DAB-plus-Technologie Letzte Chance fürs Digitalradio

Von Lutz Knappmann
Mit einer Finanzspritze soll das digitale Radio DAB gerettet werden
Mit einer Finanzspritze soll das digitale Radio DAB gerettet werden
© Colourbox
Seit Jahren herrscht beim Digitalradio in Deutschland Stillstand: Nun stehen 42 Millionen Euro an Gebührengeldern bereit. Es ist die letzte Hoffnung für die DAB-plus-Technologie. Die Zeit läuft davon.

Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre war so viel Optimismus nicht mehr zu erwarten. "Wir sehen eine realistische Chance", sagt ein Sprecher des Radiobetreibers Regiocast (Delta Radio, Oldie 95, Sunshine Live) über einen Start des immer wieder verzögerten Digitalradiostandards DAB plus. Und die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) betont: "Es sieht ganz gut aus. In den Verhandlungen ist man relativ weit."

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... der Online-Ausgabe der "Financial Times Deutschland"

Die deutsche Radiobranche erlebt derzeit die Wiedergeburt einer totgesagten Technologie. Es ist die allerletzte Chance, den DAB-plus-Standard zu etablieren, mit dem digitaler Hörfunk per Antenne zu empfangen ist - und in dem viele Beteiligte nach wie vor die Zukunft des Hörfunks sehen. "Wenn DAB plus jetzt wieder nicht zum Fliegen kommt, dann ist ein eigenständiger terrestrischer Verbreitungsweg für das Digitalradio in Deutschland wohl endgültig gescheitert", warnt Ulrich Reimers, Mitglied der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (KEF).

Seit 1995 die ersten DAB-Sender an den Start gingen, dümpelt die Technik vor sich hin. Wirtschaftliche Bedeutung haben die Angebote nie erlangt, der Absatz entsprechender Empfänger lahmt. Den Durchbruch bringen soll der Nachfolgestandard DAB plus: Noch bessere Tonqualität, für die nur ein Bruchteil der Sendeleistung eines vergleichbaren analogen UKW-Senders nötig ist. Mehr Übertragungskapazitäten für Zusatzangebote, etwa Telematikdienste für Autofahrer.

Analoge Reichweiten sind für Nischensender zu klein

Vor allem hoffen private Radioanbieter, mit DAB plus nationale Radioprogramme aufbauen zu können. So wollen sie nicht mehr nur Mainstreamsender, sondern auch Spartenprogramme, etwa für bestimmte Musikstile, profitabel betreiben können. In der regional zersplitterten analogen Radiolandschaft sind die Reichweiten zu klein, um auch Nischensender für Werbekunden attraktiv zu machen. Im ersten Halbjahr 2010 kam der Hörfunk im 13 Mrd. Euro schweren deutschen Bruttowerbemarkt gerade einmal auf einen Anteil von weniger als sechs Prozent.

DAB plus

Vorteile
Das Digitalradio liefert eine bessere Tonqualität als der Analogfunk UKW sowie zusätzliche Kapazitäten für neue Dienste.

Finanzierung


Die Öffentlich-Rechtlichen haben für DAB plus 42 Mio. Euro zur Verfügung. Die Privaten müssen ihre Kosten aus den Werbeerlösen tragen. Unklar ist, wie sich der Infrastrukturbetreiber Media Broadcast beteiligt.

Start


Für den Fall einer Einigung könnten erste Angebote 2011 starten. Der ursprüngliche Plan, den Analogfunk UKW 2015 abzuschalten, ist nicht zu halten.

Alternativen


Zahllose Radiosender streamen ihre Programme längst im Internet. Branchenangaben zufolge haben sie dort bereits 13 Millionen Hörer, von denen zwei Millionen spezielle Internetradiogeräte nutzen.

Bislang ist aus all dem nichts geworden. "Die zentrale Frage ist, wer sich am finanziellen Risiko beteiligt", sagt ein Verhandlungsteilnehmer. Öffentlich-Rechtliche, Privatsender und der Rundfunkinfrastrukturbetreiber Media Broadcast streiten seit Jahren ums Geld.

Doch die Fronten sind in Bewegung geraten. Ende Juni hat die KEF den ARD-Radiosendern und dem Deutschlandradio insgesamt 42 Mio. Euro für DAB plus bewilligt - die sie ihnen mangels Einigung mit den Privaten bislang verweigert hatte. Man redet wieder miteinander. Zwar bleibt der Privatsenderverband VPRT bei seiner Ablehnung: "Wir haben letzten Sommer klar gesagt, dass wir das wirtschaftlich nicht sehen", heißt es dort. "Aus unserer Sicht hat sich wenig geändert."

Einige Mitgliedssender verhandeln dennoch über den Neustart von DAB plus. "Jede Wachstumsmöglichkeit ist interessant", heißt es bei Regiocast. "Deshalb haben wir immer gesagt, dass wir mitmachen wollen." Media Broadcast wollte sich dazu nicht äußern. Eine Frist der Landesmedienanstalten ist am 22. Juli ohne Einigung verstrichen. Eine neue Deadline gibt es nicht. Die ALM hält eine zeitnahe vertragliche Vereinbarung aber für realistisch, heißt es.

Konkurrenzsystem Interent

Die Zeit drängt dennoch: Bei der nächsten Sitzung der KEF Mitte September steht DAB plus wieder auf der Tagesordnung. "Unsere Erwartung ist, dass bis dahin nicht nur die Verträge vorliegen, sondern klar ist, dass DAB plus tatsächlich als gemeinsames Projekt von privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern starten kann", so Kommissionsmitglied Reimers. Anderenfalls könnte die KEF den Öffentlich-Rechtlichen den Finanzbedarf für DAB plus auch wieder aberkennen.

Das wäre wohl der Todesstoß. "Die Marktnische wird mit der Zeit und in Angesicht der immer vielfältiger werdenden Verbreitungswege für Radioprogramme immer kleiner", sagt Reimers. Viele Radiosender übertragen längst im Internet - mit wachsenden Nutzerzahlen. "Dort gibt es Hörer und Endgeräte", sagt ein Senderchef: "Da tut sich wenigstens was."

FTD

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