Wer in den vergangenen Jahren wissen wollte, wann es endlich Sommer wird, musste nur die Augen schließen und auf ein untrügliches Geräusch warten: das Schmatzen, das entsteht, wenn sich schwitzende Fußsohlen von Gummischlappen ablösen. Der Schuh zum Geräusch nennt sich Flip-Flop, verbreitete sich binnen kürzester Zeit an Baggerseen, in Fußgängerzonen und überschritt bald auch die letzte Hemmschwelle: die Bürotür. Gerade als in diesem Frühling Hoffnung aufkeimte, das Geräusch leiser wurde und Frauen in Ballerinas und Tip-Toes ihre Anmut wiederfanden, kam neues Unheil: Crocs. Bunte Schaumstoff-Clogs mit umklappbaren Fersenriemen, orthopädischem Fußbett und Luft- beziehungsweise Abflusslöchern im Zehenbereich, kurz: eine gut belüftete Plastikfestung für ungepflegte Sommerfüße.
Anhängerschar wächst beängstigend schnell
Die Schuhhändler haben ihre Regale eilfertig für den erhofften Verkaufsschlager freigeräumt, in den Auslagen leuchten Crocs in 17 Farben für schichtenübergreifende 39,90 Euro und mit einem Krokodil auf dem Riemen, das dem Träger vermitteln soll: Mit mir kannst du dich auf dem Land wie im Wasser perfekt bewegen. Möglich macht das ein patentiertes, ultraleichtes Material aus Granulat (ein Croc wiegt 160 Gramm), das sich via Körperwärme dem Fuß anpasst. Es ist belastbar, rutsch- sowie wasserfest und antimikrobiell, also geruchsresistent. Wer morgens in den Croc schlurft, muss ihn somit den ganzen Tag nicht mehr ausziehen. Duschen, shoppen, Eis und Ketchup darauf tropfen, Bäume fällen, Thailand durchqueren - der Croc bewährt sich überall. "Wer ihn einmal angezogen hat, zieht ihn nie wieder aus", schwören Croc-Fans auf der Homepage, in Croc-Blogs und -Foren. Die Anhängerschar wächst in beängstigendem Ausmaß. In ganz Amerika, Australien und Europa stellen vor Begeisterung entrückte Käufer Fotos von Crocstragenden Kindern, Hunden oder der eigenen Hochzeit in weißen Crocs ("Man ist als Braut ja den ganzen Tag auf den Beinen") ins Netz. Diabetes-, Arthritis- und Rückengeplagte berichten von heilenden Croc-Kräften. Den Hersteller freut's, er kommt mit der Produktion kaum hinterher.
Wie konnte das passieren? Auf einem Segeltörn kommt drei Freunden aus Boulder, Colorado, die Idee zum perfekten Segelschuh. Sie geben einen Prototyp in Auftrag, stellen ihn 2002 auf einer Bootsmesse vor - und dann geht alles sehr, sehr schnell. Die Messebesucher reißen ihnen den kompletten Bestand aus den Händen. Neben Seglern decken sich nach und nach auch Ärzte, Kellner, Köche und Gärtner mit Crocs ein, schließlich entdeckt Hollywood den Schuh für sich. Jack Nicholson, Teri Hatcher und Al Pacino zeigen, dass ihr Bedürfnis nach Bequemlichkeit größer ist als ihre Selbstachtung.
Schlimmste Entgleisung seit Buffalos-Schuhen
Crocs mögen ästhetisch gesehen die schlimmste Entgleisung seit Ugg-Boots und Buffalos-Turnschuhen sein, wirtschaftlich gesehen sind sie die größte Erfolgsgeschichte, die der amerikanische Schuhmarkt seit Jahren erlebt hat - und die schnellstwachsende Schuhmarke der Welt. 2003 setzte die Firma Crocs Inc. eine Million US-Dollar um, 2006 waren es 355 Millionen. 60 Länder sind bereits Croc-infiziert, in Wien und New York eröffneten Flagship-Stores, zehn weitere sollen folgen. Die Hausfrau Sheri Schmelzer bastelte sogar Accessoires für ihre Crocs: Blumen, Tiere und Indianerköpfe, die man in die Luftlöcher stopfen kann. Sie nannte den Schuhschmuck "Jibbitz", verkaufte ihn online - und ein Jahr später den ganzen Laden an Croc selbst. Für zehn Millionen Dollar.