Editorial Große Koalition ohne Vertrag

Schon vor der Bundestagswahl war klar: Für eine große Koalition hätte sich Gerhard Schröder kaum hergegeben

Liebe stern-Leser!

Schon vor der Bundestagswahl war klar: Für eine große Koalition hätte sich Gerhard Schröder kaum hergegeben. Lieber mit Doris in Hannover als mit Angela in Berlin. Nun, nach monatelangem sinnlosen Herumdoktern an den Problemen dieses Landes, nach einer Flut von Vorschlägen, die den Wähler verwirrt zurückgelassen hat, muss er sich doch mit der Unions-Chefin an einen Tisch setzen. Denn im Sturmschritt wird die Politik von ihrem Versagen eingeholt (Seite 22). Nun hilft keine Kosmetik mehr gegen die Wachstumsschwäche, gegen marode Strukturen im Gesundheitswesen, in der Sozialpolitik oder auf dem Arbeitsmarkt.

Dabei folgt Schröder keiner durchdachten politischen Linie. Wir kennen das: Nicht die Regierung treibt, sie wird getrieben - von den schlimmen wirtschaftlichen Fakten, den Medien und der Angst vor Machtverlust. Das fördert nicht gerade das Vertrauen, aber sei´s drum. Die Erkenntnis scheint zu reifen, dass dieses Land umgepflügt werden muss, Seite an Seite mit der Union, weil die den Bundesrat dominiert.

So werden wir in den nächsten Monaten die erste große Koalition ohne Vertrag erleben! Eine Zwangsehe, die offiziell mit Ekel und Abscheu dementiert, aber heimlich vollzogen wird. Eine Reform gilt aber nicht schon deshalb als effizient, weil Regierung und Opposition einen Kompromiss gefunden haben. Eine Reform verdient diesen Namen nur, wenn das definierte Ziel wirklich erreicht wird. Das würde bei den verhandelnden Politikern ein hohes Maß an Realitätssinn und Redlichkeit voraussetzen. Kein Egotrip, niemand darf darauf aus sein, den Kontrahenten am Nasenring durch die Arena zu schleifen.

Schon jetzt deutet sich an, dass es zwischen Rot-Grün und Schwarz zugehen wird wie auf einem Basar: Tausche mein Ja zur Steuerreform gegen die Abschaffung des Flächentarifs. Killst du meinen privat versicherten Zahnersatz, schieße ich deine Rentenkürzung ab. Dem Bürger allerdings ist es wurscht, welche Partei beim Feilschen gewinnt.

Das Publikum will kein Theater mehr, die Show ist vorbei. Jetzt müssen die Reformen beschlossen werden, damit das Wahlvolk der Politik in Zukunft noch vertraut. Dafür ist der Bundestag zuständig, und zwar in seiner Gesamtheit. Die Regierung wurde gewählt, um Probleme zu lösen. Die Opposition wurde nicht gewählt, um Lösungen zu verhindern. Als die Raumfähre "Columbia" am 1. Februar am Himmel verglühte, musste Steffi Kammerer bei ihren neuen Nachbarn klopfen, um TV zu schauen. Denn die Berliner Journalistin war erst wenige Wochen zuvor nach New York gezogen, hatte noch keinen eigenen Fernseher.

Texas, der Ort der Katastrophe, war ihr vertraut. Im vergangenen Jahr hatte die 33-Jährige mehrere Monate als Gastredakteurin bei den "Dallas Morning News" gearbeitet. Mitte März begann sie, die Geschichte des Unglücks für den stern zu recherchieren. Sie stieß auf Versäumnisse und Schludrigkeiten bei der Nasa. Sie sichtete Hunderte Dokumente und interne E-Mails, die die Nasa ins Internet stellen musste - dank des "Freedom of Information Act".

Dieses Gesetz sorgt in den USA dafür, dass Bundesbehörden auf Nachfrage von Journalisten Informationen herausgeben müssen. Die Suche nach Gesprächspartnern war mühsam, denn bis zum Abschluss des Untersuchungsberichts, der frühestens Ende Juli erwartet wird, wollte sich zunächst niemand äußern. Stattdessen bekam Steffi Kammerer von der Nasa eine Kiste mit Videos, rund 20 Stunden Material, Interviews mit den Astronauten und Szenen aus dem All. Damit quartierte sie sich in ein Motel in Houston ein. Schließlich war Flugdirektor Leroy Cain doch bereit, mit der deutschen Journalistin zu reden. Auch der Kontakt zu den Familien der Astronauten kam nach einigen Wochen zustande.

Herzlichst Ihr Andreas Petzold