Sigmar Gabriel "Wir müssen uns Dinge trauen, die wir uns vor ein paar Jahren nicht getraut hätten"

Kein Spargel im Winter? Autofreier Sonntag? Auf Mallorca verzichten? Bringt fürs Klima wenig, sagt Sigmar Gabriel. Der Umweltminister will lieber die Industrie zum CO2-Sparen zwingen

Herr Gabriel, sind Sie Revolutionär?

Ich bin Sozialdemokrat und weiß, dass Menschen die Welt verändern und verbessern können. Aber von Umstürzen halte ich nichts, auch nicht in der Umweltpolitik.

Ihre SPD hat aber gerade postuliert: "Wenn wir den Klimawandel wirklich begrenzen wollen, brauchen wir nichts Geringeres als eine Revolution." Was nun?

Gemeint ist damit die dritte industrielle Revolution. Wir müssen uns Dinge trauen, die wir uns vor ein paar Jahren nicht getraut hätten, das ist richtig. Aber wir müssen die Menschen dabei mitnehmen.

Warum trauen Sie sich nicht, wie die Kanzlerin bei der Gesundheitsreform, den Leuten zu sagen: Klimaschutz wird teurer als bisher?

Weil es darum gar nicht geht. Wenn die Autos weniger Sprit brauchen, sparen wir Geld an der Tankstelle. Wenn wir die Häuser besser dämmen, sparen wir Heizkosten. Bei den erneuerbaren Energien kostet uns das pro Person im Monat 50 Cent auf den Strompreis...

Nach Adam Riese ist das schon teurer.

Ja, aber wir haben dadurch auch für 214 000 Menschen Arbeit geschaffen. Die laufen nicht mehr zum Arbeitsamt. Das spart also erst mal viel Geld. Und für die Zukunft unserer Kinder sind 50 Cent im Monat ein verdammt geringer Preis.

Sollten wir dann lieber über Verzicht reden?

Natürlich kann man mal das Auto stehen lassen und mit dem Rad fahren, das ist auch gesünder. Aber darum geht es nicht in erster Linie.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Worum dann?

Um die Umstellung der Energiebasis unserer Industriegesellschaften. Das ist viel schwieriger, als über Tempo 130 zu reden. Wir tun immer noch so, als hätten wir zwei Planeten. Wenn die Chinesen alle Auto fahren wollen, nützen Verkehrsschilder herzlich wenig, dann brauchen wir emissionsarme Kraftstoffe und viel sparsamere Motoren, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden.

Wovor fürchten Sie sich eigentlich?

Ich habe keine Angst, mich stört nur dieser Hang zur Privatisierung der Klimapolitik und die Verniedlichung der Aufgaben im Klimaschutz auf autofreie Wochenenden oder Tempobegrenzungen. Da wollen sich einige nur um die viel härtere Aufgabe drücken, sich mit mächtigen Wirtschaftslobbys anzulegen.

Trotzdem würden wir gerne von Ihnen wissen, was Sie uns alles zumuten wollen: Soll die Kfz-Steuer künftig nach dem Schadstoffausstoß berechnet werden?

Ja. Wer weniger CO2 emittiert, soll weniger Steuern zahlen. So bringt man die Leute vielleicht auch dazu, verbrauchsärmere Autos zu kaufen. Wenn die Länder mitmachen, könnten wir bald damit beginnen.

Sind Sie dann auch für eine Pflicht der Hersteller, den Schadstoffausstoß anzugeben?

Unbedingt. Das muss am Wagen im Autohaus zu finden sein, und zwar so, dass man erkennen kann, wie gut oder schlecht der Wagen im Vergleich zu anderen liegt.

Ist Autofahren noch zu billig?

Für viele Menschen, die zur Arbeit fahren oder ihre Kinder zur Schule bringen müssen, ist es bereits zu teuer. Aber der Sprit für Dienstwagen sollte von den Unternehmen nicht länger in beliebiger Höhe steuerlich abgesetzt werden können. Da könnte man eine Grenze ziehen: Beim Pflegedienst-Auto, das fünf Liter verbraucht, lassen wir das zu, aber nicht bei Wagen, die neun, zehn Liter oder mehr schlucken. Da schmeißen wir Milliarden zum Fenster raus. Das muss nicht sein.

Gibt es ein Recht auf Mobilität?

Ja. Es steht in der Verfassung und nennt sich "Freizügigkeit". Die kann und will ich nicht beschneiden. Wir haben den Menschen doch jahrelang erzählt, dass sie mobil sein sollen. Die fahren doch nicht zum Spaß 100 Kilometer und mehr zu Arbeit.

Und deshalb will der Umweltminister auch nicht ran an die Fernpendlerpauschale?

Exakt. Die hat ihre Berechtigung. Deutschland besteht nicht nur aus Großstädten mit der S-Bahn vor der Haustür.

Gibt es denn ein Menschenrecht auf Malle und die Malediven?

