Tony hatte einen schrecklichen Start ins Leben, anders kann man es wohl nicht nennen. Im Alter von 41 Tagen kam der kleine Brite ins Krankenhaus – mit schwersten Verletzungen, die ihm seine leiblichen Eltern zugefügt hatten: Unter anderem waren seine beiden Hüften gebrochen, sein Gesicht zeugte von einem stumpfen Trauma, das unter anderem ein gehörloses Ohr nach sich zog. Am 7. Februar 2015 sah ihn Paula Hudgell, seine jetzige Mutter, zum ersten Mal, damals lag er bereits seit drei Monaten im Evelina-Kinderkrankenhaus in London. Sie war erschüttert von dem Anblick, "ein kleines, zerbrochenes Baby", erzählt sie der britischen "Newsweek". Das Sozialamt, das sie gefragt hatte, ob sie ein weiteres Kind aufnehmen könne, hatte sie nicht in vollem Umfang über Tonys Zustand informiert.
Mrs. Hudgell blieb für 48 Stunden bei Tony. Danach konnte sie ihn nicht zurücklassen. Doch als sie ihn nach Hause brachte, die Familie lebt in der Grafschaft Kent, südöstlich von London, fragte sie sich: "Was habe ich getan?" In ihrem Haushalt lebten zu der Zeit bereits fünf Pflegekinder und entsprechend turbulent ging es dort zu. Und Tony wirkte so klein und zerbrechlich.
"Wir beschlossen, ihn nicht in Watte zu packen"
"Doch mein Mann und ich entschieden gleich am ersten Tag, Tony nicht in Watte zu packen und ihm dabei zu helfen, all die wichtigen Ziele zu erreichen, von den die Ärzte sich nicht sicher waren, ob er sie schaffen würde", erzählt Mrs. Hudgess in der "Newsweek" weiter. Es war nicht abzusehen, ob er jemals sitzen, krabbeln, laufen oder gar sprechen würde, weil sein eines Ohr taub war. Als Baby hatte er extrem starke Medikamente verabreicht bekommen, allein um zu überleben.
Tony lebte sich gut ein und gut ein Jahr nach der ersten Begegnung entschied das Paar, ihn zu adoptieren. Dann kam ein Rückschlag: Weil Tonys Beine nicht heilen wollten, mussten sie 2017 amputiert werden. "Das war wohl die härteste Entscheidung, die wir jemals treffen mussten", sagt seine Mutter. Seine ersten Prothesen mochte Tony nicht sonderlich, sie waren nicht angenehm zu tragen. 2019 entschied man im Evelina-Krankenhaus, ihm prothetische Beine mit Füßen anzupassen. Damit würde er laufen – und sein erstes Paar Schuhe tragen können. Tony war begeistert, er würde Turnschuhe bekommen, genau wie seine großen Brüder.
Tony liebt alte Menschen
Die Familie begann, sich kleine Ziele zu stecken, um Tonys Lauftechnik zu fördern. Doch dann kam die Corona-Pandemie und die Familie konnte nicht mehr zum Training ins Krankenhaus fahren. Sie übten zu Hause. Dann sah Tony "Captain Tom", mittlerweile Sir Captain Tom Moore, im Fernsehen, den Veteran, der mit 99 Jahren mehr als 36 Millionen Euro Spendengelder hinter seinem Gehwagen erlaufen hatte. Tony sucht im Park stets das Gespräch mit alten Menschen, berichtet seine Mutter, und von "Captain Tom" war er sofort total begeistert.
Tony lief selbst noch an einem Gehwagen und sagte, er könne das auch machen, was "Captain Tom" gemacht hat. Die Familie begann, draußen mit ihm auf und ab zu gehen, genau wie der Veteran. Dann wollte Tony Krücken benutzen, er bekam sie am 19. Mai. Um ein Ziel zu haben, schlug Tonys Mutter vor, im Juni jeden Tag 300 Meter zu laufen, um am Ende des Monats 10 Kilometer erreicht zu haben und schauen zu können, welche Fortschritte Tony macht. Parallel setzten sie eine Spendenaktion auf, genau wie bei "Captain Tom", jedoch zugunsten des Evelina-Kinderkrankenhauses, das so viel für Tony getan hatte.

Die Summe kletterte und kletterte
Zunächst spendeten nur Familie, Freunde und Nachbarn für Tony. Nach der ersten Juni-Woche sprach ein lokaler TV-Reporter die Familie an, zu dem Zeitpunkt belief sich die Spendensumme auf rund 3400 Euro. Als der Bericht über Tonys Ambitionen ausgestrahlt worden war, wies das Spendenkonto am gleichen Abend 18.500 Euro auf. An nächsten Morgen berichtete die BBC, die Summe kletterte auf 110.000 Euro. Da hatte Tony noch drei Wochen vor sich, dem die Eltern im Scherz gesagt hatten, er müsse alles zurückzahlen, wenn er aufgebe.
Dann setzte ein Schneeballeffekt ein, immer mehr Menschen teilten Tonys Geschichte und es mündete darin, dass Tony auf einem riesigen Werbeplakat für das Evelina-Kinderkrankenhaus am Piccadilly Circus zu sehen war. Auch "Captain Tom", seine große Inspiration, war dort zu sehen gewesen. Seitdem geht alles wie von selbst: Am 2. August belief sich die Summe auf 13,5 Millionen Euro – ein Drittel dessen, was der Veteran erlaufen hat. Und die Challenge geht noch weiter, die Spendenseite besteht noch und ist hier erreichbar.
Tonys Familie ist unglaublich stolz auf den Fünfjährigen, der jenseits seiner Beeinträchtigung genau so sein, wie jeder andere in seinem Alter. Er beschwere sich nie, sei immer frech und seine Geschwister lieben ihn abgöttisch. "Tony hat gezeigt, dass man, egal wie schlecht ein Start ins Leben war, immer noch die Kurve kriegen kann", sagt seine Mutter. "Er ist ein unglaublicher kleiner Junge."
Quellen: "Newsweek", Twitter, Spendenplattform JustGiving