Wenn die Europäische Union in der Vergangenheit Mängelberichte an Beitrittskandidaten schickte, fehlte in der Post nach Prag ein Tadel nie: uneffektive Bürokratie. In Tschechien würden Projekte von einem Paragrafendschungel, langen Instanzenwegen und Kompetenzgerangel behindert, kritisierte Brüssel alljährlich. Rund 100 Tage nach dem EU-Beitritt sehen Unternehmer in Tschechien einen Silberstreif am Horizont: Immer öfter ist in der Verwaltung von zügiger Abfertigung und steigender Rechtssicherheit zu hören.
Keine Kafka-Atmosphäre mehr
"Ob Prager Handelsregister oder Provinz-Rathaus - noch vor einigen Jahren erinnerten hier alle Behörden an die düstersten Visionen von Franz Kafka", erinnert sich ein Mitarbeiter der Prager Lufthansa-Vertretung. "Vieles hat sich gebessert, aber Hauptproblem ist immer noch die Verständigung. Zu wenige Sachbearbeiter beherrschen eine Fremdsprache", kritisiert er. Ein mittelständischer Unternehmer aus Basel nennt häufigen Personalwechsel den "größten Hemmschuh". "Ich vermisse feste Ansprechpartner. Kaum hat man sich aneinander gewöhnt, sitzt jemand Anderes dort, dem man komplizierte Sachverhalte neu erklären muss", stöhnt der Schweizer Investor. "Der Verdienst stimmt einfach nicht", sagt Klara Cerna dazu. Die 23-Jährige wechselte vor einigen Wochen vom Sozialamt der südböhmischen Stadt Ceske Budejovice (Budweis) zur Niederlassung einer österreichischen Firma: "Da verdiene ich das Doppelte." Bei der Verwaltung erhielt die Tschechin, die fließend Deutsch spricht, umgerechnet 610 Euro monatlich.
Beamte verdienen zu wenig
"Ein derart niedriges Gehalt jagt nicht nur die besten Sachbearbeiter in die Privatwirtschaft, sondern schafft auch Voraussetzungen für Bestechung", sagt eine Mitarbeiterin der Anti-Korruptions-Organisation "Transparency International". Der Beitritt des Landes zur EU habe jedoch viel gebessert, meint sie: "Die Finanzbehörden setzten auch auf Druck aus Brüssel nun verdeckte Ermittler ein und haben eine spezielle Rufnummer für anonyme Hinweise geschaltet. Wir sind hier mittlerweile auf einem guten Weg."
Anfang Juli entschied die Regierung in Prag, staatliche Behörden von unabhängigen Wirtschaftsprüfern durchleuchten zu lassen. Damit sollen jene rund 30.000 Stellen ausfindig gemacht werden, die auf Beschluss des Kabinetts gestrichen werden sollen, um die Verwaltung effektiver zu gestalten und jährlich umgerechnet eine Milliarde Euro an Lohnkosten zu sparen. Derzeit sind rund 450.000 Menschen bei staatlichen Behörden beschäftigt. Die Ergebnisse der Audit-Firmen sollen spätestens im Mai 2005 vorliegen.
Viele 'Alt-EU-ler' werden unverschämt
Zwar schimpfen Unternehmer aus dem Ausland drei Monate nach dem EU-Beitritt noch auf zahlreiche Unzulänglichkeiten, Verbesserungen nach dem 1. Mai räumen aber viele ein. "Die neuen Formulare waren vorrätig, getrennte Diensträume für EU- und Nicht-EU-Bürger waren pünktlich eingerichtet - ich hätte nicht gedacht, dass eine postkommunistische Behörde letztendlich doch so schnell eine solch historische Umstellung bewältigen kann", erkennt ein Anlageberater aus Österreich an.
"Wir freuen uns über Lob", sagt Petra Svobodnikova von der Prager Fremdenpolizei, "leider können wir solche Komplimente nicht immer zurückgeben." Seit dem 1. Mai nähmen Fälle zu, in denen Antragsteller vor allem aus alten EU-Ländern "unverschämt" seien, meint die 42-Jährige: "Die erwarten Wunder und sagen im Ernst Dinge wie "Ihr könnt euch freuen, dass wir euch in die EU gelassen haben"", schüttelt die Tschechin den Kopf. "Stimmt, ich bin froh. Aber die scheinen umgekehrt zu vergessen, dass Sie bei uns zu Gast sind."