Es lässt viele Medienschaffende mit einem ratlosen Kopfschütteln zurück: Sendet man neuerdings eine E-Mail an den Pressekontakt von Twitter, bekommt man sofort eine Antwort. Und zwar eine Mail, deren einziger Inhalt ein Kackhaufen-Emoji ist. Respektlos? Auf jeden Fall. Typisch für den neuen Twitter-Chef Elon Musk, der seit Monaten mit eher infantilen Äußerungen in seinem für 44 Milliarden Dollar erworbenen sozialen Netzwerk auffällt? Klar. Erwartbar nach den Äußerungen, die er zuletzt häufiger über die, wie er es nennt, legacy media (etwa: "traditionelle Medien") tätigte? Leider ja.
Es ist recht eindeutig, was Elon Musk mit einer so drastischen Aktion wie der automatisierten Kackhaufen-Versendung ausdrücken möchte: Die Medien sind ihm nicht nur nicht wichtig, sondern richtiggehend ein Dorn im Auge. Weil sie es wagen, ihn und sein Geschäftsgebaren zu hinterfragen und gar zu kritisieren. Weil sie eine Konkurrenz darstellen zu dem, was er mit Twitter sein bzw. werden möchte: direkte Live-News, ohne das, was er als lästigen Umweg über Journalisten betrachtet.
Elon Musk verachtet die freie Presse
Und gelegentlich war Twitter so etwas in der Vergangenheit ja bereits. Bei großen, aktuellen Ereignissen meldeten sich auf der Plattform Augenzeugen, Betroffene, Experten zu Wort und teilten ihre Informationen und Ansichten. Das ist wertvoll, speziell für Menschen in Ländern, in denen es so etwas wie Pressefreiheit und unabhängige Medien nicht gibt. Aber ersetzen kann eine derartige bruchstückhafte und stets subjektive Berichterstattung echten Journalismus nie – aus vielerlei Gründen.
Zuerst: Ein persönlicher Eindruck kann immer täuschen. Ein verwackeltes Handyvideo erzählt nie die ganze Geschichte. Fehlinformationen können sich so rasend schnell verbreiten. Dafür sind Journalisten da: Dinge zu hinterfragen, umfangreich zu recherchieren, Fakten zu checken – und bei aktuellen Geschehnissen dann auch notfalls mal fünf Minuten länger zu warten, bevor berichtet wird, um sicherzugehen, dass man Fakten verbreitet anstatt hektischer Vermutungen.
Egozentrischer "Bestimmer" versus Journalismus
Vor allem aber ist das Problem, dass es jemandem wie Elon Musk vermutlich nicht um das zumindest in der Theorie ehrenvolle Ziel geht, einen freien, direkten "Bürgerjournalismus" voranzutreiben. Denn das kann auf einer Plattform, die einem einzelnen Milliardär gehört, gar nicht funktionieren. Schon gar nicht, wenn dieser Milliardär für seine Launenhaftigkeit, Eitelkeit und Unsicherheit bekannt ist. Mehrere skurrile (Fehl-)Entscheidungen der vergangenen Wochen und Monate machten deutlich, dass es ihm bei Twitter vor allem um zwei Dinge geht: Geld verdienen und sein Ego streicheln.
So fällt auf, dass nahezu jeder Twitter-Nutzer – ob er Elon Musk folgt oder nicht – regelmäßig dessen Tweets in seiner Timeline vorfindet. Das ist der Fall, seit Musk irritiert festgestellt hatte, dass seine Followerzahlen gesunken waren, nachdem seine eigenwillige Art, die Plattform zu führen, dazu geführt hatte, dass viele Nutzer ihre Accounts löschten. Er möchte Twitter auch als Sprachrohr für sich selbst nutzen, als Werbeplattform für die Marke Musk – und für seine politischen Ansichten. Und das ist: brandgefährlich.
Twitter wird das Monopol nicht auf ewig behalten
Denn jemand, der auf einem weltweiten Netzwerk die Berichterstattung und Meinungsverbreitung steuern kann, ohne kontrolliert zu werden, der drückt damit nicht nur seine Verachtung für das hohe Gut der Pressefreiheit aus, sondern gefährdet diese. Jene Verachtung symbolisiert Musks alberne Auto-Reply mit dem Kackhaufen-Emoji sehr eindrücklich. Allerdings dürfte er die Rechnung ohne die Nutzer gemacht haben, die tatsächlich Wert auf Unabhängigkeit und freie Meinungsäußerung legen.
Mit der Plattform Mastodon, die ähnlich funktioniert wie Twitter, aber dezentral organisiert ist und somit nicht von nur einem "Chef" gelenkt werden kann, gibt es bereits eine Alternative – die allerdings noch in Sachen Nutzerfreundlichkeit hinterherhinkt. Es ist aber nur noch eine Frage der Zeit, bis es ein entsprechendes Netzwerk geben wird, das den Komfort von Twitter mit der Unabhängigkeit von einem einzigen, egozentrischen Alleinherrscher verbinden wird.