Der "Klaus" konnte sehr großzügig sein. Am Ende einer Nacht habe er schon mal 100 Euro Trinkgeld gegeben, erzählt die tschechische Prostituierte Ivana*, 21. An einem Morgen danach seien sie sogar durch die besseren Geschäfte Prags gebummelt. Sie zeigt eine Tasche der Marke Louis Vuitton, teuer und ein wenig protzig, angeblich ein Geschenk von "Klaus". Sie trägt sie heute noch gelegentlich, sagt sie.
Der "Klaus" konnte aber auch sehr wählerisch sein. Ivana habe er sich am Abend des 6. Mai 2004 aus einer Gruppe von fünf oder sechs Mädchen ausgesucht, die zu diesem Zwecke hätten antreten müssen. Die anderen seien wieder nach Hause geschickt worden. Die Mädchen mögen diese Fleischbeschau nicht besonders, aber Volkswagen sei ein guter, wichtiger Kunde gewesen und der "Klaus" dort selbst ein hohes Tier.
Auch der "Helmuth" war eine große Nummer, und auch er ließ sich zuweilen nicht lumpen, wenn man den Schilderungen des Freudenmädchens Eva× glaubt. Ihr habe er zum Geburtstag einen teuren Ring gekauft. In der Nacht zuvor - vom 21. auf den 22. Januar dieses Jahres - seien sie mit dem Wagen 20 Minuten hinaus gefahren aus der Stadt in eine verwinkelte Gasse eines Vororts. Dort wohnte der "Helmuth" - ein weißes Haus auf einem Hanggrundstück. Er habe sie gebeten, leise zu sein. Vielleicht war jemand daheim.
Und noch ein Mann von VW hat es im Prager Milieu zu Bekanntheit gebracht. Er soll oft dabei gewesen sein, wenn es die Herrenrunden vom Autokonzern mal so richtig krachen ließen. Auch er wurde stets nur bei seinem Vornamen "Klaus" genannt. Er, so wird erzählt, sei es gewesen, der beim so genannten Escort-Service die jungen Frauen bestellte. Drei, vier oder fünf. Hoch gewachsen oder lieber zierlich. Blond oder brünett. Große oder kleine Brüste. Oder eben gleich ein paar mehr zum Aussuchen. Alles war möglich. Die Kundschaft habe allerdings stets Wert auf gepflegtes Auftreten und elegante Kleidung gelegt. Und "natürliche" Mädchen sollten es sein. Dieser "Klaus" habe bei den Bestellungen sich selbst nicht vergessen, allerdings auch eine undankbare Aufgabe gehabt: Wenn später in der Nacht einer der Kollegen unzufrieden gewesen sei mit seinem Mädchen, habe "Klaus" Ersatz herbeitelefonieren müssen.
Klaus, Helmuth, Klaus: Nach Recherchen des stern, verschiedenen Aussagen von Prager Milieuinsidern und eidesstattlichen Erklärungen von Beteiligten verbergen sich hinter diesen Vornamen drei zentrale Figuren jenes Skandals, der derzeit den Volkswagen-Konzern erschüttert: Ex-Betriebsratschef Klaus Volkert, der frühere Škoda-Vorstand Helmuth Schuster und VW-Mitarbeiter Klaus-Joachim Gebauer. Die Frauen haben die Männer aus einer großen Anzahl von Fotos als ihre Kunden wiedererkannt.
Eine der Prostituierten konnte den stern zum Wohnhaus Schusters führen. Zu den Vorwürfen haben die drei Betroffenen gegenüber dem stern über ihre Anwälte nicht detailliert Stellung genommen. Volkerts Anwalt Rainer Hamm teilte mit, sein Mandant befände sich "auf einer lange geplanten privaten Urlaubsreise", auf der er diesen mit den Fragen des stern "nicht behelligen möchte", zudem habe man sich verständigt, insbesondere auf "Anfragen, die sich auf sein Privatleben beziehen", keine weitergehenden Erklärungen abzugeben. Auch Gebauer sieht laut seinem Anwalt Wolfgang Kubicki "keine Veranlassung", auf die Fragen des stern einzugehen. Schusters Anwalt Ferdinand Gillmeister hat auf die Anfrage gar nicht reagiert.
Die drei Männer von VW:
Klaus Volkert, 62, bis vor ein paar Wochen Chef von Gesamt-, Konzern- und Weltbetriebsrat, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats und noch immer Vorstandsmitglied der IG Metall. Er trat zurück, als herauskam, dass er sich an einer tschechischen Firma namens F-Bel beteiligt hatte, die ihrerseits Geschäfte mit dem VW-Konzern anbahnte. Bald hieß es auch, er habe eine brasilianische Freundin namens Adriana B., die von VW bezahlt und des Öfteren teuer eingeflogen wurde.
