Der Aufstieg von Omega-3-Fettsäuren zum Star unter den Nährstoffen begann vor gut 50 Jahren. Damals untersuchte ein Forscherteam die Ernährungsgewohnheiten der Inuit-Bevölkerung in Grönland und machte eine erstaunliche Entdeckung: Obwohl die Inuit sich fast ausschließlich von rohem, fettem Fisch, Robben- und Walfleisch ernährten, litten sie extrem selten an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Dies war Wissenschaftlern noch bis vor einigen Jahren ein Rätsel, da man annahm, dass nur eine fettarme Ernährung, die vor allem wenig gesättigte tierische Fette enthält, Gefäße und Herz schützt.
Die Ursache des Phänomens liegt im Fisch selbst - und zwar in den enthaltenen Omega-3-Fettsäuren. Davon enthält das Fettgewebe von Kaltwasser-Meeresfischen nämlich besonders viel. Verantwortlich dafür ist die Nahrung dieser Tiere: Verschiedene Algen- und Planktonarten haben sich im Laufe der Evolution den kalten Temperaturen im Polarmeer angepasst, indem sie besonders viele der langkettigen Omega-3-Fettsäuren in ihre Zellwände einbauten. Das hält sie auch bei Minusgraden noch flexibel und geschmeidig.
Eine ähnliche Wirkung haben die Fette auch im menschlichen Körper. Sie halten das Blut flüssig und wirken zudem entzündungshemmend. Zahlreiche Forschungsergebnisse belegen inzwischen den gesundheitlichen Nutzen von Omega-3-Fettsäuren:
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In einer großen italienischen Studie gab man Patienten, die einen Herzinfarkt hinter sich hatten, zwei Jahre lang täglich ein Gramm Omega-3-Fettsäuren. Ihr Risiko, einen zweiten Infarkt zu bekommen, sank gegenüber der Kontrollgruppe um 30 Prozent. Die Gefahr, an einem Herzinfarkt zu sterben, ging sogar um mehr als 40 Prozent zurück. Eine kürzlich nachgeschobene weitere Auswertung der Ergebnisse kam auch der wahrscheinlichen Ursache des Effekts auf die Spur: Die Omega-3-Fettsäuren stabilisieren die Wände der Herzmuskelzellen, das Organ schlägt zuverlässiger und ist damit weniger anfällig für Rhythmusstörungen. In einer weiteren Studie in Frankreich wurden ähnlich positive Ergebnisse beobachtet.
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Omega-3-Fettsäuren können einen gesteigerten Triglycerid-Wert senken. Die auch Neutralfette genannten Trigylceride sind wichtige Energieträger für den Körper, können sich aber in den Adern ablagern. Ist ihr Anteil im Blut zu hoch, ist das deshalb ein Risikofaktor für Herz- und Gefäßerkrankungen. In diesem Fall können Omega-3-FettsäureKapseln vom Arzt verschrieben werden. Besonders wirksam sind sie in Kombination mit Statinen, den Klassikern unter den fettspiegelsenkenden Medikamenten.
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Der Krankheitsverlauf vieler chronisch-entzündlicher Erkankungen wie Rheuma, Allergien oder Autoimmunerkrankungen wird durch Omega-3-Fettsäuren positiv beeinflusst.
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Da Omega-3-Fettsäuren in hoher Konzentration auch in Nervenzellwände eingelagert werden, spielen sie eine große Rolle bei der Gehirnentwicklung und Sehkraft von Säuglingen. So sollten gerade Schwangere auf eine ausreichende Zufuhr der Fette achten.
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Diskutiert wird unter Wissenschaftlern auch, ob Omega-3-Fettsäuren den Verlauf verschiedener neurologischer und psychischer Erkrankungen günstig beeinflussen. Es gibt erste Ansätze bei der Behandlung von Depressionen, der Alzheimer-Erkrankung und hyperaktiven Kindern.
DIE VERSORGUNGSLÜCKE
In Regionen mit geringem Fischkonsum enthält die Nahrung zu wenig Omega-3-Fettsäuren. Das gilt auch für Mitteleuropa. Statt 0,2 Gramm bis 0,65 Gramm, wie es die International Society for Study of Fatty Acids and Lipids im britischen Devon empfiehlt, nimmt der Durchschnittsbürger hier täglich weniger als ein Zehntelgramm von dem guten Öl auf. Daher ist es auch für Gesunde empfehlenswert, ihre Ernährung umzustellen. Mögliche Risiken bestehen vor allem für Schwangere, die einen besonders hohen Bedarf haben, und für Vegetarier, die keinen Fisch essen.
