Der Brandbrief eines Stuttgarter Schuldirektors mit einer ellenlangen Klage über die Unsitten sogenannter Helikopter-Eltern wühlt das Netz auf, nachdem die "Stuttgarter Zeitung" den Brief in Auszügen veröffentlicht hat. Der Mann erfährt viel Zustimmung, mich macht er wütend - richtig wütend. Sein Hauptproblem ist, dass Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. In Schulen mit bürgerlichem Einzugsbereich wie dieser Grund- und Realschule im Nobelstadtteil Bad Cannstatt scheint das unorthodoxe Parken der Elternkarossen die größte aller schulischen Sorgen zu sein. Dazu kann ich nur sagen: Wer keine anderen Wehwehchen hat, als Direktor Hermann, ist zu beneiden. Meine Kinder sind inzwischen aus der Schule raus. Ich kann mit Fug und Recht von ihnen und ihren Mitschülern sagen: Ob jemand mit dem Fahrrad, dem Bus oder mit Papas Pkw zur Schule gekommen ist, hatte keinen Einfluss auf den späteren Lebenserfolg.
Nebenbei bemerkt, das Transportproblem vom Bildungssystem wurde selbst geschaffen. Früher gab es meist Schulen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Irgendwann gerieten diese Zwergschulen in Verruf und wurden vom Konzept sehr viel größerer und angeblich leistungsfähigerer Lernfabriken abgelöst. Damit wuchs die Entfernung zwischen Wohn- und Schulort. Ein flächendeckendes Schulbussystem, wie in vielen Ländern üblich, wurde in Deutschland jedoch eingespart. Dieser Zusammenhang ist dem zornigen Direktor entfallen. Überhaupt scheint er auf einem Auge blind zu sein.
Seine Klage über Bring- und Tragedienste bekommt einen besonderen Beigeschmack, wenn man sich erinnert, dass Experten die schulischen Tragelasten regelmäßig bemängeln, die Amtsträger wie der Herr Direktor seinen Zöglingen zumuten. Sie sind gesundheitlich bedenklich und können Rückenschäden hervorrufen, weil sie häufig die Ranzen-DIN-Norm 58124 missachten. Würde sich das Kollegium besser fühlen, wenn Mütter in Zukunft nicht selbst Hand anlegen, sondern die Tasche nachwiegen und diese Fahrlässigkeit vom Anwalt jeweils reklamieren lassen? Sicher nicht.
Praktikum im Problembezirk
Auch, wenn man den Rest der Jammer-Klage liest, erinnert man sich an die Worte von Altkanzler Kohl vom "Nörgeln auf hohem Niveau" in Deutschland. Da beschweren sich die armen Lehrer über "übergriffige" Eltern. "Übergriffig" ist ein Modewort für die Sensibelchen unter den Pädagogen. Das hört sich böse an, fast wie eine Straftat. Man denkt, die Lehrer im Cannstatter Villenviertel werden geschubst, bedrängt oder beschimpft. Aber bei Herrn Hermann kann man "übergriffig" einfach mit "störend" übersetzen. Etwa wenn Eltern den Lehrer volltexten, obwohl der Unterricht schon begonnen hat.
Sie nutzen dann doch glatt die "Gelegenheit, die unterschiedlichsten Dinge mit der Klassenlehrerin zu besprechen", stöhnt der Schulleiter. Meine Güte! Herr Herrmann sollte mal in einem Problembezirk ein Praktikum machen. Da gibt es in jeder Klasse Eltern, die für die Schule gar nicht erreichbar sind. Die Briefe nicht lesen, nie ans Telefon gehen und die Tür sowieso nicht öffnen. Lehrer an solchen Schulen müssen den Schülern das Handy "klauen" - nur von der Nummer als Sohn oder Tochter getarnt, bekommt man die Eltern doch mal ans Telefon.
Nützliche Idioten gesucht
Aber natürlich sind Eltern lästig, die kein Ende finden, wenn es um ihr Kind geht. Doch was hindert den Pädagogen daran, aufdringliche Eltern freundlich aber bestimmt aus dem Raum zu weisen? Aber nicht nur die Eltern im Klassenzimmer ergrimmen den Prinzeps, ebenso erregt er sich über Eltern, die sich erdreisten, auf dem Gehweg vor seiner Schule herumzustehen. Shocking! Manche unterhalten sich sogar und würden dabei teils auch noch rauchen.
In der schönen Grundschulwelt in Bad Cannstatt erscheinen Eltern offenbar nur als Sand im Getriebe. In Wirklichkeit werden Eltern überall in Deutschland zu Schul-Hilfsdiensten herangezogen. Das beginnt bei der Einschulung und der quasi obligatorischen und kostenpflichtigen Mitgliedschaft im Schulverein, der zusätzliches Geld für den notleidenden Schulbetrieb zusammensammeln darf. Es geht weiter bei der unentgeltlichen, aber doch mit Dienstplan straff organisierten Hilfe bei der Essensausgabe und hört bei Renovierungs- und Verschönerungsarbeiten in den Ferien noch lange nicht auf.
Der freiwillige Einsatz ist fest eingeplant und wird massiv eingefordert. Ein partnerschaftlicher und gleichberechtigter Umgang mit den Eltern ist allerdings meist nicht vorgesehen. Das machte mir mein erstes Erlebnis dieser Art klar: Schon damals vor zwanzig Jahren hatte der arme Staat kein Geld, die Schulflure zu streichen, also sollten die Eltern Geld sammeln und in den Ferien den Pinsel schwingen. Aber Farbton (Behördengrau), Hersteller der Farbe und den Lieferanten hatte die Behörde schon festgelegt. Nur ein paar Dumme wurden noch gesucht.