Experten-Umfrage Wie wird das iPad Medien verändern?

Hin- und hergerissen zwischen Hoffen und Bangen fiebern Verlage dem iPad und anderen Tablet-Computern entgegen. Können sie Verluste im Werbegeschäft ausgleichen? Wird Gedrucktes in digitaler Form eine neue Blüte erfahren? stern.de hat vier Experten befragt.

Sascha Lobo ist Deutschlands bekanntester Blogger, Werber, Werbefigur und Autor. Er gilt als Vorzeigefigur der "digitalen Bohème" in Berlin.

Wie wird das iPad das Mediengeschäft verändern, wenn Zeitungen und Zeitschriften digital werden?


In meinen Augen sind Zeitungen und Zeitschriften längst digital, das hat das Internet auch so schon mit sich gebracht. Was diesen Punkt angeht, bietet das iPad erstmals die Möglichkeit, Apples überaus simplen Bezahlvorgang auch für journalistische Inhalte sinnvoll einzusetzen. Aber das Versäumnis, dass die weitaus meisten deutschen Verlage bisher so getan haben, als müsse man die gleichen Informationen, die man ausgedruckt zu verkaufen gedenkt, einfach im Internet abladen - das wird sich noch bitter rächen. Denn die Erwartung des Publikums, wie die Präsentation digitaler Zeitschrifteninhalte auszusehen hat, muss jetzt erst mühsam erarbeitet werden, weil nach der New-Economy-Pleite kaum ein Verlag mehr angemessen in journalistische Internetangebote und deren Weiterentwicklung investiert hat.

Und wie wird das iPad insgesamt verändern, was dem Leser heute noch als gedruckte Zeitung oder Zeitschrift mit angeschlossener Website und mobilen Angeboten begegnet?

Das iPad wird nach meiner Überzeugung nicht der Heilsbringer der arg gebeutelten, deutschen Verlagslandschaft. Ich glaube, dass der Erfolg durchaus vergleichbar mit dem iPhone sein wird, das muss sich aber nicht zwingend gleich im ersten Jahr seines Bestehens in extremen Verkaufszahlen widerspiegeln. Und das bedeutet, dass spezielle iPad-Angebote mindestens in den nächsten zwölf Monaten Angebote für eine winzige Minderheit bleiben werden, ich rechne mit einer mittleren sechsstelligen Zahl von aktiven Nutzern in Deutschland. Das dürfte wirtschaftlich gesehen für die Verlage gerade reichen, um eine Art Live-Marktforschung zu betreiben. Als sehr relevant schätze ich aber die ernsthafte Wiedereinführung des Produkts "digitale Zeitschrift" ein, die das iPad definitiv vorlegt. Nur steigt damit auch blitzschnell die Erwartung des Publikums an die Qualität und die zusätzlichen Eigenschaften dieses Produkts. Ich glaube, dass in diesem Markt nicht die Regeln des Papierzeitschriftenmarkts gelten. Das heißt: es gewinnt, wer das beste digitale Angebot macht und nicht, wer neben der Applikation die beste Zeitschrift druckt. Für den absolut kriegsentscheidenden Faktor bei dieser Konkurrenz halte ich übrigens Design und Usability - und nicht so sehr die Qualität der Inhalte, die sich bei den größeren Verlagshäusern wenig unterscheidet.

Wird das iPad durch sein Design und sein Interface auch das Web selbst beeinflussen?

Soziale Medien sind bereits in einem kaum mehr begreifbaren Boom. Facebook ist auf dem Weg, eine Art Betriebssystem des Internet zu werden und hat sogar eine Chance, unter Umständen Google als wichtigstes Web-Unternehmen abzulösen. Aber es ist richtig, dass das iPad hier einen Schub geben könnte, weil es Social Gaming, also Spiele, die in solchen Netzwerken gespielt werden, noch attraktiver macht. Das iPad wird schon in wenigen Monaten als "Farmville-Pad" verspottet werden, denke ich. Auch das Interface wird einen Teil des Internet verändern, schon allein, weil das iPad mit Sicherheit den Touchscreen für Laptops in kurzer Zeit ebenso selbstverständlich machen dürfte, wie das iPhone es für Handys getan hat. Es lauert aber eine große Gefahr im System von Apple: die Geschlossenheit und der absolutistische Umgang mit Kooperationspartnern, die die Anwendungen anbieten. Hier geriert sich Apple wie eine Monarchie. Das steht dem anarcho-demokratischen Internet extrem entgegen. Es wäre fatal, wenn die Verlage sich in die Fänge von Apple begeben würden und sich diesem seltsamen Unternehmen ausliefern würden. Das mitteleuropäische Verständnis von freier Presse stünde auf dem Spiel. Die Verlage müssen deshalb nicht allein auf das iPad setzen, sondern zusätzliche Einnahmekanäle - auch andere Arten von Paid Content - für ihre Inhalte finden, das ist im Moment das wichtigste strategische Ziel.

Bent Rosinski, Werber

Bent Rosinski, Geschäftsführer Beratung der als "Newcomer Agentur des Jahres 2009" ausgezeichneten Hamburger Werbeagentur Lukas Lindemann Rosinski.

Wie wird das iPad Werbung verändern, wenn Zeitungen und Zeitschriften digital werden?


Natürlich bietet das iPad dank seiner multimedialen Möglichkeiten auch neue Chancen für die Werbung. Aber dass eine Digitalisierung Werbung nicht auch zwangsläufig besser macht, zeigen die vielen nervtötenden Banner im Internet. Werbung bleibt in vielen Fällen ein ungebetener Gast. Dies wird auch auf dem iPad der Fall sein, wenn Werbetreibende einfach ihre Printwerbung eins zu eins digitalisieren.

