Florian Steiner (Name geändert) stieg Anfang Februar in Hamburg in ein Flugzeug und reiste nach Malaysia. Dort ging er als nautischer Offizier an Bord eines Schiffes. Seither sitzt Steiner dort fest, obwohl er planmäßig längst wieder in Deutschland sein sollte. Aber: Weg kann er nicht. Denn Malaysia lässt wegen der Corona-Pandemie niemanden an Land – obwohl es an Bord keinen erfassten Fall einer Coronavirus-Infektion gibt.
Für Steiner und die anderen Seeleute an Bord ist das äußerst belastend, wie er dem stern gegenüber sagt. Per Video-Anruf führt er über das Schiff, um einen Eindruck zu vermitteln. Etwa vom Aufenthaltsraum: Grelles Neon-Licht flackert von der Decke, die Einrichtung ist schlicht weiß. Die unendliche Aussicht aufs Meer draußen an Deck wirkt angesichts der eingeschränkten Situation beklemmend. So wie Steinert geht es aktuell rund 150.000 weiteren Seeleuten weltweit, teilt der Verband Deutscher Reeder (VDR) auf Anfrage mit. Aufgrund der Corona-Krise sitzen sie an ihren schwimmenden Arbeitsplätzen auf der ganzen Welt einfach fest, wie Gefangene. Geplante Crew-Wechsel können nicht stattfinden. Viele Länder haben ihre Schotten dicht gemacht und lassen niemanden an Land kommen. Also können die Matrosen auch nicht zum nächsten Flughafen gelangen, um nach Hause zu fliegen. Selbst wenn dort ein Flieger bereitsteht.
Entbehrungsreiche Zeit auf See
Wenn Offiziere, Mechaniker, Kapitäne und andere Crew-Mitglieder. an Bord gehen, bedeutet dies ohnehin oft, dass sie monatelang von der Familie, von Freunden und von ihrem Zuhause getrennt sind. Zudem arbeiten sie meist sieben Tage pro Woche durch, in Schichtsystemen – eine entbehrungsreiche Zeit, die durch die Corona-Krise nun noch in die Länge gezogen wird.
Wie belastend die Situation in der Pandemie für die Matrosen ist, weiß auch die Deutsche Seemannsmission. "Wir sind Seelsorger und nehmen in Gesprächen mit Seeleuten wahr, dass deren Probleme sie sehr belasten. So kann auch die Anbindung über Social Media nach Hause zusätzliche Belastungen bringen, weil Seeleute ins Alltagsgeschehen der Familien punktuell eingebunden werden, ohne jedoch dabei zu sein und helfen zu können", so Generalsekretär Christoph Ernst.
Rick Köster, technischer Wachoffizier bei der Reederei Maersk, sieht die Situation eher locker: "Wer mit der Situation nicht klarkommt, hat den falschen Job gewählt". Jeder wisse, dass Seeleute oftmals monatelang von Familien, Freunden und der Heimat getrennt sind. Beklagen könne er sich sowieso nicht: Das Containerschiff, auf dem er seit zwei Monaten arbeitet, sei gut ausgestattet. "Die Besatzungsmitglieder dürfen sich sogar Fernseher aussuchen, die die Reederei spendiert", sagt Köster. Die unterschiedlichen Erfahrungen von Köster und Steiner legen den Schluss nahe: Mit Blick auf das Befinden scheint vieles vom Schiff und der Reederei abzuhängen.

Reedereien bemühen sich, ihre Leute zu unterstützen
Die Reederei Hapag Lloyd hat sich ebenfalls Maßnahmen überlegt, die ihre Angestellten an Bord unterstützen sollen. "Wir stehen von Hamburg aus im engen Kontakt mit unseren Schiffen, um auch bei psychischen Problemen Unterstützung zu leisten. Auch unser Betriebsarzt spricht regelmäßig mit unseren Besatzungen, um sie zu informieren und bei Fragen Antwort zu geben", sagt Johanna Stroex, Verantwortliche für Unternehmenskommunikation bei Hapag Lloyd. Die Situation sei schwierig, vor allem sorgen sich viele um ihre Familien an Land. Die Internetkapazität sei daher erweitert worden, damit die Seeleute engen Kontakt mit ihren Familien halten können.
"Auch auf internationaler Ebene wird versucht eine Lösung zu finden”, teilt Christian Denso, Sprecher des Verband Deutscher Reeder (VDR), mit. Die International Chamber of Shipping (ICS), der weltweite Dachverband der nationalen Schifffahrtsverbände, habe sehr detaillierte Vorschläge entwickelt, die es ermöglichen sollen, Crew-Wechsel durchzuführen. Über die International Maritime Organization (IMO), eine Unterorganisation der UNO, wurden die entwickelten Lösungsvorschläge für einen Crew-Wechsel allen Staaten vorgelegt. "Eine Option könnte sein, dass es im jeweiligen Land einen ausgewählten Flughafen gibt, an dem die Seeleute ankommen beziehungsweise nach Hause fliegen könnten", erklärt Denso. Generell habe er mitbekommen, dass die Reederei viel dafür tun, ihre Arbeitnehmer zu unterstützen. "Internetverbindungen werden verbessert, Proviant wird aufgestockt – und es gibt auch öfter mal ein Barbecue", zählt er auf. Es sei wichtig, zufriedene und motivierte Seeleute an Bord zu haben, denn ansonsten sei das ganze Schiffssystem gefährdet und damit die Versorgung der Endverbraucher.
"Ich möchte nach Hause"
Der virtuelle Kontakt und die Hilfsangebote mögen über die Entbehrungen auf See und die zusätzlichen Belastungen in dieser Ausnahmesituation zwar ein Stück weit hinweghelfen. Aber auf Dauer ist das ein schwacher Trost, wie auch Florian Steiner spürt. Sein Wunsch ist klar: "Ich möchte nach Hause zu meiner Familie".