Liebe Frau Peirano,
ich schreibe Ihnen, weil wir sehr viel Stress durch meine Schwiegereltern haben. Ich bin Engländer, meine Frau ist muslimische Inderin und ihre Eltern sind sehr traditionell und haben hohe Erwartungen. Die Eltern leben seit vielen Jahren in Singapur und sind im Ruhestand. Meine Frau ist das einzige Kind, und dazu noch eine Tochter.
Wir haben selbst drei Kinder (8,10 und 12), sind beide voll berufstätig und haben einen extrem stressigen Alltag, um Arbeit und Kinder unter einen Hut zu bekommen. Meine Frau ist sehr gewissenhaft und ist den ganzen Tag am Machen und Tun, um ihre Arztpraxis, die Freizeitaktivitäten der Kinder und den Haushalt zu schaffen.
Ihre Eltern wollen uns mindestens einmal im Jahr für mindestens drei Wochen besuchen und erwarten, dass wir noch unsere Ferien auch bei ihnen in Singapur verbringen.
Es ist wirklich sehr stressig. Die Eltern sind sehr passiv und helfen nicht mit, sondern wollen bedient und unterhalten werden. Sie finden sich bei uns nicht zurecht, sondern wollen ihren eigenen Rhythmus haben. Das heißt, sie gehen nie aus, sondern warten, bis meine Frau oder ich die Initiative ergreifen. Und auch dann sind beide sehr ängstlich und kritisch. Die Eltern sitzen die ganze Zeit im Wohnzimmer oder auf der Terrasse und warten oder beobachten unser Familienleben. Und das drei Wochen lang!
Meine Frau ist sowieso schon oft am Limit, ich auch. Und wenn ihre Eltern da sind, ist es kaum auszuhalten. Sie versucht, die gute Tochter zu sein, und gleichzeitig hat sie große Konflikte mit ihren Eltern und könnte vor Ärger und Erschöpfung platzen.
Dazu kommt, dass meine Schwiegereltern uns finanziell sehr unterstützt haben beim Hauskauf. Das hätten wir ohne sie nicht geschafft. Sie sind recht gut situiert und kaufen immer mal größere Dinge (zuletzt ein Auto), die wir uns nicht leisten könnten mit drei Kindern, aber dringend brauchen. Das erhöht natürlich die Abhängigkeit und macht es um so schwerer, Nein zu sagen.
Aber unsere Beziehung leidet sehr unter den vielen Besuchen der Schwiegereltern. Wir verbringen unsere gesamten Ferien in Singapur. Ich würde auch gerne mal woanders hinfahren und einfach mal etwas als Familie machen, ohne die Störung. Im Urlaub ist für uns eigentlich die stressigste Zeit des Jahres und die Stimmung ist richtig schlecht.
Meine Frau möchte etwas ändern, ist allerdings streng erzogen worden und traut sich nicht, die Erwartungen der Eltern zu enttäuschen.
Was kann ich machen, damit wir dieses Problem lösen und freier davon werden?
Herzliche Grüße
Dominik V.
Lieber Dominik V.,
in Ihrer Familie prallen nicht nur die Generationen aufeinander, sondern zusätzlich auch noch die Kulturen. Eigentlich prallen Welten aufeinander!
Die traditionell indischen Eltern erwarten von der Tochter, dass sie sich aufopfert und die Familie und vor allem die Eltern an die erste Stelle setzt. Dazu kommt erschwerend, dass Ihre Frau ein Einzelkind ist und so alles auf ihren Schultern lastet.
Für Sie als Engländer gelten ganz andere Spielregeln, was den Kontakt mit den Eltern betrifft. Es wäre höchst ungewöhnlich, wenn westliche Eltern erwarten würden, mehrere Wochen mit den erwachsenen Kindern und deren Familie zu verbringen. Und wenn es so wäre, würden sie wahrscheinlich eine aktivere Rolle einnehmen und sich um die Enkelkinder kümmern, mit ihnen spielen oder die Familie unterstützen. In der westlichen Kultur ist das Thema "Grenzen" zwischen Eltern und Kindern ein wichtiges Thema, und es gilt als gesund, eine angemessene Distanz zu den Eltern zu haben und diese immer wieder neu auszutarieren.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
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Ihre Frau scheint einen Spagat zwischen den Kulturen zu machen. Auf der einen Seite ist sie jetzt eine beruflich erfolgreiche Frau, die studiert hat und ihr Leben im Westen meistert. Auf der anderen Seite steckt in ihr noch die strenge Erziehung ihrer Eltern, die ihr offensichtlich deutlich gemacht haben, was sie von ihr erwarten: Gehorsam, Respekt und Aufopferung.
Das Wort "Grenzen" wäre für die indischen Eltern wahrscheinlich ein Fremdwort oder eine Anmaßung.
Ich würde Ihrer Frau in erster Linie empfehlen, sich mit anderen Frauen auszutauschen, die einen ähnlichen Spagat zwischen westlicher Moderne und traditionellen Eltern machen - und die es für sich besser gelöst haben. Ihre Frau braucht vermutlich jemanden, der ein Vorbild ist, und der sie frei spricht und ihr erlaubt, sich um sich selbst zu kümmern und ihre Eltern ein Stück weit zu enttäuschen. Und vermutlich sind Sie als westlicher Mann da keine Autorität in diesem Thema, sondern sie bräuchte jemanden, der aus der Kultur ihrer Eltern kommt. Optimalerweise wären die Frauen auch etwas älter als sie selbst, so dass sie die Autorität hätten, für die Generation der Eltern zu sprechen. Es könnte eine muslimische Therapeutin sein, aber auch eine Tante, die aufgeschlossener ist oder Eltern von Freund:innen.
Das wäre aus meiner Sicht der erste und wichtigste Schritt. Dann käme die praktische Abgrenzung: Wenn Sie sich abgrenzen und zum Beispiel nur eine Woche nach Singapur fahren und dann weiter in Asien als Familie reisen, könnten Sie ja Argumente verwenden, die die Eltern verstehen und mit denen sie ihr Gesicht wahren können.
Es würde aus meiner Sicht nichts bringen, von Abgrenzung zu sprechen und von Überforderung und Stress. Dann würden die Eltern sich fragen, wieso es einer Tochter Stress bereiten kann, sich um die eigenen Eltern zu kümmern. Eleganter wäre es, wenn sie Gründe verwenden, die die Eltern verstehen. Zum Beispiel beruflichen Erfolg: Sie müssen von Singapur nach z.B. Australien weiter reisen, weil Sie dort berufliche Termine mit Ehefrau haben, die sehr wichtig für Ihre Karriere sind.
Oder die Eltern können nicht zu Ihnen nach Deutschland kommen, weil Sie beide gerade berufliche Fortbildungen machen, oder umbauen, oder die kranke Tochter pflegen.
Es wäre gut, wenn der Spagat Ihrer Frau offen gelegt wird: Wir fühlen, dass wir mehr Zeit für uns als Familie brauchen - aber wir können das nicht offen sagen, weil es beleidigend für die Eltern wäre. Also schieben wir andere Gründe vor.
Versuchen Sie, ein gesundes Mittelmaß zu finden - und das scheint es ja zur Zeit definitiv nicht zu sein. Und wenn Sie erst einmal den Kontakt reduziert haben, dann werden sich die Eltern mit der Zeit daran gewöhnen. Das erste Jahr wird das schwierigste sein.
Herzliche Grüße,
Julia Peirano