Och, Reisen bildet - alle Menschen. Ich will jedenfalls nicht, dass Reisen wieder ein Privileg sehr reicher Menschen wird. Aber wer es sich leisten kann, sollte eine Ausgleichszahlung für die dadurch entstehenden CO2-Emissionen leisten. Kosten für Berlin-Mallorca: zehn Euro. Damit werden klimafreundliche Energieprojekte in Entwicklungsländern finanziert.

Moderner Ablasshandel: Das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.

Falsch. Erstens gibt's hier die Dividende bereits im Diesseits und nicht erst im Jenseits. Und zweitens ist das wirklich eine typisch deutsche Debatte, die die Interessen der Entwicklungsländer nicht mal zur Kenntnis nimmt. Die brauchen nämlich Investitionen aus den reichen Industrienationen in klimafreundliche Energietechniken. Deshalb steht das, was Sie Ablasshandel nennen, ausdrücklich im Weltklimaabkommen, dem Kyoto-Protokoll. Ohne solche Modelle werden die Entwicklungsländer beim Klimaschutz nicht mitmachen. Und ihre veralteten Energietechniken weiter nutzen.

Die Ausgleichszahlungen sind freiwillig. Warum verlangen Sie nicht einfach Geld von den Verursachern, den Fluggesellschaften?

Tun wir ja. Die EU wird den Emissionshandel bis 2011 auf den Flugverkehr ausweiten. Vor allem, um endlich die Flüge international besser zu koordinieren. Noch werden Tausende Kilometer pro Tag unnötig im Zickzackkurs geflogen, weil die Flugsicherheit nicht aufeinander abgestimmt ist. Zudem wird das einen Technologieschub auslösen, um sparsamere Antriebe und neue Treibstoffe zu entwickeln.

Flugbenzin besteuern?

Das wäre überfällig, hat aber keine Chance, solange wir in der EU dafür keine Mehrheiten bekommen. Aber klar ist: Die Umweltzerstörung durch die Fliegerei muss etwas kosten. Die Atmosphäre ist kein freies Gut, genauso wenig wie Wasser. Und wenn der Flug nach Mallorca nicht mehr 29 Euro kostet, sondern 10 Euro mehr, geht das Abendland auch nicht unter.

Sollten wir uns Spargel und Erdbeeren im Winter verkneifen?

Das ist nun wirklich nicht das zentrale Problem der Klimaschutzpolitik. Von all diesen Vorschlägen halte ich nichts.

Glühbirnen austauschen?

Sofort. Durch Energiesparlampen können wir 6,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr vermeiden. Das ist schon einiges.

Heizanlagen modernisieren?

Ja, da gibt es einen riesigen Rückstand. Da muss der Staat auch Anreize setzen, wie wir es mit dem Gebäudesanierungsprogramm tun. Damit schaffen wir Jobs fürs Handwerk, die Verbraucher sparen, und das Klima hat auch was davon. Es gibt Wärmepumpen, deren Einbau sich bereits nach sechs bis acht Monaten rechnet.

Tempolimit auf Autobahnen?

Nichts gegen Tempolimits, aber Achtung: Es ist nicht die Lösung für die ganze Welt. Wir müssen die Prioritäten richtig setzen. Ich kenne viele in der Autobranche, die sich diebisch freuen würden, falls wir uns jetzt ins Thema Tempolimit verbeißen, statt die Autoindustrie zu zwingen, spritsparende und CO2-arme Modelle zu entwickeln. Darin will ich meine Kraft eigentlich investieren.

Wir sind uns aber schon einig, dass Politik gelegentlich auch Symbole braucht?

Da sind mir aber andere Symbole wichtiger. Der Ausbau der erneuerbaren Energien oder die Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent. Im Übrigen: In der deutschen Autoindustrie machen Lohnkosten 15 Prozent aus, Sozialkosten 4 Prozent, Material- und Energiekosten aber über 50 Prozent. Trotzdem schmeißen die meistens Leute raus, um angeblich wettbewerbsfähiger zu werden. Das ist abenteuerlich. Ich will Megawattstunden arbeitslos machen statt Menschen. Darüber sollten wir reden, nicht über Verzicht und Askese.

Halten Sie es für realistisch, dass 2012 alle Neuwagen durchschnittlich nur noch 120 Gramm CO2 je Kilometer in die Luft pusten?

Ja, das werden wir in der EU gesetzlich vorschreiben. Alle müssen mit dem CO2-Ausstoß runter: die Oberklassewagen, die Mittelklasse, aber auch die kleinen Wagen müssen etwas runter. 130 Gramm sollen durch die Motortechnik erreicht werden, weitere zehn Gramm durch den Einsatz synthetischer Kraftstoffe. Die müssen wir dringend entwickeln, weil die Biokraftstoffe der ersten Generation längst mit Nahrungsmitteln konkurrieren und die Regenwälder für Palmöl abgeholzt werden.

Bislang hatte die Politik auf Selbstverpflichtungen der Industrie gesetzt. Ist jetzt Schluss mit freiwillig?

