"Alles Gute zum Vierzigsten. Was kommt als nächstes?“ Jörg Neumann lacht. Das sei die wohl am häufigsten gestellte Frage zum Geburtstag seines Babys gewesen, dem Microsoft Flight Simulator 2020. Die Ungeduld nimmt er niemandem krumm, im Gegenteil. "Ich möchte nicht wieder zurück in die Zeit, wo wir als Spieleentwickler weitgehend ohne Rückmeldung von Usern Games entwickelten, sie in eine Packung steckten und verkauften. Vielleicht gab es noch einen Patch hinterher oder ein Addon. Das war es aber dann“, sagt der Wahl-Amerikaner. Der aus Deutschland stammende Neumann ist der oberste Projektmanager des wohl berühmtesten aller Flugsimulatoren. Gleichwohl für die neueste Version die Bezeichnung Flugsimulator untertrieben ist. Es ist eher ein Weltsimulator. Die Landschaftsdaten und fotorealistischen Texturen werden direkt von Microsofts Bing Maps bereitgestellt. Ein Flug von Hamburg nach Kapstadt zum Beispiel sähe selbst aus niedriger Höhe so aus wie in der Realität. Nie zuvor ist die Welt detailgenauer abgebildet worden.
Und nun das Wetter von vorgestern...
Zwei Dinge hinken der Realität indes noch hinterher: Wetter und Wasser. "Beim Wetter sind wir schon ziemlich weit vorn“, sagt Neumann. Tatsächlich sehen Wolken und Wettereffekte wie Regen. Schnee, Dunst und Gewitter täuschend echt aus. Auch der simulierte Wind strömt realitätsnah, wird von Bergen, Hügeln und Hochhäusern abgelenkt. Auf Wunsch kann selbst das aktuelle Wetter an einem bestimmten Ort abgerufen werden. Und bald auch historische Wetterdaten. "Wir arbeiten mit einem Wetterdienstleister in der Schweiz zusammen, der uns mit der weltweiten Vorhersage für die nächsten sieben Tage versorgt. Momentan greifen wir auf rund 88.000 Wetterstationen zu“, schwärmt Neumann. Man sei gerade dabei, Turbulenzen in großen Höhen einzubauen. Diese Luftlöcher sind in der echten Fliegerei tatsächlich eine Gefahr. Erst Anfang Dezember 2022 geriet ein US-Linienflugzeug auf dem Weg nach Hawaii in 11.0000 Metern Höhe in Turbulenzen. Die Maschine sackte hunderte Meter ab, wer nicht angeschnallt war, wurde aus dem Sitz gehoben. 36 Passagiere verletzten sich, darunter einige schwer. Doch wie bei allen Simulationen steckt der Teufel steckt im Detail. In der schwer berechenbaren Meteorologie sowieso.
Als im November mit dem großen Geburtstagsupdate auch Segelflieger eingeführt wurden, zeigten sich die Grenzen der Wettersimulation im Bodennähe. Segelflugzeuge bleiben in der Luft, weil sie sich mit ihren langen Flügeln in vom Boden aufsteigender warmer Luft nach oben tragen lassen. Sonnenstrahlen heizen den Boden auf, der erwärmt die über ihm liegende Luft. Da warme Luft leichter als kühlere ist, beginnt sie wie in einer Blase aufzusteigen. Mit zunehmender Höhe kühlt die Blase ab, bis schließlich das in ihr gespeicherte Wasser zu Wasserdampf kondensiert: Es entstehen diese hübschen Wattebauschwolken, die Kumuluswolken.
Für Segelflieger ein wichtiges Himmelszeichen. Kumuluswolken weisen ihnen den Weg zur nächsten Energietankstelle. Ohne sie wäre ein Flug ohne Motor schnell zu Ende. Im Flight Simulator funktionieren diese Wegweiser nicht. Die virtuellen Wolken sind dort lediglich grafische Gebilde, die weder etwas mit dem Boden noch mit aufsteigenden Luftmassen zu tun haben. Die Thermik wird nach dem Zufallsprinzip über die Landschaft verteilt.
"Wir haben uns die Rückmeldungen der Segelflieger sehr genau angeschaut. An die Thermik werden wir auf jeden Fall nochmal ran und nachjustieren“, sagt Neumann. Für ihn ist es keine Frage, dass der Flight Simulator eines Tages die Referenzsimulation auch für das Segelfliegen wird. In Sachen Wetter und Wolken ist derzeit der Segelflugsimulator Condor das Maß aller Dinge. Das einst aus einem Hobbyprojekt geborene Programm führt den Flight Simulator in Sachen Wetter in Bodennähe vor. Es kann all das, was bei Microsoft nicht funktioniert. "Wir haben uns Condor sehr genau angeschaut. Wir werden wir besser hinbekommen“, zeigt sich Neumann überzeugt.

