Bei dieser Corvette müssen sich Wasserskiläufer gut festhalten. 512 brüllende V8-Pferdestärken jagen das rote Geschoss von Malibu Boats durchs maritime Nass. Auch alles andere an diesem Boot erinnert an den legendären Sportwagen: Die Passagiere sitzen auf originalen Corvette-Sesseln, vier runde Lüftungsgitter am Heckspiegel imitieren die Corvette-Rückleuchten, und sogar die typischen Flaggen-Embleme des amerikanischen Kult-Flitzers finden sich am Rumpf. Denn das 6,3 Meter lange rote Projektil entstand mit dem Segen von General Motors. Und so lauert unter der mit Leder bespannten Motorklappe im Heck auch das sieben Liter große und 512 PS starke V8-Monster aus der Corvette Z06. Auf der Straße beschleunigt das Aggregat den Wagen in 3,9 Sekunden auf 100 km/h. Erst bei 320 km/h kommt die Tachonadel zum Stehen.
Das Corvette-Boot hat es nicht ganz so eilig, auch wenn die geschätzte Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h im Sportboot-Bereich mehr als ordentlich ist. Viel entscheidender ist jedoch die Beschleunigung. Denn Sportboote sind "Gleiter", so das maritime Fachchinesisch: Bei Gleitern muss sich der Rumpf vorn aus dem Wasser heben und auf die eigene Bugwelle schieben, damit es flott vorangeht. Je mehr Power, desto besser die Beschleunigung. Das ist auf Asphalt nicht anders als auf Wasser. "Wenn Sie aus dem Hafen heraus fahren und beschleunigen, ist das so genannte Angleiten sehr energieaufwändig, man benötigt viel Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen", erklärt Stephan Platzek von Volkswagen Marine. Genau diese Leistungsentfaltung bieten Dieselmotoren. Deshalb setzt die kleine Marine-Sparte des Volkswagen Konzerns auch auf dem Wasser auf Selbstzünder.
Leiser und sparsamer
Das bislang stärkste Aggregat ist der V6 TDI mit 265 PS. Der Motor ist ein alter Bekannter im VW-Konzern, er kommt zum Beispiel im Audi A6, im Touareg und sogar im Phaeton zum Einsatz. Auch der 4,2 Liter große V8-Diesel, der unter anderem den Audi A8 und Q7 antreibt, soll "marinisiert" werden. Die Konzentration auf immer stärkere Motoren kommt nicht von ungefähr: Bootsmotoren ab 150 PS aufwärts machen fast 40 Prozent des Marktes aus. Neben üppiger Leistung bieten die großen Diesel zwei weitere Vorteile. Sie sind wesentlich leiser und erheblich sparsamer als vergleichbare Benzinmotoren.
Der Motorboot-Klassiker Frauscher St. Tropez etwa genehmige sich bei schneller Gleitfahrt mit 60 km/h und einem V6-TDI als Antrieb etwa 25 Liter Diesel pro Stunde, so Stephan Platzek von Volkswagen Marine. Ein gleich starker Benzinmotor schluckt das Doppelte. Effiziente und laufruhige Motoren werden immer wichtiger, denn seit einigen Jahren gelten in der EU auch für Boote verschärfte Abgas- und Lärmschutzbestimmungen. "Die Zeiten, in denen Boote praktisch ungehemmt Krach und Dreck produzieren durften, sind vorbei", sagt Stephan Platzek.
Kleine, aber interessante Nische
Bei Volkswagen findet das "Marinisieren" der Aggregate in einer unscheinbaren Halle im riesigen Motorenwerk Salzgitter statt. Eine kleine Schar Mitarbeiter montiert dort pro Woche rund 50 Bootsmotoren, während im Werk drum herum täglich bis zu 8000 Automotoren vom Band laufen. Die Produktion maritimer Antriebe ist für den Riesenkonzern eine kleine, aber interessante Nische, vor allem wenn man sich die Aussichten auf dem europäischen Markt betrachtet. In Deutschland schippern gerade einmal 420.000 Boote durch Flüsse, Seen und Meere. Auf den Straßen rollen dagegen mehr als 55 Millionen Autos. So kommt statistisch gesehen nur ein Boot auf 231 Einwohner. Ganz anders sieht es im dünn besiedelten Schweden aus: Dort gibt es 1,2 Millionen Boote, was das beeindruckende Verhältnis Boot zu Einwohner von 1 zu 7 ergibt. So ist denn auch der weltweite Marktführer von Bootsmotoren ein Ableger des Volvo-Konzerns. Millionen Boote auf der ganzen Welt werden von Volvo Penta-Aggregaten angetrieben.
Auch in anderen Ländern mit großen Küstenstreifen wie Norwegen, Dänemark oder Frankreich sind zahlreiche Boote in Gebrauch. Sogar in den Auto-verliebten USA beträgt das Verhältnis Boot zu Einwohner noch 1 zu 16, rund 17 Millionen Boote sind dort in Benutzung. Nur ein Bruchteil davon allerdings werden von einem Corvette-Aggregat befeuert: Das schnittige Corvette-Boot von Malibu Boats soll nur 270 Mal gebaut werden.