DIGITALES GEDÄCHTNIS Sag mir, wie das war

Nach den Anschlägen auf das World Trade Center verblassen auch die schrecklichsten Bilder irgendwann. Nur das Internet vergisst nie - und wird zum Archiv des 11. September.

»Ich wollte schon immer auf den Türmen stehen und die Aussicht genießen. Und auf einmal erfährt man, dass es diesen Traum nicht mehr gibt«, hat »NeilaDJ« in das Gedenkforum der Site www.elfterseptember2001.de getippt. Und dass sie geweint hat, als Terroristen mit dem World Trade Center auch ihren »Kindertraum an einem Tag zerstört« haben. Dieser Schock sitzt bei »NeilaDJ« immer noch sehr tief und nicht nur bei ihr, sondern auch bei Tausenden anderen, die sich im Internet noch heute in Kondolenzbücher eintragen und Gedenkseiten besuchen - und damit wie nebenbei im Netz ein umfassendes Archiv des 11. September 2001 schaffen, eine Art multimediales Gedächtnis der Tragödie.

Das Netz war näher an den Menschen als das Fernsehen

Dass gerade das Internet zum Ort der Besinnung wird, ist nur passend. Wissenschaftler der Universität Los Angeles haben herausgefunden, dass nach dem 11. 9. mehr als 100 Millionen Amerikaner Freunde per E-Mail getröstet oder sich über deren Befinden informiert haben; Hunderttausende erhielten E-Mails von Bekannten außerhalb Amerikas. Schon da war das Netz näher dran an den Menschen als das Fernsehen: Während dort in einer Endlosschleife Flugzeuge in Hochhäuser stürzten, schwirrten durch das Netz Sympathie und Mitgefühl.

Puzzlen, um das Grauen zu verarbeiten

Fast alle InternetNutzer haben natürlich diese Bilder gesehen. Und es scheint ihr Weg zu sein, das zu verarbeiten, indem sie diese Filme und Fotos sammeln. Fast alle Sites haben eine Galerie, www.11-sept.org zum Beispiel, www.americandisaster.com oder www.september11news.com. Auf usaheroes.net gibt es sogar noch einen Bildschirmschoner zum Herunterladen - und bei www.wallofprayers.com (der Site eines Feuerwehrmannes) ein Puzzle, in dem man einen Adler zusammensetzen muss, aus dessen Auge eine große Träne fließt.

Doch nicht nur Patriotismus ist die Triebfeder für Webdesigner - einige machen aus ihrer Trauer Kunst. Aus aller Welt kommen die Bilder, die das »Whyproject« (www.whyproject.org) oder www.freaksoftomorrow.de/anschlag ausstellen. Andere verstehen sich als Archivare und zeigen die Titelseiten von Zeitungen, die um den 11. 9. erschienen sind (www.poynter.org/Terrorism/gallery), oder dokumentieren die Online-Berichterstattung über die Anschläge (wie bei www.interactivepublishing.net/september und web.archive.org/collections/sep11.html).

Humor ist...

Andere im Netz nehmen das Geschehene und dessen Folgen mit mehr oder weniger bitterem Humor - entweder, indem sie bin Laden auf www.newgrounds.com nicht ganz jugendfrei virtuell verprügeln oder sich der Satire bedienen wie der Betreiber von www.afghanistankrieg.de: »Sie werden hier über die anstehenden Anti-Terror-Kriege der internationalen Friedensallianz gegen die unzivilisierte Welt auf dem Laufenden gehalten«, steht da, und wer glaubt, das sei eine Propagandaseite, der irrt - hier wird konsequent Kriegsrhetorik von Politikern fortgeschrieben. Befürchtungen, die Site würde bald überflüssig, hat der Betreiber nicht: »Die Vereinigten Staaten sind der universale Kämpfer für Wahrheit, Frieden und Gerechtigkeit auf unserer Erde«, schreibt er, »Afghanistan war erst der Anfang. Wir wünschen Ihnen Frieden und Freiheit auch im großen Kriegsjahr 2002.«

Sven Stillich

PRODUKTE & TIPPS