Dass man als Bürger von diesem Wahlkampf erschöpfter ist als die Spitzenkandidaten und -kandidatinnen, das muss man auch erstmal schaffen. Es ist ja wirklich nicht mehr zum Aushalten, diese beispiellose Ansammlung unprofessioneller Entgleisungen und aufgeblähter Nichtigkeiten.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Gerade eben noch musste der arme Armin Laschet sich von Karl Lauterbach und Teilen der professionell fassungslosen Opposition maßregeln lassen, weil er sich bei einer Wahlkampfveranstaltung von einem Querdenker auf Kuscheldistanz anbrüllen ließ, anstatt den Mann professionell von der Security wegtackeln zu lassen. Sieh da! Corona kann er nicht!
Dann wiederum erzürnt Olaf Scholz den politischen Gegner, weil der es wiederum gewagt hat, öffentlich zu sagen: "50 Millionen sind jetzt zwei Mal geimpft. Wir waren ja alle die Versuchskaninchen für diejenigen, die bisher abgewartet haben." Das ist, wenn man bedenkt, dass viele zunächst einmal geschaut haben, ob der Schlüter von nebenan nach dem AstraZeneca-Shot nicht doch als Oktopode in Crocs durch den Garten läuft, zunächst einmal richtig.
Manch einer war schockiert, dass Scholz überhaupt noch Anstalten machte, irgendetwas zu sagen, was nicht vorher zehnmal im Windkanal getestet wurde. Begreift doch vor allem der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten den Wahlkampf als eine Art politisches Pfahlsitzen, bei dem der gewinnt, der nur lange genug ruhig in seiner Pose verharrt.
Armin Laschet hat ein Team - aber keine Zukunft
Dass es ausgerechnet die von Merkel sein muss mit der die Sozis Richtung absolute Mehrheit rasen, das macht speziell alle in der Union so wahnsinnig, dass man in der Schublade nochmal die roten Socken von 1994 rausgekramt hat. Was insofern konsequent ist, weil die Restprogrammatik seitens der Union kaum frischer wirkt.
Um diesen Eindruck zu zerstreuen, präsentierte der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet (er ist es ja wirklich) unlängst ein sogenanntes "Zukunftsteam", so etwas wie die christdemokratischen Avengers, oder wie es beim ESC heißt: Wenn der Sänger nix taugt, stell noch ein paar Tänzer drumherum. Nun hat Laschet also ein Team - aber keine Zukunft.
Seinem dunklen Zwilling in Sachen Perspektivlosigkeit wiederum, Friedrich Merz wurde dann schnell das Missvergnügen zuteil, dieses nun doch recht unbekannte Nebelkerzen-Ballett namentlich nicht nur kennen, sondern auch nennen zu müssen.
Friedrich Merz wird behandelt wie ein Erstklässler
In einem seltsamen Moment in der Sendung "Bericht aus Berlin" versuchte der Moderator mehrfach, dem sauerländischen Voldemort eine korrekte Aufzählung der Namen abzutrotzen, was der natürlich brüsk verweigerte mit der Bemerkung, dass dies doch albern sei.
Womit er übrigens komplett recht hatte, allerdings auch die Möglichkeit ausließ, den Moderator kurz darum zu bitten, ihm doch nochmal eben zu sagen, wie genau man "Karin Prien" jetzt korrekt ausspreche. Da ruckelte es beim Fragensteller selbst ganz ordentlich. Aber für augenzwinkernde oder gar sympathische Antworten ist Baron Blackock in etwa so bekannt wie den exzessiven Gebrauch des Binnen-I.
Und natürlich schert er sich null darum, wer da so links und rechts von ihm seine Zeit verexistiert. Man darf ja schon froh sein, dass er sich den Namen des Spitzenkandidaten gemerkt hat, und was interessiert es Friedrich Merz, wer unter ihm Kanzler ist. Aber wie ein Erstklässler an Weihnachten die Namen wie ein Gedicht aufsagen? Wohl dem, der sich einen Rest Würde bewahrt hat, sich dem zu verweigern.