Helmuth Schuster, 51, vor kurzem noch Personalvorstand der VW-Tochter Škoda in Prag, zuvor Leiter der Personalabteilung in Wolfsburg und Ideengeber des im Zuge des Skandals zurückgetretenen Arbeitsdirektors Peter Hartz. Er mischte offenbar bei der F-Bel und anderen Tarnfirmen mit und ist zudem in einen Skandal in Indien verwickelt, in dessen Verlauf zwei Millionen Euro verschwanden. Volkswagen warf ihn hinaus, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Untreue und Betrugs.
Und Klaus-Joachim Gebauer, 61, zuletzt Leiter Personalprojekte bei VW, nach eigener Aussage "zuständig für die Koordination zwischen Vorstand und Gesamtbetriebsrat beziehungsweise Gesamtbetriebsausschuss". Die "FAZ" nannte ihn den "Chefanimateur der Betriebsräte", "Bild" den "Sex-Manager von VW". Gebauer ist jener Mann, der den erstaunlichen Millionenetat verwaltete, über den die VW-Betriebsräte verfügt haben sollen. Und der heute betont, er habe stets auf Weisung gehandelt. Er soll ebenfalls an Geschäften Schusters beteiligt gewesen sein. Gebauer wurde von Volkswagen entlassen, auch gegen ihn laufen Ermittlungen.
Das Trio soll hinter dem Rücken von VW nicht nur zusammen Geschäfte betrieben haben, die den Skandal erst ins Rollen brachten. Seit Wochen kursieren Gerüchte, dass es bei VW gemeinsame Fress-, Sauf- und Sexgelage von Managern und Betriebsräten gab, welche die Menschen bei Volkswagen mehr erschüttern und die Öffentlichkeit mehr ergötzen als das Firmengeflecht. Das dubiose Firmennetz ist global, und auch die Hurengeschichten spielten offenbar interkontinental: S‹o Paulo, Paris, Lissabon. In Prag aber liefen viele Fäden zusammen. Und wer sich in der tschechischen Hauptstadt umhört, erfährt auch, wie die Prostituierten selbst dann noch über Firmenkosten abgerechnet worden sein sollen, als die Wolfsburger Kontrolleure längst misstrauisch geworden waren.
Nach Informationen des stern soll Gebauer allein von Mai 2004 bis April 2005 und allein in Prag mehr als ein Dutzend Mal Huren für Männerrunden in wechselnder Besetzung bestellt haben. Erste interne Recherchen von VW ergaben, dass sich zum Beispiel Betriebsrat Volkert an mindestens drei der fraglichen Termine tatsächlich dienstlich in Prag aufhielt - auch am 6. Mai 2004, von dem Ivana detailliert erzählte. Nach weiteren Belegen wird intensiv gesucht.
Es könnten noch mehr Details auftauchen, denn auf Diskretion legten Gebauer und Co. offenbar keinen besonderen Wert: Man nächtigte in den vornehmsten Häusern wie dem Four Seasons Hotel und dem Hotel Pa²iÅ, man tafelte in den bekanntesten Restaurants der Stadt.
Fasst man die mehrstündigen Schilderungen der Prager Informanten zusammen, so soll der 6. Mai vergangenen Jahres - jener Abend, als Arbeiterführer Volkert dem Mädchen Ivana seine Gunst erwiesen haben soll - einen typischen Verlauf genommen haben. Die Feier begann danach im La Bodeguita del Medio, einem kubanischen Restaurant in der Altstadt. Das La B del M ist ein Szenelokal nahe der Moldau und zuweilen brechend voll. In den hinteren Räumen werden zu Gitarrenspiel und Gesang karibische Spezialitäten gereicht, vorne bei lauter Musik Mojitos und Caipirinhas getrunken, im oberen Stock gibt es einen Zigarrenclub.
Die Mädchen erzählen es so:
Hier saßen fünf VW-Mitarbeiter und fünf Prostituierte zusammen. Die Männer plauderten beim Essen meist auf Deutsch miteinander. Die Mädchen, des Deutschen oder Englischen oft kaum mächtig, saßen fast drei Stunden daneben und warteten, bis sie an der Reihe waren. Es wurde viel getrunken wie immer an jenen Abenden. Ein Programmpunkt, bei dem sich den Erzählungen nach Klaus-Joachim Gebauer besonders hervortat. Dann zogen sich die Herren mit ihren jeweiligen Begleiterinnen zurück. Zum Four Seasons etwa, in dem Klaus Volkert in jener Nacht eine Suite bewohnt haben soll, sind es keine 200 Meter. Die Rezeption im Eingangsbereich liegt diskret zurückgesetzt.
