Die Schuldenkrise wird binnen weniger Monate für den zweiten deutschen Top-Notenbanker zum Stolperstein. Jürgen Stark, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), tritt noch in diesem Jahr zurück. Grund für Starks Abgang soll ein Zerwürfnis über die vor allem in Deutschland umstrittenen Staatsanleihenkäufe der EZB sein. In diesem Jahr war bereits Bundesbankchef Axel Weber zurückgetreten.
An der Börse führte Starks Demission zu starker Unruhe. Die Aktienmärkte und der Euro bauten ihre Verluste aus, während die "sicheren Anlagehäfen" Bundesanleihen und Gold zulegten. Der Dax fiel zum Handelsschluss um 4,04 Prozent auf 5189,3 Punkte, den tiefsten Stand seit zwei Jahren. "Herr Stark hat eine sehr hohe Reputation und gilt als absoluter Experte", betonte Markus Huber, Aktienhändler bei ETX Capital. Ein Talent wie ihn zu verlieren, sei für die EZB schlecht - nicht nur im Moment, sondern auch für die bevorstehende turbulente Zeit. "Das könnte zumindest kurzfristig das Vertrauen einiger Investoren in die Fähigkeit der EZB, die Finanzkrise zu lösen und dem konjunkturellen Abschwung entgegenzuwirken, untergraben." Ähnlich urteilte Analyst Matthias Gloystein von der Bremer Landesbank: "Im Moment wird das am Markt so interpretiert, dass der Rücktritt die EZB schwächt."
Starks Nachfolger im sechsköpfigen EZB-Direktorium soll Finanz-Staatssekretär Jörg Asmussen werden, wie mit den Überlegungen vertraute Personen sagten. Auf jeden Fall soll der Posten erneut mit einem Deutschen besetzt werden, da die größte Volkswirtschaft der Euro-Zone sonst in dem Gremium nicht mehr vertreten wäre. Die EZB teilte mit, Stark werde so lange im Amt bleiben, bis der Nachfolger feststehe. Das solle bis zum Ende des Jahres klar sein.
Stark gehört seit Monaten zu den heftigsten Kritikern der Staatsanleihenkäufe, mit denen die EZB seit Mai 2010 Problemländer wie Griechenland stützt. Die Amtszeit des 63-Jährigen wäre normalerweise erst Ende Mai 2014 zu Ende.
EZB spricht von "persönlichen Gründen"
Die EZB nannte persönliche Gründe für Starks Ausscheiden. Der scheidende EZB-Präsident Jean-Claude Trichet würdigte Starks Engagement für die Währungsunion in den vergangenen Jahren. Insbesondere in seiner Zeit im Direktorium seit 2006 habe er sich "mit ganzem Herzen" für den Euro stark gemacht.
Die EZB und die Euro-Zone trifft der Rückzug des promovierten Ökonomen Stark in einer sehr labilen Phase. Ende Oktober muss Präsident Trichet nach acht Jahren an der Spitze der Zentralbank turnusmäßig gehen. Nachfolger des Franzosen wird der Italiener Mario Draghi. Der aktuelle Chef der Banca d'Italia ist vor allem in Deutschland umstritten, lange Zeit galt zudem Weber als Favorit für die Trichet-Nachfolge. Aus deutscher Sicht geht mit Stark der zweite geldpolitische "Falke" nach Weber.
Asmussen wird dagegen zu den "Tauben" gezählt, die eine weichere geldpolitische Linie verfolgen. Er steht der SPD nahe, wurde aber wegen seiner im In- und Ausland hoch geachteten Expertise vom CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble nach dem Machtwechsel in Berlin im Amt gelassen. Er hat gemeinsam mit Weber und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann - damals noch Berater der Kanzlerin - bei mehreren Bankenrettungen eine wichtige Rolle gespielt.