Werden neue, noch unbekannte Werbeformen entstehen?

Wo der Weg hingeht, zeigen erfolgreiche Apps auf dem iPhone. Auch hier setzen sich nicht platte Werbe-Apps durch, sondern nutzenstiftende Anwendungen und Tools, die dem User mit Spaß oder technischer Intelligenz einen Mehrwert bieten.

Und wie wird das iPad insgesamt verändern, was dem Leser heute noch als gedruckte Zeitung oder Zeitschrift mit angeschlossener Website und mobilen Angeboten begegnet?

Auch wenn viele das iPad als zu groß geratenen iPod Touch ansehen, so wird es doch den Zeitschriften- und Zeitungsmarkt umkrempeln. Noch wichtiger erscheint mir aber die Tatsache, dass das iPad neuen Nutzergruppen das Internet erschließen wird. Das iPhone war das erste Handy, mit dem meine Schwiegermutter wirklich umgehen konnte. Dank des iPad wird sie intuitiv und spielerisch jetzt auch das Internet entdecken.

Miriam Meckel, Medienforscherin

Miriam Meckel ist Professorin für Corporate Communication und geschäftsführende Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen, Schweiz und Beraterin für Kommunikationsmanagement und Public Affairs. Daneben schreibt sie erfolgreich Sachbücher: "Das Glück der Unerreichbarkeit" und "Brief an mein Leben"

Wie wird das iPad digitale Medien und das Web verändern?

Apple hat uns auf der Unternehmenswebsite mit 'guided tours' auf die Vorzüge des iPad vorbereitet. Und genau das wird das iPad für das Web sein - eine geführte Tour. Über die Apps werden wir gezielt an die 'Sehenswürdigkeiten' im Netz herangeführt, die die meisten Menschen besuchen, um dort eben dann auch immer dieselben Leute zu treffen. Das wird es manch einem leichter machen, endlich nach Digitalien aufzubrechen und sich auf den Weg ins Web zu machen. Aber es wird auch die Gleichförmigkeit bringen, die organisierte Reisen auszeichnet: Man wird selten überrascht, alle fahren immer an dieselben Orte, und der Reiseführer bestimmt, wo es lang geht und wo man reinkommt. Mit einem offenen und neutralen Netz hat das Internet nach dem Siegeszug des iPad vermutlich noch so viel zu tun wie Interrail mit einer Neckermann-Pauschalreise.

Christian Lindner, Chefredakteur "Rhein-Zeitung"

Christian Lindner ist Chefredakteur der "Rhein-Zeitung" in Koblenz. Er bloggt und twittert fleißig. Die Rhein-Zeitung hat bereits 2001 ein E-Paper - also eine digitale Version der gedruckten Zeitung - gestartet.

Wie wird das iPad das Mediengeschäft verändern, wenn Zeitungen und Zeitschriften digital werden?

Das iPad und seine verwandten Begleiter wie Kindle, WePad & Co. werden die Verlage zum Umdenken bringen - und guten Redaktionen und Journalisten helfen. Warum? Weil diese neuen Verbreitungstechniken Journalismus von den gewohnten Vertriebswegen unabhängig machen - und damit eine entscheidende Frage wieder offenlegen: Welche Inhalte sind es eigentlich wert, verbreitet zu werden? Zeitgemäße Bezahlsysteme wie iTunes werden ebenso gnadenlos wie hilfreich zeigen, welche Texte vom Markt und Kunden wirklich nachgefragt werden - und was bislang bloß mitgeschleppter Ballast, nobel getünchte Blendfassade oder von Verlagen wie Journalisten selbst und damit teils am Markt vorbei definiertes Vorrang-Thema war. Das iPad wird freilegen und fördern, was wirklich neu, wichtig, relevant und substanziell ist. Das iPad wird Verlagen Erfolg bescheren, die ihre Redaktionen als ihren Markenkern erkennen und bewahren, es wird Journalisten Aufwind geben, die mit Kompetenz und Netzreputation Marken werden und bleiben.

Und wie wird das iPad insgesamt verändern, was dem Leser heute noch als gedruckte Zeitung oder Zeitschrift mit angeschlossener Website und mobilen Angeboten begegnet?

Zeitungen und Zeitschriften, die weiter wie bisher einfach nur das ins Netz spülen, was Hunderte anderer Medien auch digital publizieren, werden die via iPad generierten mauen Geschäfte sehr schnell zeigen, dass das sinnentleerter Netzaktivismus ist, den die Welt nicht noch einmal aus einer weiteren unnötigen Quelle braucht. Das iPad wird uns Verlage und Redaktionen lehren, uns auf das zu konzentrieren, was unsere jeweils wirkliche und möglichst alleinige Kompetenz ist. Wahrnehmbare Medien im Internet werden somit bald weniger einförmig, sondern deutlich vielfältiger werden.

Wird das iPad durch sein Design und sein Interface auch das Web selbst beeinflussen?

Zudem wird das iPad das Innenleben von Redaktionen wie auch die Optik von Medien, ob analog oder digital, verändern und prägen: Teenager ebenso wie die Generation 50 plus gewöhnen sich derzeit schon via iPhone, bald auch via iPad daran, dass Mediales einfach, elegant und sinnlich genutzt werden kann. Medien, die Zukunft haben wollen, werden gut daran tun, von der smoothen Optik wie von der Handhabung der Produkte aus dem Hause Apple zu lernen und ein elementares Grundgesetz auf ihre eigene Produke zu übertragen: Medien müssen kompetent, aber auch smart sein. Schaffen wir das nicht, werden andere Anbieter unsere Rolle übernehmen.

Interviews: Dirk Liedtke

PRODUKTE & TIPPS