Es geht nur noch um Lächerlichmachung
Die Frage nach dem Zukunftsteam mag ihre Berechtigung in ihrem Entlarvungspotenzial haben, vor allem aber ist sie Ausweis einer Kultur, in der es nahezu ausnahmslos nur noch darum zu gehen scheint, den nächsten Moment der Lächerlichmachung, der Herabwürdigung zu generieren.
Die Vermemung des politischen Wettbewerbs. Dort hat der CDU-Kandidat es gewagt, ein Eis zu essen, hier hat die Grünen-Kandidatin gedacht, "ich glaub, ich steh ihm Wald - nur in welchem?" Wo früher noch saloppes Auftreten, ein flotter Spruch ein kleines Witzchen drin war, wird in der Absauungsfabrik Internet schon der nächste Hashtag (warum heißt es nicht längst Fadenkreuz?) gegossen, begleitet vom konfektionierten Entsetzen der Schlägertruppen des jeweiligen politischen Gegners und lustvoll durchgenudelt von einer erregungsgefräßigen Öffentlichkeit.
"Unfassbar!", "zum Schämen!" Und natürlich "unwählbar", klar. Dass niemand der SpitzenkandidatInnen inmitten dieser Verschlagwortungsexzesse Lust hat, noch mehr als Stanzen abzusondern ist weniger den politischen Akteuren anzulasten als dem Auditorium selbst.
Pannenvermeidung bei Annalena Baerbock
Klar, Spitzen oder Breitseiten gegen die AfD, darauf können sich gerade noch alle einigen, okay. Aber darüber hinaus wird es arg dünn. Nicht, dass so manche Regung, ein Lachen im Flutgebiet oder ein Frankenstein von einem Buch, komplett bedeutungslos wären. Das sicher nicht. Aber da, wo jeder Ausfall gleichermaßen skandalisiert wird, ist am Ende nichts mehr von Belang. Und gleichsam nichts mehr möglich.
Wir wollen menschliche Politiker, nur, wenn es allzu menschlich wird, wird es gnadenlos bestraft. Erstaunlich, dass unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch jemand in die Politik gehen will. Ein neuer Wehner, Schmidt oder gar eine Regine Hildebrandt jedenfalls gedeihen so gewiss nicht.

Auch wenig verwunderlich, dass eine Annalena Baerbock in dieser Phase größtmöglicher Pannenvermeidung wenig Interesse hatte, der "Bild am Sonntag" ein Interview zu geben. Zu groß war die Gefahr, dass ein unbedachter Nebensatz in einer Schlagzeile à la "Baerbock fordert Veggie-Pflicht für alle!" oder "Öko-Imelda will Ihren Golf stilllegen!" mündet.
Noch drei Wochen und zwei Trielle
Die Rechnung ist einfach: Wählerpotenzial < Fehlerpotenzial. Die "Rüffelschweine" (wunderbarer Neologismus von Tommi Schmitt) graben mit der Schnauze schon erwartungsfroh durch das digitale Unterholz. Und ab und zu winken Nena oder Til Schweiger als Salatbeilage.
Und nun hocken alle auf ihren mehr oder weniger komfortablen Prozenten, bespielen mit den bekannten programmatischen Versatzstücken die eigene Kernklientel und hoffen darauf, sich in diesem Kandidaten-Mikado nicht mehr allzu viel bewegen zu müssen.
Was bei 25 Prozent gewiss einfacher ist als bei 16. Lediglich der Bundestag heute ließ erahnen, was möglich gewesen wäre. Ein Hoffnungsschimmer. Doch, ach, mit dem ist es nun auch vorbei. Stattdessen: Noch drei Wochen und zwei Trielle.
Gott, steh uns bei.