Selfridges hat Stil, keine Frage. In dem Londoner Konsumtempel, der so gar nichts von der Tristesse einer bundesdeutschen Karstadt-Filiale hat, werden Luxuswünsche geweckt - und erfüllt. Allen voran bei Vertu, das inmitten von hochkarätigen Schmuckanbietern und einer durchgestylten Kosmetikabteilung liegt. In dem kleinen, ganz in schlichtem Schwarz gehaltenen Shop wacht Yusuf Ali, 27, über die teuersten Mobiltelefone der Welt. Mit gleichmütiger Freundlichkeit beantwortet er die immer wiederkehrende Frage: "Warum nur ist das Ding so teuer?" Er klärt dann geduldig über das Gehäuse aus 18-karätigem Gelbgold oder Platin auf, präsentiert die kristallklaren Klingeltöne und preist die Vorzüge des so genannten Concierge-Services. Vertu-Besitzern stehen an 365 Tagen im Jahr in 170 Ländern Mitarbeiter zur Verfügung, die beispielsweise einen Tisch im neuesten New Yorker In-Bistro reservieren oder Opernkarten in Sydney besorgen. Manche Vertu-Kunden benötigen für ihre Kaufentscheidung nicht mehr als zehn Minuten, andere lassen sich in dieser Zeit gleich zwei oder drei der Nobel-Handys einpacken - für die ganze Familie. Das schmucke Mitbringsel im Gegenwert eines kleinen BMW ist ein Lustkauf, den sich freilich nur Investmentbanker, Filmstars oder Ölscheichs leisten können. In Zeiten von Sozialabbau und Existenzangst erscheint uns ein derartiges Luxusprodukt geradezu obszön. Schließlich reicht die Preisliste bis knapp unter 30000 Euro. Ein Besuch der Manufaktur von Vertu jedoch rückt die technische Pretiose in ein anderes Licht. Man kann ein Vertu nicht einfach nur als Gebrauchsgegenstand betrachten. Vielmehr ist es ein Stück Handwerkskunst, kombiniert aus Feinmechanik und Elektronik, das nebenbei auch zum Telefonieren taugt.
Church Crookham ist ein idyllisch gelegener Ort mit engen Gassen und Landgasthöfen mit handgemalten Holzschildern. Die Industriehalle, eine knappe Autostunde vom Flughafen Heathrow entfernt, verrät äußerlich nichts über seinen wertvollen Inhalt. Im schlichten Stahlgebäude steht ein begehbarer Safe von 80 Tonnen Gewicht, in dem Platin, Gelb- und Weißgold im Wert von mehreren Millionen Euro lagern - der Rohstoff, aus dem diese Telefone gebaut werden.
Im Web
Offizielle Vertu-Homepage - zum Gucken und Träumen
Die Geburt eines Vertu ist ein langsamer, leiser Prozess. Lediglich das elektronische Herz wird von einer Maschine in wenigen Minuten automatisch zusammengelasert und gelötet. Danach wird in Handarbeit die Hülle zusammengesetzt. "Die Arbeitsweise ist wie beim traditionellen Uhrenbau", sagt Produktionschef Paul Williams. Zum Schichtende an einem Freitagnachmittag liegen elf Telefone auf einem Rollwagen, der mit "finished goods" beschriftet ist. Zum Vergleich: Eine Produktionslinie bei Nokia, der Mutterfirma von Vertu, spuckt am Tag bis zu 15 000 Handys aus. Wenn ein Nokia die Swatch unter den Mobiltelefonen ist, bringt ein Vertu das Prestige einer Rolex mit.
Jeder der 20 Montagespezialisten erfüllt eine Aufgabe, die besondere Fingerfertigkeit erfordert. Ein Polierspezialist trägt beispielsweise Politur im Farbton "Rouge de Paris" auf. Behutsam bewegt er den rotierenden Polierkopf über die sanften Rundungen des goldfarbenen Signature-Modells. "Das ist der schwierigste Job", sagt Produktionschef Williams. Die Gehäuseteile werden manuell nachgeschliffen und passgenau gemacht. Im Grunde ist jedes Vertu-Handy also ein Unikat, das aus 400 Bauteilen größtenteils von Hand zusammengesetzt wird.
Das satte Gewicht in der Hand, das Wissen um Qualität und mechanische Präzision sowie der haptische Hochgenuss, ein mit Leder bezogenes Modell wie das "Ascent" zu bedienen, all das bleibt nur wenigen Gutbetuchten wie der Schauspielerin Gwyneth Paltrow oder dem Sänger Ronan Keating vorbehalten. Technisch profitieren aber auch erschwinglichere Handys von den Avantgarde-Telefonen. Echtes Leder - ein neuartiger, empfindlicher Werkstoff für Telefone - spendierte Nokia auch einer limitierten Edition eines Klapphandys. Und das gab es immerhin schon für einen Tausender. Und selbst ein Vertu könnte künftig für deutlich weniger Geld zu haben sein: "Auch unterhalb unserer Preisliste von 4100 bis 29.000 Euro ist noch Platz", sagt Firmenchef Nigel Litchfield. Zwei neue Vertu-Modelle sind in Arbeit. Zumindest zu seinen technischen Wurzeln aus dem Uhrenbau könnte das Vertu-Telefon in fünf bis zehn Jahren zurückkehren, sagt Litchfield: "Dann wird es möglich sein, ein Telefon in eine Armbanduhr oder ein Schmuckstück zu integrieren." Bisherige Prototypen dieser Art beschieden die Designer jedoch noch als zu klobig und hässlich.
Unvergänglich wie ein Diamant
ist ein Vertu-Handy zwar nicht, aber 20 Jahre soll es halten, verspricht der Hersteller. Die neueste Technik wird regelmäßig nachgerüstet. Damit ist das Vertu ein merkwürdiger Zwitter des Digitalzeitalters: im Design auf Zeitlosigkeit angelegt, technisch auf regelmäßige Wiedergeburt. Ob es irgendwann in den Vitrinen der Antikjuweliere landet oder in Vergessenheit gerät, ist ungewiss. Der Gipfelplatz auf dem Müllhaufen gescheiterter Ideen gebührte der Plauderbox jedenfalls allein schon wegen des Edelmetallwerts.