Miriam Meckel "Ich bin dann mal da!"

Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel plädiert dafür, Handy und E-Mail regelmäßig abzuschalten - um Menschen und Momenten die volle Aufmerksamkeit schenken zu können.

Frau Meckel, Ihr Buch "Das Glück der Unerreichbarkeit" erscheint diese Woche. Darin fordern Sie, dass wir uns bewusst Freiräume schaffen sollen, in denen wir nicht ständig per E-Mail und SMS, Handy und Computer erreichbar sind. Wo ist das Problem?Diese Geräte haben doch alle einen Aus-Schalter.

Man muss ihn aber auch betätigen! Das fällt vielen Menschen schwer.

Warum?

Weil wir eine gewisse Zuneigung zur permanenten Erreichbarkeit entwickeln. Das ist schließlich ein Zeichen dafür, dass wir bei unseren Mitmenschen gefragt sind. Und wir sind immer bestens mit Informationen versorgt. So entsteht das Gefühl, mitten im Strom des Lebens zu schwimmen - und dann ist es einfach schwer, das zu stoppen.

Ihr Buch

Miriam Meckel: "Das Glück der Unerreichbarkeit", Murmann Verlag, 272 Seiten, 18 Euro

Das klingt doch gut. Warum sollte man solch positive Gefühle abschalten?

Weil das nur eine Seite ist. Ich benutze viele Geräte zur Kommunikation, aus Sicht mancher Freunde sogar exzessiv. Aber es gibt so einen Punkt, wo zu den guten Gefühlen auch negative kommen, und es gibt einen weiteren Punkt, wo die negativen die positiven überwiegen. Dann meint man, immer auf alles reagieren zu müssen, und gerät unter Druck. Auf einmal ist keine Zeit mehr, zu überlegen, sich auf die wichtigen Fragen zu konzentrieren: Was will ich eigentlich antworten, was will ich sagen, will ich mit dem, der mich da anspricht, überhaupt reden? Dann tappen wir in die Kommunikationsfalle.

Schildern Sie nicht ein Luxusproblem?

Wer ist schon so stark in elektronische Kommunikation eingebunden? Das wandelt sich gerade. Die Kommunikation in allen Bereichen unserer Gesellschaft verlagert sich auf technische Plattformen wie E-Mail und SMS, Handy und PC. Es gibt immer weniger persönliche Gespräche, sogar die Zahl der Telefongespräche sinkt zugunsten von SMS und Mail. Diese Technik macht Erreichbarkeit zu jeder Zeit möglich - und die wird dann einfach erwartet. Das betrifft nicht nur Manager, es geht inzwischen bis in die Ebene der ganz normalen Angestellten. Der Druck ist so groß, dass die sich sogar regelmäßig da raus lügen.

Wie meinen Sie das?

Nirgendwo wird so viel gelogen wie in EMail und SMS, ergeben Untersuchungen. "Akku war leer", "Kein Netz", "Bin gerade im Flieger" - nur durch solche Lügen kann man noch legitimieren, dass man nicht erreichbar ist. Keiner traut sich zu sagen: Lass mich in Ruhe, ich will arbeiten - oder einfach nur Privatleben haben.

Wie entsteht so ein Druck?

Das kann sogar ganz unabsichtlich sein, wie es mir mit meinen Mitarbeitern passiert ist. Als ich mit denen über das Buch diskutiert habe, sagte eine: Chefs neigen dazu, sonntagabends eine Flut von EMails an ihre Mitarbeiter abzuschicken, damit die schon mal vom Tisch sind und dann am Montagmorgen gleich bearbeitet werden können. Derjenige, der sie bekommt, hat aber das Gefühl, das muss jetzt sofort sein. Ich saß da und dachte: Die meint mich! Die wollen "Tatort" gucken, denken durch das Hierarchieverhältnis aber, meine Mail muss sofort erledigt werden. Das geht so natürlich gar nicht.

Und die Lösung?

Wir müssen klare Richtlinien aufstellen. In einigen Unternehmen hat man erkannt, dass die Leute sonst irre werden, durch dieses ewige Kommunizieren. Da wird in betrieblichen Vorgaben klar festgelegt, wann die Geräte ein- und ausgeschaltet sind, wie schnell Mails und Anrufe beantwortet werden müssen.

Im Privatleben scheinen zumindest Jugendliche mit dem Kommunikationsstress gut klarzukommen.

Die Anerkennung unter Jugendlichen definiert sich zu einem großen Teil darüber, wie viele SMS und E-Mail sie bekommen. Das wird untereinander sogar verglichen und diskutiert. Und wenn Sie frisch verliebt sind oder eine Affäre haben, ist SMS die ideale Plattform.

Man hat den Eindruck, den Kids macht das Durcheinander der Kommunikationsformen gar nichts aus.

Die sind natürlich damit groß geworden. Wenn ich mir meinen sechsjährigen Neffen anschaue, der kann das wirklich toll, der macht alles zur gleichen Zeit. Aber die Gehirnforschung zeigt ganz klar: Wir können mehrere Dinge nicht wirklich gleichzeitig machen. Wir machen sie sehr schnell im raschen Wechsel nacheinander. Und das hat Folgen: Je schneller man zwischen verschiedenen Aufgaben wechselt, desto länger braucht man, um die Aufgaben insgesamt zu verarbeiten.

