Wir haben fast nichts zugelassen!" Das ist ein Lieblingssatz vieler Bundesliga-Trainer, fast schon ein geflügeltes Fußball-Wort. Die Übungsleiter loben damit allwöchentlich die Disziplin ihrer Abwehrreihen - meist nach einem Spiel, in dem sich das eigene Team in einem zähen Ringen ein Unentschieden gegen einen überlegenen Gegner ermauert hat.
Nichts zulassen. Das scheint auch die Maxime der angeblich besten Fußball-Mannschaften der Welt zu sein. Überall auf dem Globus haben sich die Fans auf vier Wochen voller spannender Wettkämpfe, begeisternder Dribblings, großartiger Spielzüge; auf Spannung, Dramatik und große Emotionen gefreut. Doch selbst jetzt, nachdem alle Mannschaften, die am Turnier in Südafrika teilnehmen, mindestens einmal gespielt haben, ist davon praktisch nichts zu sehen. Ein paar Dribblings des Argentiniers Lionel Messi, erfreulicherweise ein schönes Spiel der deutschen Mannschaft und der Sensationssieg der Schweizer gegen den Topfavoriten Spanien - viel mehr war nicht. Stattdessen: "eingefrorene" Brasilianer, ideenlose Engländer, hilflose Franzosen - und über allem das nervige Dauertröten der Vuvuzelas.
Taktik tötet die Begeisterung
Nichts zulassen - das mag aus taktischer Sicht vernünftig sein. Begeisternd ist das nicht. "Spiele gewinnt man im Sturm, Turniere in der Abwehr", lautet eine Trainer-Weisheit - und dementsprechend spielen die meisten Mannschaften dann auch. Natürlich will niemand verlieren, und vor allem die weniger starken Teams möchten vermeiden, sich von den besten Mannschaften abschießen zu lassen. Die Top-Teams wiederum wollen verhindern, sich durch eine winzige Unachtsamkeit den möglichen Titelgewinn zu verbauen. Das alles ist verständlich. Doch die Entwicklung, die sich im für seine Athletik so hochgelobten "modernen Fußball" abzeichnet - und die WM in Südafrika zeigt das bisher überdeutlich - ist kritisch. Und sie verkehrt allmählich den Sinn des Spiels.
"Fußball ist eine Ballsportart", so lautet nämlich eine gängige Definition des wohl beliebtesten Sportwettkampfes der Welt, "bei dem zwei Mannschaften mit dem Ziel gegeneinander antreten, mehr Tore als der Gegner zu erzielen und so das Spiel zu gewinnen." Nicht gemeint ist also, in erster Linie ein Tor weniger einzustecken als der Gegner und auf diese Weise das Spiel für sich zu entscheiden. Vielleicht erinnern sich die Teams der WM ja wieder daran, wenn es um die ersten Entscheidungen dieses Turniers geht. Denn auch von ihrer schier unerschöpflichen Hoffnung lebt ja die Begeisterung der Fans.
Ein Appell: Zulassen!
Nichts zulassen - das kann auf Dauer auch keine Idee für das Millionengeschäft sein, das der Fußball heute ist. Wer seinen Sport als "Super-Produkt" verkauft, wie es der frühere Leverkusener Manager Rainer Calmund gerne sagte, als die ganz große Show der Emotionen, der kann sich nicht immer wieder darauf zurückziehen, dass letztlich der Erfolg allein heilig ist. Das funktioniert ohnehin nur schon so lange, weil die Fans mit dem Herzen dabei sind und sich immer wieder mit einem Teilerfolg oder einem Sieg der eigenen Mannschaft trösten. Bestünde das Publikum in den Stadien aus reinen Kunden, dann hätte die Fußballindustrie ein Problem. Sichtbar ist das an den sogenannten "Modefans", die ganz schnell einem Verein den Rücken kehren, sobald der Erfolg ausbleibt.
"Zulassen!", lautet also der Appell an Spieler, Trainer und Verantwortliche. Dann ist auch diese WM noch zu retten. Und wenn gar nichts mehr hilft, könnte die Fifa ja einmal darüber nachdenken, die Punkteregel ganz abzuschaffen und nur noch nach dem Torverhältnis zu werten. Dann fiele jeder Treffer ins Gewicht. Ein Traum.
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