WOHER DER NAME KOMMT
Fettsäuren bestehen aus einer langen Kette von Kohlenstoffatomen. Das letzte Glied davon wird Omega genannt, wie der letzte Buchstabe im griechischen Alphabet. Von diesem Omega-Kohlenstoffatom aus wird von hinten gezählt, wann die erste Doppelbindung in der Kette auftaucht. Bei Omega-3-Fettsäuren hängt sie an der drittletzten Stelle.
MUSS ES DENN FISCH SEIN?
Die wichtigste Quelle für Omega-3-Fettsäuren sind fette Kaltwasser-Seefische wie Hering, Makrele, Lachs, Tunfisch und Sardinen. Aber neben den zwei Fisch-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) gibt es auch noch eine pflanzliche Variante, die Alpha-Linolensäure. Gute Quellen dafür sind Rapsöl, Sojaöl, Walnüsse und Leinsamen. Spuren sind auch in verschiedenen grünen Blattgemüsen wie Spinat enthalten. Alpha-Linolensäure ist eine Vorstufe der beiden anderen Omega-3-Fettsäuren. Unser Organismus muss sie erst in eine von ihnen umwandeln, damit sie wirken kann. Die Umwandlungsrate ist begrenzt: Nur zirka zehn Prozent der Alpha-Linolensäure werden im Körper zu EPA oder DHA. Deswegen kann der Bedarf an den wirksamen langkettigen Omega-3-Fettsäuren nicht allein durch pflanzliche Nahrungsquellen gedeckt werden.
Es gibt verschiedene Ansätze, vegetarische Omega-3-Lieferanten aufzuwerten. So wird versucht, ein Rapsöl zu züchten, das neben der Alpha-Linolensäure auch EPA oder DHA enthält. Außerdem wird an der Gewinnung von Ölen aus Algen experimentiert, die eine der beide Fisch-Fettsäuren enthalten. Ein Mikroalgenöl mit hohem DHA-Gehalt ist in Deutschland bereits zugelassen.
KONKURRENZ MIT OMEGA-6
Neben Omega-3-Fettsäuren sind auch Omega-6-Fettsäuren für den Körper lebensnotwendig. Beide Arten sind Ausgangssubstanz für wichtige hormonähnliche Reglerstoffe, die so genannten Eicosanoide. Diese haben Einfluss auf die Blutgerinnung, auf die Funktion der Blutgefäßwand und auf Entzündungsprozesse. Omega-3-Fettsäuren wirken entzündungshemmend und machen das Blut flüssiger, indem sie die Blutgerinnung hemmen. Eicosanoide aus Omega-6-Fettsäuren wirken unter anderem entzündungsfördernd.
Omega-6-Fettsäuren sind vor allem in Pflanzenfetten wie Distel-, Maiskeim- oder Sonnenblumenöl enthalten. Eine Variante von Omega-6, die Arachidonsäure, kommt auch in tierischen Nahrungsmitteln wie Fleisch, Butter, Milch und Käse vor.
Obwohl sich die Fettsäuregruppen Omega-3 und Omega-6 chemisch nur gering unterscheiden, verhalten sie sich in ihrer Wirkung wie Konkurrenten: Beide benötigen für ihre Umwandlung die gleichen Enzyme. Überwiegt eine Fettsäuregruppe, verdrängt sie die andere und schwächt so deren Wirkung. Die meisten Menschen hierzulande nehmen zu viele Omega-6-Fettsäuren zu sich. Statt des empfohlenen Verhältnisses von einem Teil Omega-3 zu fünf Teilen Omega-6 liegt der Durchschnittsmix tatsächlich bei einem Verhältnis von mindestens eins zu zehn. Deshalb ist es sinnvoll, regelmäßig Raps- und Olivenöl beim Kochen und Braten zu verwenden: Diese besitzen eine günstige Kombination aus gesunden Fettsäuren. Olivenöl hat wenige Omega-6-Fettsäuren, Rapsöl besonders viel wertvolle Alpha-Linolensäure. Ersetzen sie tierische Fette aus Butter oder Speck, verbessert dies auch das Gleichgewicht der Fettsäuren im Blut.
VORTEIL FÜR WILD UND BIO
Eine weitere Möglichkeit, das Gleichgewicht zugunsten von Omega-3-Fettsäuren zu verschieben, liegt im Bio-Fleisch: Tiere aus Weidenfütterung haben wie auch Wild mehr Grünpflanzen als Futter genossen, ihr Fleisch enthält daher mehr Alpha-Linolensäure. Eine Alternative zum Fisch sind sie aber nicht.