Für den 54-Jährigen, der selbst als Jugendlicher Segelflugzeuge steuerte, sind solche Nachbesserungen auf Wunsch der User der eigentliche Pluspunkt des Flight Simulators 2020: "Es ist ja kein fertiges Produkt, wir denken hier über zehn Jahre kontinuierliche Weiterentwicklung. Die Impulse dafür ziehen wir aus dem Feedback unserer User“.
Wie im vergangenen Jahr werde er auch über die jetzigen Feiertage viel Zeit in den Foren verbringen. Der Ton unter den meist sehr kritischen "Hardcore-Fans“ sei seit 2020 immer positiver geworden, weiß Neumann. Und so werde das auch beim Segelfliegen sein, ist er sich sicher. Man schaue jetzt, was die Piloten bemängeln und werde das dann Stück für Stück in der Software verbessern.
Meere ohne Gezeiten
Dazu zählt für ihn auch die Simulation des Wassers. "Häfen, Marinas, Schiffe - alles, was im Bereich von Gezeiten liegt, wird eher unter als über Wasser dargestellt“, so Neumann. Das liege an zwei Dingen. Zum einen an den zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommen Satellitenbildern, aus denen die virtuelle Welt zusammengesetzt ist. Zum anderen, dass es im Weltsimulator keine vom Mond abhängige Tide gibt. Der Wasserstand in der virtuellen Welt sei immer ein gemittelter Wert. Man liege also halb richtig und halb falsch. Das Thema hätte man beim Entwickler Asobo in Frankreich im Blick, aber es sei schwierig. Was Jörg Neumann in Sachen Wasser aktuell beschäftigt sind Wellen. "Unsere Wassersimulation ist derzeit nicht die Beste. Wir können keine rollenden Wellen darstellen, dafür bräuchten wir auch Daten über die Beschaffenheit des Meeresbodens, da sich im flachen Wasser auch hier die Wellen brechen“. Bis man diese Daten hätte, dauere es. Große Hoffnung würden auf Unterwasserdrohnen gesetzt, die mit der topografischen Erfassung des Meeresbodens begonnen hätten. Woran man jedoch zeitnah arbeite, sei der Schiffsverkehr. Künftig sollen Schiffe aller Art die Häfen, großen Flüsse und Meere befahren.
Das es weitergeht, scheint sicher. Mit rund zehn Millionen virtuellen Piloten ist der Microsoft Flight Simulator 20220 der erfolgreichste Flugsimulator überhaupt. Die Zahl ist insofern erstaunlich, da es keine Handlung, keine Kampagnen gibt für die Spieler und vor allem keine Luftkämpfe oder Waffen. Das Spielziel ist das Fliegen an sich und die Freude am Entdecken. Auch wenn der US-Kampfjet F-18 laut Statistik das am meisten geflogene Flugzeug im Fuhrpark ist. Gleich dahinter rangiert jedoch der neue Airbus 310 Neo.
Das Erfolgsgeheimnis ist der Mix aus PC, X-Box und dem Spielestreaming-Dienst X-Box-Cloud. "Derzeit verteilen sich die Spieler zu je einem Drittel auf die Plattformen“, weiß Neumann aus den internen Datenerhebungen.
Nvidia 4090 das Maß der Dinge für Hardcore-Flieger
Flugsimulationen gelten seit jeher als Hardwarehungrig. Auf dem Testsystem der Redaktion, einem Mifcom-PC mit einem Intel i9 12900KS und einer Geforce 4090 RTX, sieht der Flight Simulator in 4K schlicht atemberaubend aus. Die neuste Grafikkarte von Nvidia ist für "Hardcore-Simer" die Referenz. Keine andere Karte schafft es, den Flight Simulator in voller Grafikpracht kontinuierlich mit über 100 Frames pro Sekunde darzustellen. Auch mit Hilfe hauseigener Techniken wie DLSS-3. Für echte Simulator-Fans geht nichts über den High-End-PC mit Joystick oder Steuerhorn, Schubhebel und Seitenruderpedalen unter dem Schreibtisch, auf dem ein 4K-Monitor steht oder eine VR-Brille liegt.
Doch die Software läuft eben auch auf der X-Box und lässt sich sogar auf einem zehn Jahre alten Laptop mit der X-Box Cloud streamen. Für jeden scheint etwas dabei, vom anspruchsvollen User, der für seinen echten Flugschein übt, bis zum Gelegenheitsflieger, der unkompliziert seinen Wohnort oder die nächste Urlaubsregion von oben anschauen möchte.
Da die Fangemeinde so divers ist und im Grunde der ganze Planet simuliert wird, kommen auch sehr unterschiedliche Wünsche zustande. "Da gibt es die Eisenbahnfans, die sich gern in den Zug setzen und durch die Gegend fahren würden. Wintersportfans wollen zum Skifahren fliegen. Golfer zu den Golfplätzen der Welt und dort spielen. Wassersportler würden gern segeln gehen,“ berichtet Jörg Neumann aus den vielen Anfragen der User. Im Prinzip wäre das auch alles möglich, sagt er. Es sei eben nur eine Frage die Priorisierung. Und da ginge Fliegen eben vor.