Erziehung Bin ich eine schlechte Mutter, weil ich meine Tochter vor dem Fernseher parke?

Ist es okay, das Kind in Ausnahmefällen Videos gucken zu lassen?
Ist es okay, das Kind in Ausnahmefällen Videos gucken zu lassen?
© Getty Images
Die Tochter der Autorin ist keine drei Jahre alt. Experten empfehlen unter drei auf gar keinen Fall den Fernseher anzuschalten. Ist es verwerflich, es trotzdem zu tun?

Mein Mann und ich waren uns vor der Geburt unserer Tochter einig: "Kein Fernsehen unter drei!" Möglichst wenig Kontakt am Smartphone und am Tablet und auf gar keinen Fall ein Handy in der Hand, wenn wir beim Essen sind. "Das geht überhaupt nicht", stimmten wir überein. "Rabeneltern", dachten wir heimlich als ein Kind in einem Restaurant am Tisch ins iPad glotzte. Mit der Erfahrung wird man klüger.

Unsere Tochter wurde im ersten Lockdown geboren. Verwandte und Freunde sahen sie erstmal nur, Sie ahnen es, über den Bildschirm. Videotelefonie sei Dank. Bald schon machten wir "Ausnahmen", die wir uns schön redeten. Sie durfte ab und an ans Handy, um Bilder zu gucken. Den Satz lernte sie ziemlich schnell "Bilder gucken", forderte sie auch schon bald ein. Mit zwei konnte sie bereits das Smartphone entsperren und in die Foto-App gehen. Und wir wurden immer inkonsequenter.

Schließlich reihten sich die Kinderkrankheiten aneinander. "Weil du krank bist, darfst du Maus-Clips gucken". Wir logen uns selber an, dass das ja Bildungsfernsehen sei. "Die Sendung mit der Maus" kann nicht schaden, das müssen doch auch die Experten so sehen, vor allem sind die Clips nur 2D und nicht dieses animierte Zeug, das es auf den Streamingplattformen gibt.

Noch so eine Lüge

Mittlerweile ist es so: Unsere Tochter kann sehr deutlich sagen, was sie möchte. "Mamaaa, ich möchte Maus gucken", "Babaaa, bitte Bilder gucken." Zumindest fragt sie höflich – und wir klopfen uns dabei selbst auf die Schultern, dass wir sie immerhin gut erzogen haben. Noch so eine Lüge.

Heute Morgen wacht meine Tochter etwas kränklich auf, ich schicke sie nicht in die Kita, mein Mann ist nicht zuhause, ich muss trotzdem arbeiten. Also überrede ich sie, mit mir Coworking zu machen. Mein Schreibtisch neben ihrem Tisch, an dem sie malen und stickern kann. "Das muss doch klappen", rede ich mir selbst ein. Keine 30 Minuten später liegt sie mit dem iPad in ihrem Bett und guckt Maus-Clips. Bin ich jetzt eine schlechte Mutter?

Ich frage um Rat. Zuerst meine Kollegen. "Bin ich eine Bad Mom, weil ich mein Kind "Maus" gucken lasse, damit ich in Ruhe arbeiten kann?", schreibe ich in unseren Arbeitschat. "Ja, sehr bad", schreiben die ersten scherzhaft. Und: "Das zählt doch schon als Bildungsfernsehen". Sag ich doch! Schnell entbrennt danach eine wilde Diskussion darüber, dass Fernsehen doch nicht schaden würde, schließlich seien der Großteil meiner Kolleginnen und Kollegen mit dem Fernseher groß geworden. Die Oma hätte sie vor MacGyver geparkt, andere haben alle Trickflime von Super-RTL und RTL II gesuchtet. Ich bin also in guter Gesellschaft, was das Fernsehen in jungen Jahren angeht. Aber die Experten sagen doch was anderes?

Kinder-Erziehung: Nicht länger als 30 Minuten

Ich schreibe also der Hamburger Kinderpsychotherapeutin Shirin Sobhani, dass meine fast dreijährige Tochter in Ausnahmefällen "Die Maus" gucken darf. Ich erzähle ihr von meinen vorgeschobenen Gründen wie "Wir fahren jetzt ja so lange Auto", "Ich muss kurz was für die Arbeit machen" oder "Du bist heute krank, deshalb darfst du kurz was gucken". Schade ich meinem Kind damit, frage ich die Therapeutin? Sobhani stellt sehr deutlich klar, dass Videozeiten in diesem Alter nicht genutzt werden sollten, "um sich als Mutter Freizeit zu kaufen, obwohl das sehr verführerisch ist." Kinder müssten auch lernen, dass sie mal geduldig warten und sich selbst beschäftigen müssen. "Es wären vertane Chancen, Konflikt-Interessen auszuhandeln, mit Frust umzugehen und Bedürfnisaufschub zu üben", antwortet sie mir. Man solle aber auch nicht zu hart mit sich als Mutter ins Gericht gehen. Solange man empfohlene Zeiten einhalten und den TV nicht zur Routine machen würde, wäre es vertretbar. Wenn es mal nicht anders gehe, dann muss man sich nicht zerfleischen vor Schuldgefühlen.

Jetzt bin ich doch etwas erleichtert. Und notiere auf meinem Notizzettel: TV und Videos nicht länger als 30 Minuten schauen lassen. Das Kind beim Fernsehschauen begleiten und über das Gesehene sprechen: "Jede Mutter macht es so gut, wie sie kann", schließt die Kinderpsychotherapeutin ihre Email. Als mein Mann abends nach Hause kommt, wartet meine Tochter schon auf ihn: "Babaaa, darf ich Maus gucken?"

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