Sie nennen diesen Effekt die "unterbrochene Gesellschaft"

Genau. Im Durchschnitt kann sich ein Büromensch zweieinhalb Minuten auf eine Sache konzentrieren, bevor er von außen unterbrochen wird, durch einen Anruf, von einem Kollegen, durch eine E-Mail. Wir leben inzwischen so stark in dieser Unterbrechungs-Unkultur, dass die Arbeit nicht mehr durch Mails unterbrochen wird, sondern das Mailen durch die Arbeit. Wir können uns gar nicht mehr richtig konzentrieren. Ich kenne das von mir selbst gut. Ich hänge vor einem Text, komme nicht weiter, dann gucke ich in mein Postfach oder surfe komplett planlos eine Stunde im Internet rum, vollkommen unproduktiv. Ich habe das Gefühl, ich hätte etwas gemacht, aber faktisch ist der Text immer noch keine Zeile weitergekommen.

Das ist aber ein Widerspruch: Sie sind Medienwissenschaftlerin und bilden Studenten zur Kommunikation aus, andererseits raten Sie zur Abstinenz vom Kommunizieren.

Überhaupt nicht. Ich würde mein Handy nur ungern hergeben. Es geht darum, Zeiten zu schaffen, in denen Pause ist. Wenn Sie sich wirklich konzentrieren wollen, etwa um ein Buch zu lesen, dann darf es nicht sein, dass es ständig bimmelt und immer jemand etwas will. Dann muss man sich technisch abkoppeln und unerreichbar sein. Ich nenne das ein „existenzielles Funkloch“. Wie eine ausgewogene Ernährung brauchen wir auch einen guten Informations- und Kommunikationsmix.

Wie kommt man raus aus der Erreichbarkeitsfalle?

Ausmachen. Es klingt total einfach, ist aber extrem schwer für die meisten Menschen, die diese Geräte benutzen. Wir brauchen Zeiten der technischen Unerreichbarkeit, um uns auf eine bestimmte Aufgabe oder einen Menschen wirklich zu konzentrieren und uns zuzuwenden - nach dem Motto: Ich bin dann mal da! Voll da nämlich, nur für die eine Sache, die eine Person.

Wie lernt man das?

Das kann man lernen mithilfe bestimmter Regeln, die einen unterstützen. Ich reagiere zum Beispiel aus Prinzip nicht auf E-Mails, die mit der höchsten Dringlichkeitsstufe kommen. Ich hatte mal 270 solcher Mails aufbewahrt. Nach vier Wochen hat bei einer einzigen jemand nachgefragt. Beim Mailprogramm hilft es, die Geräusche und Fenster abzuschalten, die bei jeder neuen EMail ausgelöst werden. Sonst reagiert man darauf ganz automatisch - und schon gibt’s wieder eine Unterbrechung. Ein Trick, um die eigene Kommunikation zu entschleunigen, ist, ganz bewusst eine vernünftige Sprache zu benutzen, auf Grammatik und korrekte Rechtschreibung zu achten und eine ordentliche Anrede und Grußformel zu verwenden. Wenn man sich die Zeit für die Formulierung nimmt, dann gewinnt auch der Inhalt. Und in Konferenzen oder Diskussionen gehört das Handy ausgeschaltet, das muss eine Frage der Umgangsformen werden. Wenn in meiner Vorlesung das Handy eines Studenten klingelt - das macht mich rasend.

Sie bringen im Buch das schöne Beispiel, dass es früher praktisch tabu war, während der "Tagesschau" bei anderen Menschen anzurufen.

Genau solche Regeln müssen wir auch für die moderne Kommunikation entwickeln. Helmut Schmidt hat damals während der Ölpreiskrise den autofreien Sonntag verordnet. Viele meiner Kollegen meinen, man sollte einen E-Mail-freien Tag haben.

Wie schnell reagieren Sie auf eine E-Mail?

Früher habe ich meist innerhalb von zwei Stunden geantwortet. Jetzt nehme ich mir 48.

Zwei Tage? Das ist sehr lange. Da hätten wir schon alle Hoffnung auf Antwort aufgegeben.

Diese Einstellung sollten Sie überdenken. Meinen Sie wirklich, dass das Thema der Mail dann weg ist?

Gab es denn Beschwerden von denen, die eine Mail geschickt haben?

Nicht eine. Natürlich gibt es auch Nachrichten, die ich schnell beantworte. Aber für den Großteil plane ich alle zwei Tage gezielt drei Stunden ein, um sie zu beantworten. In der Zeit mache ich dann aber auch nichts anderes. Und man kann ja auch erst mal nur kurz schreiben: "Danke, melde mich übermorgen." Es hat ja auch viel mehr Qualität, wenn ich mich mit einer Mail wirklich in Ruhe auseinandersetze, bevor ich antworte.

Und das alles machen Sie jetzt, nachdem Sie das Buch geschrieben haben?

Ich halte die Regeln, die ich aufstelle, tatsächlich ein. Natürlich mit Ausnahmen, klar. Und ich habe eine ganz andere Wahrnehmung von der Pause gewonnen. Die Pause ist nicht Faulheit, sondern ein ganz kreativer, konstruktiver Moment, der mich regeneriert, mir neue Ideen gibt und mich auch glücklich macht. Das ist eine Erfahrung, die ich beim Schreiben gemacht habe - und das ist sehr schön.

Interview: Thomas Borchert, Dirk Liedtke

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