Schutzeinrichtungen für Opfer häuslicher Gewalt überall auf der Welt versuchen, nicht aufzufallen. Es gibt kein Schild an der Tür und keine Adresse, die bei Google zu finden ist. Alle Bemühungen dienen dazu, die Menschen zu schützen, die sich in den Schutzeinrichtungen aufhalten. Sollte der Standort einer vermeintlich sicheren und geheimen Unterkunft bekannt werden, könnten Missbrauchstäter in der Einrichtung nach den Opfern suchen.
Doch die Corona-Pandemie erschwerte die Arbeit der Schutzhäuser: Viele Opfer und Familien in den USA durften wegen der Kontaktbeschränkungen nicht gemeinsam unter dem Dach der Schutzeinrichtung beherbergt werden. Man fand eine andere Lösung: Hotels und Motels. Doch leider bieten diese nicht die gleiche Sicherheit für Opfer wie die Schutzhäuser. Es könnte sogar gefährlich für sie werden.
Schon ein Anruf kann Lebensgefahr bedeuten
Es passiert häufig in Hotels und gehört zum Alltag: Das Telefon klingelt und jemand an der Rezeption nimmt ab. Der Anrufer bittet darum, mit einem Gast zu sprechen und wird durchgestellt. Für Opfer häuslicher Gewalt kann das lebensgefährlich sein. Täter wissen dadurch nicht nur, wo sie sich aufhalten, sondern anhand der Telefonnummer vielleicht sogar die Zimmernummer.
"In Hotels könnte es für Überlebende weniger sicher sein als in einer Schutzunterkunft", sagte Ruth Glenn, Geschäftsführerin und Präsidentin der National Coalition Against Domestic Violence – eine gemeinnützige Organisation für Opfer und Überlebende häuslicher Gewalt – bei "The Lily". Dadurch, dass Hotelangestellte nicht darin geschult seien, würden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erkennen, wenn ein Missbrauchstäter anrufe oder zur Tür hereinkäme, erklärte Glenn.
Sicherheit gewährleisten dank einer Webseite
Eine neue, anonymisierte Buchungsplattform könnte helfen, das Problem zu lösen. "Safe Stays" von ReloShare, das Mitte August offiziell an den Start gehen soll, richtet sich an Organisationen, die mit Opfern häuslicher Gewalt arbeiten und diese außerhalb des eigenen Hauses unterbringen müssen. Die Plattform arbeitet mit mehreren bekannten Hotelketten zusammen. Diese akzeptieren beim Einchecken einen Alias anstelle des richtigen Namens und stellen am Monatsende alle angefallenen Kosten der Einrichtung für häusliche Gewalt in Rechnung.
Angestellte der Schutzeinrichtungen können ReloShare wie eine Reise-Webseite nutzen, nach Hotels suchen, wo immer es für das Opfer am sichersten ist, und diese nach Bedarf buchen. Amanda Pyron, Geschäftsführerin des Netzwerks Advocating Against Domestic Violence, einer Organisation, die eine Hotline für häusliche Gewalt in Illinois betreibt, beschreibt "The Lily", die Sicherheit der Opfer sei eine "ständige Sorge" gewesen. Soweit sie wisse, sagte sie, gebe es keinen sogenannten Screening-Prozess, wenn Missbrauchstäter anriefen. Das Hotelpersonal sei nicht verpflichtet, die Anonymität des Opfers zu schützen.
Gefahr streuen
Sobald Opfer häuslicher Gewalt eine missbräuchliche Situation verlassen, ist es entscheidend, dass sie sich sofort an einem sicheren Ort niederlassen können, erklärt Pyron. Opfer häuslicher Gewalt seien in den ersten Wochen nach dem Verlassen der Beziehung weitaus stärker gefährdet als zu jedem anderen Zeitpunkt der Beziehung. Zu diesem Zeitpunkt, so Pyron, hätte der Täter seine "Macht und Kontrolle" verloren und versuche verzweifelt sie zurückzubekommen.
Mit den richtigen Vertraulichkeitsprotokollen könnten Hotels zu einer sichereren und leichter zugänglichen Option werden, so Pyron – was mit der Webseite von ReloShare möglich sein soll. Wie Matt Singley, Entwickler der Webseite "The Lily" beschreibt, können Opfer über das "Streumodell" untergebracht werden. Die Opfer hätten nicht nur einen oder zwei Orte, zu denen sie gehen könnten, sie könnten ein Hotel aus einer langen Liste auswählen und sich dafür entscheiden, in der Nähe der Arbeit oder der Schule ihrer Kinder zu bleiben. Wenn ihre Situation besonders gefährlich sei, sagte er, könnten sie auch den Bundesstaat zu verlassen.
Hohes Interesse
Nachdem die Hotline in Illinois begonnen hatte, mit einer früheren Version von ReloShare zu arbeiten, sagte Pyron, dass sie einen deutlichen Anstieg von Männern und LGBTQ-Personen gesehen hätte, die sich um Hilfe bei der Wohnungssuche bemühten. Während sie sich in einer Gemeinschaftsunterkunft mit überwiegend Frauen wahrscheinlich nicht wohl gefühlt hätten, so Pyron zu "The Lily", seien sie viel mehr an Hotelzimmern oder Kurzzeitmieten interessiert gewesen.
Obwohl zurzeit die Buchungen normaler Hotelgäste wieder stiegen – die Hotels also nicht länger leerstehen – hätten die Reisezahlen laut Singley noch keinen Einfluss auf die Partnerschaften zwischen Hotels und Notunterkünften gehabt. Im Gegenteil: Singley sagte "The Lily", dass das Interesse an diesem Programm stetig wachse.
Trotzdem nicht zu 100 Prozent sicher
Selbst mit der Technologie von ReloShare sei es laut Ruth Glenn noch ein weiter Weg, bis ein Hotel so sicher sei wie eine Notunterkunft. Notunterkünfte seien speziell für die Sicherheit der Opfer konzipiert. Das fange bei simplen Dingen wie dem Parkplatz oder den Fahrstühlen an.
In den Unterkünften gebe es viele ausgebildete Betreuer, so Glenn zu "The Lily", die die Mechanismen häuslicher Gewalt verstünden. Wenn Überlebende mehr Hotels als Zufluchtsorte nutzen wollten, sagte sie, müssten die Hotels mindestens eine Kontaktperson für die Opfer im Gebäude haben. "Bis Hotels wirklich die Natur der häuslichen Gewalt verstehen," sagte sie, "muss man wirklich, wirklich vorsichtig sein."
Hilfe bei häuslicher Gewalt in Deutschland:
Hilfetelefon für Frauen: 08000 116 016
Hilfetelefon für Männer: 0800 1239900
Kinder- und Jugendtelefon: 0800 111 0333
Informationen (auch in verschiedenen Sprachen), Sofort-Chat, Online-Beratung: www.hilfetelefon.de
Hilfe des Weißen Rings:
Telefonseelsorge: 0800 111 0111 oder 0800 111 0222
Quelle (Text): "The Lily"