Das gute alte preußische Ordnungsrecht wird noch fröhliche Urstände feiern, weil es anders gar nicht geht. Neben der Autoindustrie haben ja auch andere ihre Zusagen nicht eingehalten. Es ist ein Riesenproblem, dass die Energieunternehmen die Selbstverpflichtung für eine effizientere Stromerzeugung durch Kraft-Wärme-Kopplung nicht erfüllt haben. Auch da müssen wir gesetzgeberisch ran.

Vom in Kyoto vereinbarten Ziel, bis 2012 in der EU acht Prozent weniger Treibhausgase zu produzieren, sind wir weit entfernt - bislang sind es 1,2 Prozent. Nun sollen es bis 2020 sogar 20 Prozent weniger werden. Hilft angekündigter Klimaschutz schon gegen die Katastrophe?

Dieser Beschluss des EU-Gipfels ist extrem wichtig, damit alle sehen: Wir machen ernst, der Klimaschutz geht weiter. Und die Unternehmer haben Investitionssicherheit.

Halten Sie das Ziel für realistisch?

Wenn man alles zusammennimmt, Steigerung der Energieeffizienz plus erneuerbare Energien, dann kann allein Deutschland bis 2020 seine Emissionen um 36 Prozent senken. Und das ist eine konservative Schätzung. Da sind CO2-freie Kohlekraftwerke noch nicht eingerechnet.

Na ja, die gibt's ja auch noch nicht.

Der Energiekonzern RWE sagt, dass er das erste Kraftwerk Mitte des nächsten Jahrzehnts fertig hat.

Sigmar Gabriel

Potenter Populist Der Umweltminister ist ein SPD- Hoffnungsträger, aber ungeliebt

Es gibt wenige Politiker mit so viel Potenzial wie Sigmar Gabriel, 47. Er kennt die SPD, ist fix im Kopf, kann gut reden und das über fast alles, besitzt eine gesunde Portion Populismus - der ideale Parteichef. Das Umweltressort begreift der frühere Lehrer als Zwischenstation. Er versucht sich darin eher als Industriepolitiker zu profilieren. Gabriel hat zwei Nachteile: Er verlor 2003 seine einzige Wahl als Spitzenkandidat krachend - und so das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten, das er 1999 übernommen hatte. Zudem misstrauen ihm die Genossen. Er ist ihnen zu sprunghaft. Mangels Alternative gilt er trotzdem als erster Anwärter, wenn ein neuer Chef für die Bundestagsfraktion gebraucht wird. Gabriel ist geschieden und hat eine Tochter.

Wer Treibhausgase erzeugt, braucht dafür Lizenzen. Wer mehr auspusten will, muss mehr kaufen. Prima Idee, bloß klappt dieser Emissionshandel nicht.

Die Stromwirtschaft hat mit ihrer Lobbyarbeit erreicht, dass praktisch kein CO2 eingespart wurde. In der ersten Handelsperiode unter Rot-Grün waren es ganze zwei Millionen Tonnen pro Jahr. Darüber kann ich nicht froh sein. Aber ab 2008 werden wir jedes Jahr 57 Millionen Tonnen einsparen.

An der europäischen Strombörse wird das Recht auf Ausstoß einer Tonne CO2 für etwa einen Euro gehandelt. Das ist ein Witz.

Das gehört zu den Fehlern der ersten Periode des Emissionshandels. Künftig wird der Preis bei etwa 20 Euro liegen. Dann wird der Emissionshandel auch funktionieren. Die Unternehmen werden überlegen: Kann ich es mir leisten, nichts zu tun und mir stattdessen teure CO2-Rechte an der Börse zu kaufen? Oder ist es besser, ich investiere in Umwelttechnik? Ich tippe auf Letzteres.

Fühlen Sie sich von Angela Merkel ausreichend unterstützt? Sie will sich ja als "grüne Kanzlerin" profilieren.

Bei aller Wertschätzung: Sie ist und bleibt eine schwarze Kanzlerin. Aber sie ist vom Thema Umwelt innerlich überzeugt, das spiegelt sich in ihrer Politik wider. Es wäre aber schön, wenn sich die Kollegen in der Union stärker hinter sie stellen würden. Da wird häufig in die entgegengesetzte Richtung gerudert.

Wenn die Industrie umdenken soll, könnte ja auch die SPD ein bisschen umdenken, etwa in Sachen Atomausstieg

Es gibt keinen ernst zu nehmenden Klimaforscher, der sagt, die Kernenergie hilft uns etwas beim Klimaschutz.

Es geht nicht um den Neubau von Reaktoren, nur um längere Laufzeiten.

Auch da hilft sie uns nix, weil Atomkraftwerke Strom produzieren und keine Wärme. Darum braucht man zusätzlich viele Wärmekraftwerke, die alle CO2 emittieren. Also, ich halte davon nichts. Die Kraft-Wärme-Kopplung mit 90 Prozent Wirkungsgrad ist die Alternative.

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Interview: Andreas Hoidn-Borchers, Jan Rosenkranz