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Generationenkonflikt Die Facebook-Kluft

Wer über 40 ist, kann das Konzept sozialer Plattformen einfach nicht verstehen. Anmelden müssen die Betreffenden sich trotzdem, wenn sie noch Geburtstagsgrüße von Ihren Kindern empfangen wollen.
Von Lucy Kellaway

Vergangenen Mittwoch erkannte meine Generation beim Frühstück, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Bereits am Dienstag hatte ich von der Nachricht über das Internet Wind bekommen. Doch wie die meisten Leute meines Alters glaube ich etwas erst richtig, wenn ich es auf einem großen Bogen Papier gedruckt sehe, den mir der Zeitungsjunge ganz anachronistisch an die Haustür liefert. Das heißt, bei mir fiel der Groschen erst am Mittwochmorgen: Die Welt gehört jetzt der Generation nach mir. Auf ihrer Titelseite meldete die Financial Times, dass Facebook nun größer ist als Google. In den USA besuchen mehr Menschen die Website des sozialen Netzwerks, um sich gegenseitig was an die Wand zu kritzeln und Fotos von feuchtfröhlichen Partys auszutauschen, als Google, um dort Reiserouten zu erhalten, die Schreibweise von "Chrysantheme" zu finden oder Internetpornografie.

Google und Twitter kapieren wir ja noch

Nichts, so scheint mir, trennt die Jungen von den nicht mehr ganz so Jungen wie soziale Netzwerke. Im Allgemeinen unterscheiden sich 50- von 15-Jährigen kaum, außer dass Erstere etwas mehr Erfahrung und viel mehr Falten haben. Heutzutage trägt jeder Jeans. So ziemlich jeder findet Florence and the Machine (ganz) gut. Aber 15-Jährige leben auf Facebook, und 50-Jährige verstehen das überhaupt nicht. Das ist keine Kleinigkeit. Es ist eine megaelefantöse Kluft zwischen den Denkweisen zweier Generationen, wobei es nicht nur um unterschiedliche Arten der Kommunikation geht, sondern um unterschiedliche Lebensweisen.

Für alte Menschen ist Google etwas Selbstverständliches: Uns wurde in der Grundschule beigebracht, wie man Dinge nachschlägt. Google ist wie eine Bibliothek, nur viel besser. Man muss nicht extra in den Bus steigen, und das, was man haben will, ist nie an jemand anderen verliehen. Auch E-Mail ist für uns etwas Selbstverständliches. Vielleicht kämpfen wir hier und da mit den für dieses simple Medium angemessenen stilistischen Ausschmückungen, aber wir verstehen das Prinzip. Eine Person kommuniziert mit einer anderen, nur geht es eben schneller, als der Postbote braucht, um einen Brief durch den Schlitz zu schieben. Wenn's sein muss, kommt meine Generation auch mit Twitter zurecht. Der Kurznachrichtendienst ist nur eine Art von Angeberei, und protzen können wir genauso gut wie alle, die ein oder zwei Jahrzehnte nach uns geboren sind.

Ein Buch mit sieben Siegeln

Aber Facebook bleibt ein Buch mit sieben Siegeln. Für uns ist Kommunikation eine Tätigkeit, die zwischen zwei Menschen im gegenseitigen Einverständnis ausgeübt wird. Ich unterhalte mich gern jeweils nur mit einer Person - dadurch habe ich die Möglichkeit, Ton und Gesprächsstoff zu variieren und sie meinem Gegenüber anzupassen. Wenn wir uns mit mehreren Freunden gleichzeitig befassen müssen, drehen wir durch. Man denke nur an das Gewese, bis man entschieden hat, wen man mit wem zu einer Dinnerparty einladen kann.

Lucy Kellaway

ist Kolumnistin der "Financial Times" in London

Dagegen ist der Gedanke gänzlich unverständlich, dass Kommunikation zu einer willkürlich in den Raum geworfenen Mitteilung an 500 "Freunde" über das am Abend zuvor Erlebte wird. Genauso unverständlich ist der Gedanke, dass man stundenlang vor einem Bildschirm klebt, um zufällige Mitteilungen einer nicht zu bewältigend großen Gruppe Freunde anzustarren und zu kommentieren.

Diese Kluft zwischen der Facebook- und der Nicht-Facebook-Generation ist größer als die Kluft meiner Generation zu der unserer Eltern. Mein Vater liebte Verdi, ich mochte die Rolling Stones. Für ihn war meine Musik Lärm. Für mich war seine Musik seltsam. Aber es war der gleiche Zwölf-Zoll-Vinylkreis, der sich auf dem Plattenspieler drehte, und um zuzuhören, setzte man sich aufs Sofa. Meine Mutter warf nie Lebensmittel weg. Und auch wenn es mich nicht beeindruckte, dass eine halbe Bratkartoffel im Kühlschrank überleben musste, so verstand ich doch, dass meine Mutter Zeiten der Lebensmittelrationierung erlebt hatte und deshalb auf keinen Fall die Bratkartoffel wegwerfen konnte.

Ich habe meine Kinder gebeten, mir Facebook zu erklären, bin aber genauso schlau wie vorher. Sie können es nicht erklären, weil sie meine Fragen nicht verstehen. Das Ausmaß meiner Verwirrung ergibt für sie hinten und vorn keinen Sinn.

Meine Generation wird sich früher oder später anmelden müssen. Eine Freundin meiner Tochter klagte vor Kurzem, sie könne ihrem Großvater nicht zum Geburtstag gratulieren, weil er nicht auf Facebook ist. Den Telefonhörer in die Hand zu nehmen, geschweige denn, eine Geburtstagskarte zu kaufen kam ihr nicht in den Sinn. Wollen wir also künftig noch Geburtstagskarten erhalten - oder uns mit Personen unter 40 unterhalten -, müssen wir Mitglied auf Facebook werden, ob wir es nun verstehen oder nicht.

Soweit ich das ermessen kann, besteht nur ein Risiko für die Website: In den USA haben sich 36 Millionen Mütter bei Facebook angemeldet, um ihre Kinder im Auge zu behalten. Die eigene Mutter als "Freund" auf Facebook zu haben dürfte genauso cool sein, wie wenn einen der eigene Vater als Anstandswauwau in die Disco begleitet.

FTD

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