Liebe stern-Leser! Anfang des Jahres stand es nicht gut um die Nationalelf. Rudis Rumpel-Riege hatte durch ein 4:1 gegen die Ukraine mit Mühe die Tickets nach Japan und Südkorea eingespielt. Und dann: WM-Hoffnung Jens Nowotny blieb mit verrutschter Kniescheibe liegen. Verteidiger Jörg Heinrich machte sich lieber in den Italien-Urlaub davon, als an dem DFB-Betriebsausflug nach Asien teilzunehmen. Deshalb sind die Strategen der Union vielleicht davon ausgegangen, dass Deutschlands Fußball-Elite in der Vorrunde ausscheidet und längst unter südlicher Sonne entspannt, wenn der CDU-Parteitag stattfindet. Nun ist es anders gekommen, und die Zeremonienmeister der Partei schauen etwas unglücklich auf die Schlagzeilen der Massenblätter, die sich lieber großflächig mit Klose, Völler und Neuville befassen. Deutschland steht unter akuter Fußball-Hypnose. Nach dem freudigen Schreck über den Anfangserfolg macht sich nun selbstbewusste Feierlaune breit, und da geraten politische Botschaften leicht ins Abseits. Das Fußball-Wahlvolk mag sich nicht so recht und gewissenhaft mit den überbordenden Versprechen der Union auseinander setzen. Es ahnt vielleicht, dass Stoibers Steuersenkungsgranate nicht zünden wird, weil „Flasche leer“ ist im Bundeshaushalt. Und dass die Rentenbeiträge im nächsten Jahr so oder so erhöht werden müssen, ob Kanzler oder Kandidat. Also, was erlauben Stoiber? Mit einem drögen Parteikonvent in die WM-Festtage zu grätschen? Die Deutschen wollen jetzt Rudis Kompetenzteam! Schröder weiß das natürlich, spielt deshalb im Moment hängende Spitze. Zudem haben der Kölner SPD-Spendensumpf und die Pisa-Ergebnisse das Kanzler-Team zurückgeworfen. Während Stoiber mit der Pisa-Rangliste Boden gutmacht, weil Bayern so toll abschneidet. Vermutlich hat sich Stoiber diesen Steilpass selbst zugespielt. Denn dass der hochgeheime Leistungsvergleich der Länder so kurz vor dem CDU-Parteitag durchsickerte, ist doch ein fabelhaft glücklicher Umstand. Der Kanzler also zurzeit in der Defensive – und in guter Hoffnung auf den WM-Titel. Sind ja schon Bücher darüber geschrieben worden, dass der Ruhm dieser Trophäe auf den Amtsinhaber abstrahlt. Bringt mehr als jede sozial-demokratische Ruck-Rede. So hoffnungslos, wie die Deutschen anfangs ihre WM-Chancen sahen, so elend schnitt die Regierung vor einigen Wochen auch bei den Umfragen ab. Jetzt keimt aus der Tiefe des Raumes die Hoffnung, dass Fußball-Deutschland den Aufschwung des Nationalteams in Schröders Aufschwung umdeutet. Die Parallelen sind unübersehbar: Gerd und Rudi, zwei deutsche Reformer. Man muss sich ja ernsthaft fragen, ob die neue SPD-Parole „Zusammenhalt und Erneuerung“ nicht aus Völlers Motivationswerkstatt stammt. Hat er nicht meisterhaft beides umgesetzt? Hat er nicht für mehr Innovation (Offensiv-Fußball) und Gerechtigkeit (mehr jüngere Spieler) gesorgt? Gelingen konnte dieses Reformprojekt allerdings nur, weil der DFB vor zwei Jahren den Teamchef ausgewechselt hat. Aber das vergessen die Deutschen im Schwarz-Rot-Gold-Taumel. Und so könnte Schröder die Verlängerung doch noch schaffen.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold