Der G-Punkt ist kein Geheimnis mehr. Steht eingeblendet im Head-up-Display (HUD) des neuen Corvette Cabrio, haargenau bis auf zwei Stellen hinterm Komma. Wohliges Kribbeln erfreut den Fahrer, wenn der eingespiegelte Wert in der Windschutzscheibe noch unter eins bleibt. Dann hat die Querbeschleunigung in heißen Kurven, angezeigt mit dem physikalischen Kürzel g, noch Spaßcharakter.
Drüber ist Schluss mit lustig. Ab 1,2 g drückt die Fliehkraft einen 75-Kilo-Mann mit 90 Kilo in die Polster. Kurz danach springt der elektronische Schleuderschutz an. Den hat der US-Bolide auch nötig. Sechs Liter Hubraum, acht Zylinder und 404 PS hauen mächtig rein: Tempo 100 liegt in weniger als fünf Sekunden an, rauf geht es bis 300 Sachen. Preis: 70 150 Euro.
Bedeutsamer als diese adrenalintreibende Leistungsbilanz ist der eingebaute Pöbelschutz. Von uncharmanten Handzeichen oder gar Schimpfwörtern bei Spurwechsel-Rangeleien oder Parklücken-Endspurts bleibt der Corvette-Fahrer weitgehend verschont. Steht er doch im Verdacht, Verkehrsmanager der anderen Art zu sein, ein Abo in der Muckibude zu haben und Meinungsverschiedenheiten über Feinheiten der Straßenverkehrsordnung mit einem Schwinger auf den K.o.-Punkt zu schlichten.
Alles Legende. Doch eindeutige soziale Signale verströmt die Corvette auch heute noch. Wer den Ami-Flitzer steuert, hält Alessi für einen Bundesligakicker und Imbissbuden-Ketten für Feinschmeckertempel - verbreiten die Neider aus der Ferrari-Liga. Die mussten für ihr angesagtes Boller-Cabrio aus europäischer Produktion das Doppelte hinblättern. Dafür gibt es dann standesgemäße Anerkennung im Golfklub und vornehm heiseren Motorsound, der an den Warnruf eines kastrierten Erdmännchens erinnert. Die Corvette dagegen wummert so vulgär und unverschämt, dass die Vibrationen fast beichtpflichtig werden.
Feinsinniges fehlt völlig. Der Hintermann sieht ein megasteiles Heck von der Wucht der Chinesischen Mauer. Für die Eleganz der beiden angeklatschten Doppelauspuffrohre hätten sich selbst Trabi-Tuner zu DDR-Zeiten geschämt. Und die böse Plastikanmutung im Cockpit trauten sich koreanische Billiganbieter schon vor zehn Jahren nicht mehr ihren Kunden unterzujubeln.
Technische Daten
Motor: V8, sechs Liter Hubraum, 297 kW/404 PS
Fahrleistungen: Beschleunigung 0-100 km/h in 4,3 Sek., Höchsttempo 300 km/h
Norm-/Test-Verbrauch: 13,0/14,1 Liter Superbenzin
Abmessungen und Gewichte: Länge/Breite/Höhe (m): 4,44/1,85/1,25; Leergewicht 1492 kg, Zuladung 253 kg; Ladevolumen min/max.: 144/295 Liter
Preis: ab 70 150 Euro
Auch die technischen Innereien entlocken kein Zungenschnalzen. Motor- und Hinterachskonstruktion scheinen dem Deutschen Museum, hintere Abteilung, entlehnt. Kernig auch das Sechsganggetriebe. Sperrig wie ein Panzerschloss, während das Kuppeln an das Andocken einer Güterzuglok erinnert.
Dennoch, das Corvette Cabrio ist ein reinrassiger Sportwagen. Von wegen schwammige Kiste, größte Heckschleuder westlich des Mississippi. In der rollenden Champions League mischt er vorne mit und braucht keinen Vergleich zu scheuen. Nicht nur beim brachialen Vortrieb oder im rasanten Kurvengeschlängel, auch bei der notwendigen Verzögerung. Derart standfeste Bremsen sind schlichtweg mustergültig und auch bei teureren Straßenrennern längst nicht Standard.
Eins hat die Corvette zudem allen Konkurrenten voraus: Sie ist pädagogisch wertvoll. Denksport ist angesagt. Wie viel Öldruck liegt an, gemessen in bar, wenn der Zeiger bei 300 kPa steht? Da fällt die Antwort vielleicht noch leicht: drei bar. Schwieriger wird's bei den Türen. Warum haben die innen keinen Entriegelungsgriff, sondern einen Druckschalter? Und warum entriegelt der nur, wenn der Rückwärtsgang eingelegt ist?