Hadamar bei Limburg ist eine beschauliche hessische Kleinstadt mit bedeutendem Renaissance-Schloss. Ihr Name steht aber auch für staatlich organisierten Massenmord: Von 1941 bis 1945 ließ das NS-Regime hier 15.000 Patienten von Nervenkliniken als "lebensunwertes Leben" umbringen. Doch wer sie im Einzelnen waren, war bislang kaum bekannt - obwohl Historiker das nationalsozialistische Euthanasieprogramm genau erforscht haben. Am Donnerstag hat die Gedenkstätte Hadamar erstmals eine Namensliste der Getöteten vorgelegt. "Wir wollen, dass die Opfer ihre Namen zurückerhalten. Und damit ihre Menschenwürde", sagt Leiter Georg Lilienthal.
"Die Leute wussten grob, was gespielt wurde"
Hadamar war eine von sechs Todesanstalten. Die Nazis zogen hier seit Januar 1941 Patienten aus dem Westen und Südwesten zusammen - bevorzugt Menschen, um die sich keine Angehörigen mehr kümmerten, schon seit langem im Heim lebten oder als nicht arbeitsfähig eingestuft wurden. Sie kamen zunächst für einige Wochen in Heil- und Pflegeheime im Umkreis, dann holte ein grauer Bus sie ab. Gleich nach der Ankunft ging es in den Keller zum "Duschen" - mit Kohlenmonoxid. Anschließend qualmte das Krematorium. Das fiel auch den Anwohnern auf: "Die Leute wussten grob, was gespielt wurde", urteilt Lilienthal.
In den acht Monaten bis August 1941 wurden allein in Hadamar über 10.000 Menschen ermordet, insgesamt um die 70.000. Dann ließ Hitler die Aktion stoppen, weil sie zu viel Aufsehen erregte und er nach dem Angriff auf die Sowjetunion keine Unruhe im Innern wollte. Die Gasanlagen wurden abgebaut. Doch Hadamar blieb ein Ort des Todes. Bis 1945 wurden weitere 5.000 Menschen umgebracht - Schwerstbehinderte ebenso wie traumatisierte Soldaten, Epileptiker und "halbjüdische" Fürsorgezöglinge. Man schwächte sie durch Nahrungsentzug, so dass sie an banalen Infektionen starben. Man enthielt ihnen lebenswichtige Medikamente vor, man verabreichte ihnen Überdosen.
Die Namensliste erfasst rund 9.500 Opfer des Gasmordprogramms. Diese nachträglich zu ermitteln, erforderte zweieinhalb Jahre Arbeit. Zwar hatten die Nazis ihre Aktion mit bürokratischem Aufwand organisiert, doch Dokumente wie Sterberegister und Transportlisten wurden im Krieg vernichtet oder verstreut. 30.000 Patientenakten etwa tauchten erst nach 1989 in einem Stasi-Archiv auf. Zudem sagen die Unterlagen meist nicht die Wahrheit. Die den Angehörigen zugestellten Sterbeurkunden sollten vor allem eins: Spuren verwischen. "Gefälscht war die Todesursache, gefälscht war der Ort, gefälscht war das Sterbedatum", erläutert Lilienthal. Nicht einmal die Asche in der Urne gehörte tatsächlich zu dem jeweiligen Opfer.
Zunehmend Anfragen nach einzelnen Schicksalen
"Die Euthanasieopfer der Gasmordphase haben kein Grab", sagt Lilienthal. "Für viele Angehörige und Nachkommen gibt es keinen Ort, wo sie individuell trauern und gedenken können." Dies soll sich mit der Namensliste ändern. Der Leiter der Gedenkstätte beobachtet, dass die Anfragen nach einzelnen Schicksalen mit dem wachsenden zeitlichen Abstand nicht ab-, sondern zunehmen. Lilienthal hofft auf eine Verlängerung des auf drei Jahre angelegten Projekts. Ein bis zwei Jahre werde es dauern, die Liste und die ihr zu Grunde liegende Datenbank zu komplettieren, schätzt er. Bislang hat die Arbeit 100.000 Euro gekostet.