Dergleichen Zeitvertreib kostet. Für die Prostituierten, die Gebauer für sich und die lieben Kollegen geordert haben soll, werden pro Stunde 150 Euro fällig. Für ganze Nächte oder Wochenenden gibt es Rabatte sowie günstigere Langzeitmieten für den gesamten Monat. Doch über Kosten und Konditionen mussten sich die Teilnehmer der Herrenabende keine Gedanken machen: Gebauer soll die Mädchen im Paket beim beteiligten Escort-Service bezahlt haben, zunächst bar, später auch mit Kreditkarte. Nun musste nur noch ein Weg gefunden werden, wie der hilfsbereite Personalmanager die Auslagen erstattet bekam.
Wie genau dieser Weg aussieht, wird noch ermittelt. Die Insider aus dem Milieu schildern es so: Die Escort-Agentur habe von Zeit zu Zeit fingierte Quittungen über die aufgelaufenen Beträge gekauft - etwa von besseren Restaurants, deren Manager dafür üblicherweise eine Bearbeitungsgebühr verlangten. Solche Belege seien recht allgemein formuliert und in der Regel in tschechischer Sprache verfasst gewesen. Etwa so: Speisen, Getränke, Dienste und Raummieten in entsprechender Höhe, Betrag dankend erhalten. Die gefälschten Belege seien sodann direkt zu Volkswagen nach Wolfsburg geschickt worden, auf dass das Geld Gebauers Abrechnungskonto gutgeschrieben würde.
Gebauers Anwalt Kubicki schreibt dazu dem stern: "Fingierte Abrechnungen in dem Sinn, dass seine Vorgesetzten beziehungsweise die die Kostenerstattung anweisenden Stellen über den Hintergrund der verauslagten Kosten getäuscht wurden, hat es nicht gegeben und konnte es wegen des internen Organisationsablaufs bei VW auch nicht geben." Klaus Volkert lässt mitteilen, er werde die Ermittlungen über die Abrechnung von Reisespesen "nach Kräften unterstützen", wolle dem aber nicht "öffentlich vorgreifen".
Der erhöhte Rechnungsaufwand war nötig geworden, weil das System der Eigenbelege, das in den vergangenen Wochen bekannt geworden war, so bereits seit Anfang 2004 nicht mehr funktionierte. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft hatte Gebauer binnen zwei Jahren 780 000 Euro ohne Quittungen abgerechnet. Die hohe Zahl der Eigenbelege war selbst den großherzigen VW-Kontrolleuren aufgestoßen, und es kursierten Gerüchte über "Weibergeschichten", wie bei VW zu hören ist.
Zudem war VW-Mitarbeiter Gebauer nach firmeninternen Angaben Ende 2003 bereits in Berlin verhaltensauffällig geworden: Betrunken und kaum bekleidet soll er in der Lobby des Dorint Schlosshotels Grunewald versucht haben, den Anwesenden VW-Luxuslimousinen vom Typ Phaeton anzudrehen. Als die Hotelmanagerin ihn hinauswerfen wollte, habe Gebauer gedroht, er werde die Hotelkette Dorint von den VW-Übernachtungslisten streichen lassen. Doch dazu kam es nicht: VW erfuhr von dem Vorfall und verwarnte Gebauer. Der Betriebsrat soll sich damals sehr dafür eingesetzt haben, dass der Mann seinen Job behielt. Die fröhlichen klassenverbindenden Feiern wurden dann ja offenbar auch bald wieder aufgenommen, wenngleich unter leicht verschärften Abrechnungsbedingungen. Eigenbelege wurden fortan nicht mehr akzeptiert.
In der etwas schwülen Atmosphäre der Prager VW-Kreise gediehen offenbar sonderbare Männerfreundschaften sehr unterschiedlicher Charaktere. Helmuth Schuster zum Beispiel beschreiben Weggefährten als einen gebildeten und meistens durchaus angenehmen Menschen. Er wurde sogar als Nachfolger von VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz gehandelt, und er soll sich auch Hoffnungen auf den Chefposten bei Škoda gemacht habe.
Schuster war ein Freund schöner Frauen. Viele Fotos zeigen ihn mit attraktiven Begleiterinnen. Auch rühmte er sich der Bekanntschaft zu der tschechischen Schauspielerin Kate?ina Brožová. Dazu kam Schusters Hang zum Protz. Gern ließ er sich mit seinem Lamborghini blicken. Mit Bekanntwerden des Skandals macht Schuster sich jedoch rar. Der schwarze Wagen stand zuletzt in der Tiefgarage des Prager Hotels Intercontinental. Schuster will, so hört man, seinen "Lambo" dringend verkaufen. Offenbar braucht er Geld. Schuster brauchte oft Geld. Der smarte Playboy führte ein teures Leben, vielleicht hat er auch deshalb seine erhebliche Intelligenz zuletzt in dubiose Projekte investiert, wie die Ermittler vermuten. Bei VW haben sie neulich versucht, Schusters Firmengeflecht auf einer Flipchart unterzubringen. Es ist ihnen nicht gelungen.
