J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Ich fühle mich schuldig, weil mein Freund mich mehr liebt als ich ihn

Der Grad der Verliebtheit ist zwischen Partnern nicht unbedingt gleich (Symbolbild)
Der Grad der Verliebtheit ist zwischen Partnern nicht unbedingt gleich (Symbolbild)
© BIO JULIA PEIRANO / Getty Images
Ninas Freund nimmt und liebt sie genau wie sie ist. Und sie hat deshalb ein schlechtes Gewissen. Kann sie lernen, damit besser umzugehen?

Liebe Frau Peirano,

ich bin 27 und habe sei sechs Monaten einen Freund. Ich habe mir sehr lange gewünscht, dass jemand mich so liebt, wie ich bin und zu mir hält. Er ist auch echt ein Lieber. Und jetzt habe ich das und müsste eigentlich völlig glücklich sein. Aber ich ich fühle mich eingeengt.

Er sagt mir ständig, dass er mich liebt und dann wartet er auf meine Antwort. Ich möchte ihm eigentlich nicht sagen, dass ich ihn liebe, weil ich ihn nur gern mag oder lieb habe. Ich habe mal einen Mann wirklich geliebt, und das war anders.

Ich brauche recht viel Zeit für mich. Auf Arbeit ist es stressig, und danach mag ich einfach mal ein bisschen lesen oder zum Sport. Er fragt mich immer, was los ist, und ich muss mich erklären. Er ist dann auch noch so verständnisvoll. Er sagt, dass es bei mir sicher nur daran liegt, dass ich so viel Stress bei der Arbeit habe, und wenn das vorbei ist, ich wieder offener bin für ihn und mehr fühle.

Das macht mir Schuldgefühle. Denn ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich ihn jemals so liebe, wie er mich liebt. Ich denke öfter darüber nach, ob ich mich trennen soll, weil ich ihm nicht gerecht werde und mich auch bedrängt fühle. So eine komische Mischung.

Was denken Sie: Kann ich ihm gegenüber mehr Gefühle entwickeln?

Viele Grüße

Nina G.

Liebe Nina G.,

es hört sich so an, als wenn Sie ganz schön unter Schuldgefühlen leiden! Sie sind der Überzeugung, dass Sie stärkere Gefühle für Ihren Freund haben müssten, weil er Ihnen gegenüber auch so starke Gefühle hat und äußert.

Nun ist es aber so, dass man Gefühle nicht erzeugen und schon gar nicht erzwingen kann. Stellen Sie sich mal jemanden vor, der sich seit Jahrzehnten intensiv mit Psychologie beschäftigt, regelmäßig meditiert und auch öfter über sich und sein Verhalten reflektiert. Eigentlich, sollte man meinen, sind das gute Voraussetzungen, um keine "unerwünschten" Gefühle zu haben und dafür mehr von den "erwünschten" oder "richtigen".

Die Wahrheit ist, dass niemand es abstellen kann, wenn er oder sie jemanden einfach nicht mag, weil die Chemie nicht stimmt, und dafür andere Menschen extrem gerne mag oder sogar liebt - auch wenn einige Gründe dagegen sprechen.

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Wir können aber zwei Dinge üben (und das lernt man auch in einer Therapie). Erstens: Wir können unsere Gefühle akzeptieren, so wie sie sind. Und das ist manchmal nicht einfach, denn wir alle haben Gefühle, die wir als negativ oder störend bewerten, für die wir uns vielleicht schämen oder zumindest kleingeistig und schäbig fühlen.

Gefühle, die man nicht akzeptiert, werden in der Regel stärker. Ich hatte mal eine Patientin, die den Zwangsgedanken hatte, dass sie jemanden aus Versehen töten könnte. Sie war sehr friedlich, und der Gedanke machte ihr große Angst. Und genau dadurch, dass sie diesen Gedanken nicht haben wollte, wurde er stärker und stärker. Man könnte auch sagen: Ja, ich habe manchmal die Angst (oder auch den heimlichen Wunsch), jemanden zu töten. Und den Wunsch oder die Gefühle erlaube ich mir. Aber ich mache es natürlich nicht! Dadurch stellt sich eher so ein "Na und?"-Gefühl ein, was sehr hilfreich ist.

Zweitens: Wir können unsere Handlungen nach dem ausrichten, was wir für richtig halten. Denn über unsere Handlungen haben wir die Kontrolle und wir haben auch die Verantwortung dafür. Das heißt: Man kann sich denken, dass man manchmal jemanden umbringen möchte (und erlaubt sich diese Phantasie), aber man weiß, dass man es nicht tun wird, weil man es nicht tun will.

Und dadurch entspannt sich die Lage. Sie könnten sich zum Beispiel erlauben, Ihren Freund so viel oder so wenig zu lieben, wie Sie es gerade nun mal tun. Am Besten denken Sie gar nicht so viel darüber nach, sondern schauen eher, ob die Beziehung Ihnen beiden gut tut. Sie könnten auch hier so eine Art "Na und"- Gefühl entwickeln, wenn Sie feststellen, dass Sie nicht so viel fühlen, wie Sie vielleicht gerechterweise fühlen sollten (klingt komisch, oder?).

Wichtig ist, wie Sie sich Ihrem Freund gegenüber verhalten. Und da wäre es natürlich gut, wenn Sie sich an die Absprachen und eine Art Fairness-Kodex halten (also z.B. treu zu sein, wenn das abgesprochen ist, oder sich für die Beziehung einsetzen).

Da Ihr Freund jedoch für die Nähe sorgt, indem er Ihnen etwas weniger Freiheit lässt, als Sie sich wünschen, nehmen Sie automatisch den Distanz-Part ein. Und deshalb fällt es auch schwerer, Liebe zu spüren und sich nach Nähe zu sehnen. Und er kämpft um die Nähe und fühlt sie deshalb stärker. Am besten wäre es, wenn er sich mal zurück ziehen würde und Sie machen lassen würde.

Wie wäre es, wenn Sie Abgrenzung üben und ihm zum Beispiel sagen, dass Sie es nicht mögen, wenn er Ihre Gefühle deutet oder beobachtet, oder wenn er vermutet, dass Sie ihn bald mehr lieben, wenn Ihre stressige Phase im Job vorbei ist? Das hört sich fast an wie  ein Schuldner-Verhältnis, wo der Gläubiger darauf wartet, dass der Schuldner endlich wieder Geld hat und zurück zahlen kann. Und so etwas schadet der Liebe auch.

Sorgen Sie doch dafür, dass Sie mehr Freiheit für sich und Ihre Gefühle haben, z.B. indem Sie öfters mal Zeit für sich einplanen, in der es kein erzwungenes Ende gibt. Wenn Sie selbst zu Ihrem Freund kommen können, wenn Sie soweit sind, wird sich das wahrscheinlich besser anfühlen.

Und noch etwas: Befreien Sie sich doch von der Idee, dass derjenige, der mehr Nähe will, stärker liebt. Es können auch selbstbezogenen Gründe dahinter stehen, dass jemand mehr Nähe will und der/m PartnerIn nicht die nötige Freiheit lässt. Die Gründe könnten Angst vor dem Alleinsein, Langeweile oder Nichts-mit-sich-anzufangen-wissen sein. Aber mit Liebe hat das nicht viel zu tun.

Ich hoffe, das hilft Ihnen etwas, sich aus der Verstrickung zu befreien. 

Herzliche Grüße

Julia Peirano

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