnung der Käuferwünsche etwa bei der Wurstherstellung auf Putenfleisch verzichtet. "Das läuft erst jetzt wieder", sagt Janning.
Mit dem Absatzstau brachen die Preise ein. Brachte ein Masthähnchen dem Erzeuger 2005 im Durchschnitt noch 72 Cent pro Kilogramm, waren es im März 2006 noch 66 Cent, im April und Mai lediglich noch 65 Cent. Die rund 8000 größere Betriebe zählende Branche geriet damit in eine Zwickmühle: Nachfrage und Preise waren im Sinkflug, aber die Ställen standen voll mastreifer Tiere. Ein Ausweg war das Einfrieren geschlachteter Tiere statt des gewohnten Frischfleischangebotes. Tiefkühlkost jedoch bringt weniger Gewinn und die Konkurrenz aus dem Ausland ist groß. Schon bis Ende April hatte die Branche eigenen Angaben zufolge 150 Millionen Euro Umsatz eingebüßt, befürchtete Pleiten und auch Entlassungen.
WM half sogar den Geflügelbauern
Doch dann glättete das WM-Sommermärchen die Sorgenfalten der Geflügelbauern und der schätzungsweise 40.000 Erwerbstätige, die direkt und indirekt an der Branche hängen: Beim Fußball-Gucken unter freiem Himmel landeten wieder unzählige Hähnchenschenkel und Putenbrüste auf dem Grill. Die düsteren Szenarien traten letztlich nicht ein. Zwar verspeiste jeder Bundesbürger im vergangenen Jahr statistisch gesehen nur 17 Kilogramm Geflügel und damit 700 Gramm weniger als im Vorjahr. Doch der Gesamtabsatz der Branche inklusive der Exporte ging nur leicht zurück. Die Betriebe schlachteten nach Berechnungen der ZMP nur 0,3 Prozent weniger Hühner und Puten als im Jahr 2005. EU-weit nahm die Produktion jedoch um etwa 2 Prozent ab.
Seit November 2006 erholt sich der Geflügelmarkt allmählich. "Das braucht die Branche auch", sagt Verbandschef Janning. Die Polster seien aufgebraucht. "Eine Vogelgrippe jetzt hätte katastrophale Auswirkungen." Dass dieses Szenario nicht aus der Luft gegriffen ist, wissen die Geflügelzüchter. Angesichts der jüngsten Ausbrüche in Großbritannien und Ungarn fordern sie von den Behörden, die geltende Stallpflicht auch streng durchzusetzen. Diese Vorsorgemaßnahme hatte 2006 so manchen Hobbyzüchter oder Kleinstbetrieb finanziell überfordert und zumindest vorübergehend zur Aufgabe bewogen. Das merkten die Verbraucher vor allem beim Gänsekauf. Zu Sankt Martin waren die Tiere knapp und der Braten damit teuer.
Kein Großbetrieb geht pleite
Die Vogelgrippe habe letztlich keinen Großbetrieb in die Pleite getrieben, erklärt Verbandschef Janning. "Große Betriebe waren nie das Problem", sagt auch ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums in Hannover. In Niedersachsen werden mehr als die Hälfte der knapp 60 Millionen deutschen Masthühner, 10,5 Millionen Puten und ein Großteil der über 40 Millionen Legehennen gehalten. In den kommenden Wochen schlägt die Branche mit einem geschätzten Jahresumsatz von vier Milliarden Euro auf die Werbetrommel um wieder auf den Wachstumspfad zurückzukehren. Unter dem Slogan "Unser Geflügel - sicher ein Genuss" wird eine Kampagne unter anderem mit Fernsehspots für Geflügelfleisch werben. Dafür sind sechs Millionen Euro veranschlagt.