FUNKTIONELLE LEBENSMITTEL
In den vergangenen Jahren sind viele funktionelle Lebensmittel in den Handel gekommen, die mit Omega-3-Fettsäuren angereichert sind. Ursel Wahrburg, Professorin für Ernährungswissenschaft an der Fachhochschule Münster hält sie nur für sinnvoll, "wenn es ein gesundes, vernünftiges Lebensmittel ist wie Brot, das man sowieso isst. Die Mengen reichen zwar nicht unbedingt aus, um Fisch zu ersetzen, können aber die Omega-3-Aufnahme immerhin etwas verbessern."
VORSORGEN MIT FISCHÖLKAPSELN
In Apotheken, im Internet und in Reformhäusern wird eine Vielzahl frei verkäuflicher Omega-3- oder Fischölpräparate angeboten. Allerdings gibt es bis jetzt keine offiziellen Empfehlungen für eine allgemeine Vorsorge. Ursel Wahrburg rät zur Vorsicht: "Obwohl die meisten zu wenig Omega-3-Fettsäuren über die Nahrung zu sich nehmen, ist es noch zu früh, um Fischölkapseln allgemein zur Prävention zu empfehlen. Dazu fehlen zuverlässige Studiendaten."
RISIKEN BEI ÜBERDOSIERUNG
Wirksame Fischölkapseln müssen ausreichend dosiert und qualitativ hochwertig sein. Dann aber können sie wie ein Medikament auch Nebenwirkungen haben: Das Blut wird flüssiger, sodass Menschen vorsichtig sein müssen, die eine erhöhte Blutungsneigung haben, zum Beispiel weil sie Blut verdünnende Arzneien nehmen müssen. Auch den Adern kann ein zu hoher Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren im Blut schaden: Diese sind so stoffwechselaktiv, dass sie schädliches LDL-Cholesterin oxidieren. Das umgewandelte Cholesterin-Eiweiß lagert sich dann verstärkt in den Gefäßen ab und erhöht das Risiko für eine Arteriosklerose. Schließlich können extrem hohe Omega-3-Blutwerte auch wichtige Abwehrreaktionen des Körpers blockieren. Bei sehr hoher Omega-3-Fettsäure-Zufuhr von sechs bis zehn Gramm täglich wie bei den Inuit, beobachtete man eine Abschwächung der Immunabwehr. Bei ihnen traten gehäuft bakterielle und virale Infektionen auf. Um der Gefahr einer Überdosierung vorzubeugen, sollte man keine Fischölkapseln nehmen, ohne darüber vorher mit einem Arzt gesprochen zu haben. Auf keinen Fall sollte man per Selbstmedikation mehr als ein Gramm reine Omega-3-Fettsäure zu sich nehmen.
WELCHE KAPSELN GUT SIND
Die Qualität der frei verkäuflichen Präparate schwankt sehr. Viele Fischölkapseln enthalten nur zu etwa 30 Prozent die Omega-3-Fettsäure EPA, der Rest ist unnötiger Fettballast. Deshalb ist es wichtig, auf die Zutatenliste zu schauen: Mindestens 200 Milligramm reine Omega-3-Fettsäuren pro Kapsel sind sinnvoll. Wird auf Pillen zurückgegriffen, empfiehlt es sich, hochgereinigte Präparate zu wählen. Bei ihnen ist der EPA-Anteil durch ein besonderes chemisches Verfahren auf mehr als 90 Prozent angehoben. Solche Kapseln sind deshalb frei von Schadstoffen wie zum Beispiel Schwermetallen aus den Meeresfischen. Präparate mit Omega-3-Fettsäuren sollten nach Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung Vitamin E enthalten, um die oxidationsempfindlichen Säuren zu schützen. Andere Zusätze wie Selen oder Vitamin A und D seien hingegen unsinnig oder sogar schädlich. Pflanzliche Produkte, zum Beispiel Perillaölkapseln, sind eine ökologisch sinnvolle Alternative zu den Fischölen. Auch wenn die Alpha-Linolensäure darin nur zu zehn Prozent in die aktiven Omega-3-Fettsäuren umgewandelt werden kann, ist die Zufuhr für Gesunde ausreichend. Empfohlen wird eine Menge von täglich 1,5 bis 3 Gramm reiner Alpha-Linolensäure.