Die Verbindungen reichen von Mallorca und Luxemburg bis in die USA, nach Angola, Dubai und Indien. In der indischen Provinz Andhra Pradesh, wo Schuster als Asienbeaufragter von VW den Bau eines Werks in Aussicht stellte, sollen umgerechnet zwei Millionen Euro geflossen sein, die jetzt verschwunden sind. In Angolas Hauptstadt Luanda wechselte nach stern-Informationen der Škoda-Importeur Ancar für etwa 1,5 Millionen Euro den Besitzer, kurz bevor das Konzept floppte. Nach dem Geld wird nun gefahndet. Warnungen an Volkswagen im vergangenen Jahr, Schuster betreibe das Angola-Geschäft möglicherweise auf eigene Rechnung, konnte der clevere Manager zerstreuen.
Klaus-Joachim Gebauer hingegen gilt eher als typischer Emporkömmling, einer aus der hinteren Reihe, der selbst wenig zu bieten, durch seine besondere Rolle aber einigen Einfluss hatte. Er war wohl zugleich der willige Untergebene, als der er sich jetzt selbst darstellt, und die Spinne im Netz der gegenseitigen Begünstigungen und Abhängigkeiten.
Schuster und Gebauer kannten sich aus gemeinsamen Wolfsburger Zeiten, wo der eine der unmittelbare Vorgesetzte des anderen war. Sie machten nicht nur gemeinsame Geschäfte und mal gemeinsam einen drauf. Sie verbrachten bis- weilen auch ihre Freizeit miteinander. Im März 2004 zum Beispiel flogen sie in einem eigens gecharterten Cessna-Jet der Silesia Air nach Dubai. Mit an Bord war noch ein dritter Mann. Die drei bezogen für ein langes Wochenende das Sieben-Sterne-Luxushotel Burj al Arab und ließen sich angeblich Mädchen kommen. So feierten sie Helmuth Schusters 50. Geburtstag. Man kann sich stilvollere Arten denken, solch ein Fest zu begehen. Nach stern-Informationen wurde die Rechnung vom VW-Konzern bezahlt.
Mit den Prager Herrenabenden auf Unternehmenskosten ist es nun vorbei, und auch die Männerfreundschaften weisen deutliche Gebrauchsspuren auf. Betriebsrat Klaus Volkert zum Beispiel will "zu Gebauer nicht viel sagen, denn auf dieses Niveau möchte ich mich nicht begeben". Ihm sei "die Rolle dieses Mannes mittlerweile mehr als suspekt", Gebauer habe seine "Vertrauensstellung nicht immer so erfüllt", wie das hätte sein müssen. Und auch das Verhältnis von Schuster und Gebauer ist - so erzählt einer in Prag, der beide gut kennt - schon länger getrübt, angeblich, weil Gebauer mit seinen Eskapaden auch den ehrgeizigen Vorstand Schuster in Gefahr gebracht habe. Gebauer schließlich lässt mitteilen: "Dass nunmehr diejenigen, für die ich auftrags- und weisungsgemäß jahrelang im Rahmen meines Arbeitsverhältnisses tätig gewesen bin, ihre Probleme auf meinen Schultern abladen wollen, spricht gegen deren menschliche Qua- lität." Dass man zuletzt wiederum von Gebauers Anwalt Wolfgang Kubicki allerlei Unschönes über andere VWler hören konnte, ist bestimmt nur jener menschlichen Enttäuschung geschuldet.
Es ist wie ein schlimmer kollektiver Kater nach einer zu langen, selbstvergessenen Party: Überall im weit verzweigten VW-Konzern brechen Geschichten auf von herrischen Betriebsräten und dunklen Geschäften. Die Revisionsabteilung, untergebracht im Sektor 66 des alten Ziegelbaus im Zentrum des Werks Wolfsburg, kommt kaum mehr hinterher angesichts der vielen Anschuldigungen und Hinweise. Mittlerweile rufen sogar die Ehefrauen von Betriebsräten bei VW-Ermittlern an. Sie wollen wissen, ob der liebe Ehemann wohl an den Hurengeschichten beteiligt war. In manchen Fällen muss eine ehrliche Antwort lauten: Auszuschließen ist das nicht.
*Name von der Redaktion geändert
Arne Daniels, Johannes Röhrig
Mitarbeit: Markus Grill, Jan Boris Wintzenburg